Allende, Isabel – Insel unter dem Meer, Die

_Isabel Allende ist Spezialistin_ für Romane über starke Frauen. Da kommt es auch vor, dass ihre starken Frauen dermaßen unabhängig, freiheitsliebend und übergroß sind, dass der Leser sie für überzeichnet halten könnte, wüsste er nicht, dass Allende selbst diese unglaubliche Stärke und den unbändigen Lebenswillen mit ihrer eigenen Vita immer und immer wieder bewiesen hat. Dass sie, durchaus vom Leben gebeutelt, letztendlich doch immer das Positive in einem Schicksalsschlag sehen kann und nach vorne schaut, ist beeindruckend. Dass sie diese lebensbejahende Stärke mit immer wieder neuen Melodien in ihren Romanen besingt, ist keineswegs langweilige Wiederholung. Es ist Beweis dafür, dass hier eine Autorin ihr Thema gefunden hat – ein Thema, das sich immer wieder auf neue und überraschende Weise interpretieren lässt.

In Isabel Allendes neuem Roman, „Die Insel unter dem Meer“ (ein Euphemismus für das Jenseits), heißt diese starke Frau Zarité. Gleich im ersten Kapitel lernen wir sie als gestandene Frau mittleren Alters kennen, die geliebt und gelitten hat, und uns wird ihre Geschichte versprochen. Doch dann geht es eine ganze Weile erst mal gar nicht um Zarité, denn Isabel Allende hat sich mit „Die Insel unter dem Meer“ ein groß angelegtes Panorama vorgenommen, einen Historienroman allererster Güte.

Die Bühne bietet Saint-Domingue, Ende des 18. Jahrhunderts. Saint-Domingue, das heutige Haiti, war damals französische Kolonie und Exporteur von Zucker. Die zahlreichen Zuckerplantagen, von französischen Kolonialisten geführt, wurden von zahllosen Sklaven bewirtschaftet, die so schlecht behandelt wurden, dass sie in der Regel nach einigen Monaten „verschlissen“ waren und ersetzt werden mussten. In dieses Land, das irgendwo zwischen französischer Hochkultur und gesetzloser Barbarei schwankt, verschlägt es den jungen Toulouse Valmorain. Dessen Vater führte bisher die familieneigene Zuckerplantage, damit die Familie in Frankreich gut leben konnte. Doch nun liegt er im Sterben und Valmorain muss notgedrungen das Zepter übernehmen. Schnell stellt er fest, dass seine aufgeklärten Ansichten, von den aktuellen französischen Philosophen beeinflusst, ihm hier kaum weiterhelfen. Und so akzeptiert er bald ohne jede geistige Gegenwehr die Sklaverei als gottgegeben und unausweichlich, überlässt jedoch die wirklich brutalen Züchtigungen seinem Aufseher und beruhigt sich damit, dass Neger ohnehin weniger Schmerzempfinden haben als Weiße.

Als er auf Kuba seine Frau Eugenia kennenlernt und diese schließlich mit auf die Plantage bringt, kauft er für sie die neunjährige Zarité, damit diese der Herrin zur Hand geht. Bald stellt sich heraus, dass Eugenias Psyche der neuen Umgebung nicht standhält und so sorgt sich Zarité nicht nur um den Haushalt und um den neugeborenen Stammhalter Maurice, sondern auch um Eugenia, die immer mehr dem Wahnsinn verfällt und schließlich stirbt. Währenddessen befiehlt Valmorain Zarité des nächtens in sein Bett, vergewaltigt sie wiederholt und zeugt mit ihr zwei Kinder. Es sind die Kinder, ihre eigenen und auch Maurice, die sie von nun an an Valmorain binden. Selbst als sie die Möglichkeit zur Flucht hat, bleibt sie. Und als der Sklavenaufstand Valmorains Plantage zu überrennen droht, rettet sie ihn – wieder um der Kinder willen. Es verschlägt die beiden nach New Orleans, wo Zarité schließlich ihre Freiheit erzwingt und Valmorain ein zweites Mal heiratet.

_“Die Insel unter dem Meer“_ ist einer dieser historischen Romanen, in denen man sich wunderbar verlieren kann. Das Setting ist exotisch und schon darum ist man fasziniert von all den unbekannten Farben, Lauten, Landschaften und Menschen, die Isabel Allende im Verlauf des Romans zu einem riesigen Wandgemälde fügt. Selbst, als die Handlung nach New Orleans wechselt und die Charaktere die grüne, ungebändigte Hölle des Dschungels gegen die anspruchsvolle und vergnügungssüchtige kreolische Gesellschaft eintauschen, bleibt der Roman voller Sinneseindrücke. Tatsächlich gelingt ihr die Beschreibung New Orleans‘ besser als die der haitischen Plantagen, denn Isabel Allende ist eine Frau der Genüsse und derer bieten sich in dieser großstädtischen Gesellschaft einfach mehr: Da wird geschlemmt und geliebt, gestorben und duelliert, dass es eine Freude ist.

Schade daran ist einzig, dass die Protagonistin des Romans einer der uninteressantesten Charaktere ist. Auch Isabel Allendes Versuch, Zarité durch einzelne, in Ich-Form erzählte Kapitel, erfahrbarer zu machen, scheitert auf ganzer Linie. So unterbricht sie den Fluss der Handlung immer wieder, um Zarité selbst ihre Sicht der Dinge erzählen zu lassen. Doch diese Passagen bleiben blass und wirken seltsam fern. Stattdessen hat man den Eindruck, Zarité wäre der roten Faden, der alle anderen Charaktere dieses Romans verbindet. Und derer gibt es viele. Da wäre natürlich zunächst Valmorain zu nennen, dessen Ansichten über die Sklaverei im Allgemeinen und den Neger im Besonderen große Teile der Erzählung einnehmen. Die Widersprüchlichkeiten in seiner Argumentation sind dabei ein Reiz der Figur. Dass Freiheit offensichtlich ein Gut ist, dass für sich selbst Wert hat, will ihm nicht in den Kopf. Schließlich hat Zarité doch bei ihm alles, was sie braucht. Er sorgt gut für sie, meint er zumindest. Wozu sie also ständig auf ihre Freilassung drängt und diese schlussendlich sogar erpresst, will ihm nicht in den Kopf. Er fühlt sich gar von ihr verraten, als wäre er es, dem hier Unrecht getan wurde. Diese widersprüchliche Argumentationskette lässt vermuten, dass Valmorains gebildeter Verstand anders kaum mit den Gegebenheiten umgehen könnte. Denn im Gegensatz zu seinem Sohn, der zu seinen Überzeugungen steht und gegen die Sklaverei kämpft, ist Valmorain eigentlich zu feige und zu bequem, um an den Zuständen etwas ändern zu wollen. Er arbeitet lieber innerhalb des Systems und baut außerhalb von New Orleans die modernste und menschenfreundlichste Plantage auf. So als wären eine wasserdichte Hütte, regelmäßige Mahlzeiten und eine notdürftige medizinische Versorgung genug Bezahlung für die erzwungene Unfreiheit der Sklaven.

Dann wäre da noch Violette, die freie Mulattin, die als Konkubine große Erfolge feiert und schließlich durch die Heirat mit einem Franzosen in der Gesellschaft aufsteigt. Oder Tante Rose, die Voodoo-Priesterin, die mit Kräutern allerlei Krankheiten heilen kann und sich einen so guten Ruf erarbeitet hat, dass sogar ein französischer Arzt ihre Bekanntschaft sucht, um von ihr zu lernen. Oder Zacharie, der Sklave, der mit seinem herrschaftlichen Benehmen Ärger heraufbeschwört und dafür mit seinem schönen Gesicht bezahlen muss.

_Es gibt also viel_ zu entdecken in Isabel Allendes Roman. Dass da einiges zu bunt und zu überzeichnet gerät, ist fast verzeihlich. So lässt sie es sich nicht nehmen, gegen Ende auch noch eine Inzestbeziehung einführen zu müssen, deren Brisanz fast gänzlich unter den Teppich gekehrt wird, da der viel größere Tabubruch offensichtlich die Gemischtrassigkeit der Eheleute ist. Dass Zarité nach vielen Schicksalsschlägen dann doch Frieden mit der Welt schließt und bei sich selbst ankommt, erwartet man von Isabel Allende. Und sie enttäuscht nicht. Im Großen und Ganzen ist „Die Insel unter dem Meer“ nämlich eine runde Sache.

|Hardcover: 557 Seiten
Originaltitel: La isla bajo el mar
ISBN-13: 978-3518421383|
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