Clifton Adams – Tanz im Hexenkessel

Vier blindwütige Geschwister tragen ihre Blutfehde in eine kleine Westernstadt. Weitgehend auf sich selbst gestellt, muss der Marshal sich ihrer erwehren … – Vor der Kulisse einer selbstvergessen feiernden Stadt spielt sich die bekannte aber interessant variierte Geschichte vom einsamen Gesetzeshüter im Kampf gegen eine Übermacht von Gegnern ab, die hier von krankhaftem Hass getrieben werden.

Das geschieht:

4. Juli 1892: Wie überall in den USA rüstet man auch in Elbow, einem Städtchen im US-Staat Oklahoma, zur Feier des Unabhängigkeitstages. Das nimmt zumindest die Jugend wörtlich, die überall Feuerwerkskörper detonieren lässt und dabei Hausbrände durchaus einkalkuliert. Aus dem ganzen Umland strömen Menschen in den Ort, und nicht nur die zahlreich erschienenen Cowboys und Soldaten freuen sich auf zünftige Prügeleien. Über allem liegt die Hitze des heißesten Sommers seit Jahren und heizt die Stimmung noch zusätzlich an.

Marshal Ott Gillman sieht dem Festtag mit Sorge entgegen. Ihm zur Seite steht nur der alte Kid Fulmer, der nicht nur jedem Ärger, sondern auch der Arbeit lieber aus dem Weg geht. Deshalb kommen ihm Pete und Willie Prince, die im Auftrag ihres älteren Bruders Nick fieberhaft nach dem Marshal suchen, erst recht ungelegen.

Gillman wollte vor fünf Jahren in Texas die schöne Dellie Prince heiraten. Ihr Bruder Nick war strikt dagegen gewesen. Kurz darauf schoss Gillman Nick bei dem Versuch nieder, ihn wegen eines Kaufmannsmordes zu verhaften. Nick, der seine Unschuld beschwor, ist im Gefängnis an Tuberkulose erkrankt. Todkrank hat man ihn nun entlassen, doch bevor er stirbt, will Nick Rache. Mit der Bahn und in Begleitung von Dellie, die davon überzeugt ist, dass Gillman ihren Bruder damals aus dem Weg räumen wollte, reist Nick per Bahn zum Showdown nach Elbow.

Dort musste Gillman inzwischen Willie in Notwehr erschießen. Der Hass der Princes steigt ins Unermessliche. Um Mitternacht soll Gillman sterben – und es ist den Geschwistern gleichgültig, falls sie selbst dabei draufgehen sollten …

Zwölf Uhr mittags – eine düstere Variante

1964 war der überzogene Patriotismus, mit dem man die frühen Jahre der Vereinigten Staaten von Amerika lange verklärt hatte, längst abgebröckelt. Die nüchterne Realität einer sündenreichen Vergangenheit ließ sich beim besten Willen nicht mehr leugnen. Sogar Hollywood hatte die Zeichen der Zeit begriffen; brutal hatte u. a. Regisseur Fred Zinnemann bereits 1952 in „High Noon“ (dt. „Zwölf Uhr mittags“) mit den alten Mythen von Gerechtigkeit und Gemeinschaftssinn aufgeräumt. In Europa begann die Ära der „Spagetti-Western“, in denen jegliche Werte buchstäblich in den Staub getreten wurden.

Auch der literarische Westen war kein Land der Ahnungslosen mehr. Clifton Adams gehörte einer Generation von Schriftstellern an, die Unterhaltung schrieben, um sie dabei mit einigen bitteren Wahrheiten zu mischen. Das geschah zwar nur bedingt subtil, doch es überrascht heute doch die Intensität, mit der ein angeblich simpel gestricktes Genre wie der Western aufgeladen werden konnte.

Der Wilde Westen ist längst tot

Autor Adams lässt keinerlei Zweifel daran: Die große Zeit des Westens ist vorbei. Das letzte freie Land in Oklahoma wird gerade an Siedler verteilt. Felder und Zäune werden die Wildnis zeichnen. Damit wird die Ära der großen Viehbarone und ihrer Cowboys ihr Ende finden. Elbow ist eine Boomstadt der Neuzeit. Die Geschäftsleute haben hier das Sagen, der Marshal ist ihr Angestellter, und so behandeln sie ihn auch.

Indianer kennen die Bürger dieser tief im Westen gelegenen Provinzstadt nur noch vom Hörensagen. Um die Feier zum Unabhängigkeitstag zu ‚würzen‘, haben die Stadtväter einige Ureinwohner gemietet. Als diese sich weigern, am Festumzug teilzunehmen, planen ihre Auftraggeber Vergeltung: Die unbotmäßigen Roten sollen wegen Vertragsbruch belangt werden. Der alte Westen ist wirklich tot …

Mit solchen sarkastischen Einlagen vermag Adams den Paradigmenwechsel besonders deutlich zu machen. Er bezieht die Hauptfigur ausdrücklich ein. Wenn wir Ott Gillman das erste Mal begegnen, steht er vor einem Spiegel und stellt fest, dass seine besten Jahre vorbei sind. Energische Gesetzesmänner wie er haben ihre besten Zeiten in der Tat hinter sich. In Elbow ist Gillman längst zum Ordnungshüter abgesunken, der betrunkene Cowboys einbuchtet und Verkehrsrowdys maßregelt. Dazu passt sein Deputy, ein fett und faul gewordener Schlagetot, über den die Bürger spotten.

Gillmans Ratlosigkeit wird auch durch seinen Umgang mit der Presse dokumentiert, deren Regeln er nicht versteht und zu dessen Spielball er wird. Statt zu begreifen, dass ein moderner Marshal sich darstellen muss, ignoriert Gillman die Journalisten; einmal versucht er sogar (erfolglos), einen ihm nicht genehmen Artikel zu unterdrücken.

Der erbitterte Kampf zwischen Gillman und seinen Peinigern vollzieht sich praktisch ohne Beteiligung der Bürger. Sie lassen ihren Marshall nicht offen im Stich; sie feiern ihren Unabhängigkeitstag und bemerken die tödliche Auseinandersetzung dabei gar nicht. Dies ist ein weiterer, ebenso gelungener wie beißender Kommentar zu Gemeinschaftssinn und Pioniergeist.

Anachronismus und Dunkelheit

Alle Erfahrung ist ohnehin nutzlos, als Gillman mit den Princes konfrontiert wird. Der Marshal weiß mit Räubern, Unruhestiftern und anderen ‚klassischen‘ Schurken umzugehen. Doch Nick, Dellie, Pete und Willie sind Gestalten aus einer Schauergeschichte – vom Hass zerfressen, jeglicher Vernunft unzugänglich, bösartig bis zur Selbstzerstörung. Sie wollen Ott Gillman nicht einfach töten, um sich zu rächen: Sie wollen ihn vernichten. Um Mitternacht soll er symbolträchtig sterben und die Stunden bis dahin in Angst und Schrecken verbringen. Wer dem schrecklichen Quartett in die Quere kommt, verfällt ebenfalls ihrem Bann – und das ist die korrekte Bezeichnung, denn der Zorn der Princes ist schier nicht von dieser Welt.

Diesen Gegnern kann Gillman von Anfang an nichts entgegensetzen. Eine Verständigkeit kommt nicht zustande. Den eigenen Tod haben die Princes einkalkuliert. Sie sind Psychopathen, und Nick Prince, der schon äußerlich nur noch ein lebender Leichnam ist, gibt ihren Anführer. Dazu passt perfekt die absurde Waffe, mit der sie ins Feld ziehen – eine selbst gebaute Super-Schrotflinte, deren Ladung die Opfer in Geschnetzeltes verwandelt.

Für eine Liebesgeschichte bleibt wenig Raum in dieser Geschichte. Gillman muss erleben, dass sich seine ehemalige Braut in eine irrsinnige Rächerin verwandelt hat. Aber es gibt Hoffnung in Gestalt einer ehemaligen Salon-Prostituierten, die nun mit einem opiumsüchtigen Quacksalber herumzieht …

„Tanz im Hexenkessel“ liest sich über weite Strecken wie ein Fiebertraum. Schon der absurd lange Originaltitel zeugt vom Bruch mit dem klassischen Epos-Western. Allerdings kann Adams literarisch nicht vollständig umsetzen, was ihm vorschwebte. Die dramatische Handlung mündet in ein Finale, das mit Klischees nicht spart. Zwar wird beileibe nicht alles gut, aber das Ende ist doch enttäuschend konventionell. Bis es so weit ist, nimmt Adams seine Leser mit auf einen Höllentrip, der es in sich hat!

Autor

Clifton Adams wurde 1919 in Comanche, Oklahoma, geboren. Einem Studienversuch an der University of Oklahoma Business School in Norman folgte bald die Erkenntnis, dass sich Adams lieber als professioneller Schriftsteller versuchen wollte. Der II. Weltkrieg, eine Ehe und die Gründung einer Familie ließen ihn jedoch davon Abstand nehmen, bis er es ab 1950 erneut und ernsthaft mit dem Schreiben versuchte.

Adams verfasste Western, die bei Kritik und Publikum gut ankamen. Außerdem schrieb er als „Jonathan Gant“ in den 1950er Jahren einige Kriminalromane. Ein weiteres Pseudonym – dieses Mal wieder für Western – war „Clay Randall“. Adams verfasste außerdem Artikel für die „Saturday Evening Post“, das „American Legion Magazine“, „Argosy“ u. a.

Gleich in zwei aufeinander folgenden Jahren (1969 und 1970) wurde Adams der „Spur Award“ der „Western Writers of America“ verliehen. Am 7. Oktober 1971 erlitt der Schriftsteller in San Francisco einen Herzanfall und starb im Alter von nur 52 Jahren.

Taschenbuch: 156 Seiten
Originaltitel: The Hottest Fourth of July in the History of Hangtree County (Garden City, New York : Doubleday 1964)
Übersetzung: Norbert Wölfl
http://www.randomhouse.de/goldmann

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