Asimov, Isaac / Greenberg, Martin / Olander, Joseph (Hgg.) – Fragezeichen Zukunft

_Ewige Fragen, bis ans Ende aller Dinge_

Dies ist wieder mal eine jener Anthologien, denen Isaac Asimov, einer der bekanntesten SF-Autoren, nur seinen Namen, das Vorwort und eine Story geliehen hat. Die Kärrnerarbeit hatten Marty und Joe zu erledigen, d. h. die Herausgeber Martin Greenberg und Joseph Olander. Und entgegen der Ankündigung des Rückseitentextes sind weder Arthur C. Clarke noch Alfred Bester noch James Blish mit Beiträgen vertreten.

Dennoch ist die Storysammlung kein kompletter Reinfall, sondern bietet mit Novellen von John W. Campbell (Vorlage zu Nybys & Hawks‘ sowie Carpenters „Das Ding aus einer anderen Welt“) und Theodore Sturgeon (über das Paradies der freien Liebe) zwei herausragende Beiträge, die man als SF-Fan kennen sollte.

_Die Herausgeber_

Isaac Asimov, geboren 1920 in Russland, wuchs in New York City auf, studierte Biochemie und machte seinen Doktor. Deshalb nennen seine Fans ihn neckisch den „guten Doktor“. Viel bekannter wurde er jedoch im Bereich der Literatur. Schon früh schloss er sich dem Zirkel der „Futurians“ an, zu denen auch der SF-Autor Frederik Pohl gehörte. Seine erste Story will Asimov, der sehr viel über sich veröffentlicht hat, jedoch an den bekanntesten SF-Herausgeber verkauft haben: an John W. Campbell. Dessen SF-Magazin „Astounding Stories“, später „Analog“, setzte Maßstäbe in der Qualität und den Honoraren für gute SF-Storys. Unter seiner Ägide schrieb Asimov nicht nur seine bekannten Robotergeschichten, sondern auch seine bekannteste SF-Trilogie: „Foundation“. Neben SF schrieb Asimov, der an die 300 Bücher veröffentlichte, auch jede Menge Sachbücher, wurde Herausgeber eines SF-Magazins und von zahllosen SF-Anthologien.

Übrigens ist in den biobliografischen Daten auch Martin H. Greenberg als Herausgeber ausgewiesen. Er gibt wahrscheinlich noch heute Anthologien zu einfallsreichen Themen heraus. Auch Joseph Olander ist ein Anthologist, denn Anthos sind in den USA ein einträgliches Geschäft für Verlage, um ihr Copyright mehrmals zu verwerten.

_Die Erzählungen_

_1) Brian W. Aldiss: Wer kann einen Menschen ersetzen? (1959)_

Nach dem Atomkrieg sind die Menschen fast vollständig ausgestorben. Das kapieren die Robotmaschinen aber erst nach und nach. Sie können nicht arbeiten, weil ihnen niemand mehr Anweisungen gibt, und weil das Klasse-eins-Zentralgehirn in der Hauptstadt sich im Krieg mit zwei Klasse-zwei-Gehirnen befindet, kommt es als Befehlsgeber auch nicht in Frage. Die verwaisten Maschinen machen sich auf nach Süden, weil es dort noch eine winzige Kolonie überlebender Menschen geben soll. Als sie einen zerlumpten, halbnackten, verletzten und ungeniert pinkelnden Mann treffen, sind sie glücklich, endlich ihren Meister gefunden zu haben.

|Mein Eindruck|

Teils eine traurige Post-Holocaust-Satire, teils eine Lewis-Carroll-Fantasie, liest sich die Story kurzweilig und wie ein Märchen. Sie wäre lustig, wenn der Anlass dafür nur nicht so ernst wäre.

_2) Mark Clifton: Was habe ich getan? (1958)_

Der Erzähler ist ein Stellenvermittler (so wie der Autor jahrelang Personaldirektor war) und kann von Berufs wegen einen Menschen im Handumdrehen einschätzen und beurteilen. Aber nicht diesen Typen, den er eines Tages am Imbissstand sieht. Der ist völlig ohne Ausdruck. Wenig später sitzt der Typ in seinem Büro, um sich vermitteln zu lassen. Aber obwohl der Fremde Astronomie studiert haben will, sagt er, seine Mathekenntnisse seien bescheiden – und er verspricht sich, als er angibt, das Sonnensystem haben zehn Planeten.

Spätestens jetzt ist unserem Chronisten klar, dass er es mit einem Fremdweltler zu tun hat, und sagt dies auch. Dessen Augen werden auf einmal völlig schwarz. Ja, das Ganze war ein Selbsttest. Dann verschwindet er. Doch unser Mann verfolgt ihn unauffällig. Allerdings wohnt in dem Häuschen, worin der Fremde verschwunden ist, nur ein altes Ehepaar, das äußerst misstrauisch ist. Wochen später ist der Fremde wieder im Stellenmaklerbüro, diesmal verkleidet als eine Art Romeo mit umwerfendem Charme. Die totale Übertreibung, aber das sagt unser Mann nicht.

Der Fremdweltler stellt ihn vor eine entscheidende Wahl, ein Dilemma: Entweder hilft er den Arkturianern bei ihrer Invasion der Erde, indem er ihnen beibringt, völlig glaubwürdig menschlich aufzutreten – oder die Menschheit wird ausgerottet. Der Arkturplanet hat ein Übervölkerungsproblem und braucht Lebensraum – auf der Erde. Das Dilemma: Die Menschheit wird entweder schnell oder langsam vernichtet. Protest fruchtet nichts. Also entschließt sich unser Mann zu einem hinterlistigen Plan.

Natürlich haben sich die Arkturianer in Beverly Hills niedergelassen. Unter der Hollywood-Bande fallen sie kaum auf mit ihrem marionettenhaften Auftreten. Es sind dreißig, die Vorhut, alle mit menschlichen Körpern versehen. Unser Mann lehrt sie, woraus Menschen bestehen: Körper, Geist, Seele. Und dann lehrt er sie Dinge über den Menschen, die ihnen zum Verhängnis werden, sobald sie sie anwenden …

|Mein Eindruck|

Das ist mal eine Invasionsstory der ungewöhnlichen Art. Die Kenntnisse, die unser Chronist – und mit ihm der Autor – einbringt, sind sehr interessant, denn man findet sie kaum jemals in der SF: gewöhnliche menschliche Eigenschaften aus dem Alltag. Was uns aber völlig normal erscheint, unterscheidet sich radikal von unseren Idealen, wie sie in der Literatur zu finden sind, etwa in frommen Büchern und romantischen Dramen.

Der Autor erweist sich als völlig desillusioniert, was die Besserungsfähigkeit der menschlichen Natur anbelangt. Und so fällt es dem Stellenvermittler leicht, den Aliens alle Ideale anzutrainieren, welche die Menschen ersehen – und aufs Heftigste ablehnen, sobald sie ihnen begegnen … Das sagt schon viel über diese Ideale aus. Und dass der Erzähler dazu gezwungen ist, sie zu lehren und zugleich zu verraten, veranlasst ihn zu der Frage im Titel der Story.

_3) Robert Silverberg: Warum? (1957)_

Wozu Raumfahrt, warum? – Brock und Hammond sind zwei Weltraumerforscher, die inzwischen schon elf Jahre unterwegs sind und 146 (oder 164) Welten besucht haben. Nirgends fanden sie intelligentes Leben, und allmählich hat Brock die Nase voll. Er stellt Hammond die unausweichliche Frage: „Warum? Warum machen wir das noch?“ Sie fingen an, als sie beide dreiundzwanzig Jahre alt waren und von der kleinen, engen, schmutzigen Erde genug hatten. Sie waren beileibe nicht die ersten Raumerkunder und werden nicht die letzten sein. Aber ihr Tun erscheint Brock allmählich sinnlos.

In der Nacht hat Hammond auf der Welt Alphecca II einen seltsamen Traum. Er träumt, er habe Wurzeln und würde wie eine Pflanzen wachsen. Doch gleichzeitig wünscht er sich, über den nächsten Hügel wandern zu können. Bevor er Brock davon erzählen kann, zeigt dieser ihm am Morgen, dass ihr Raumfahrzeug von Ranken überwuchert ist. Als sie die Gegend erkunden, wird Brock von einer dieser Ranken gepackt und um ein Haar entzwei gerissen. Natürlich gelingt die Befreiung, und sie ziehen sich ins Schiff zurück.

Endlich findet Hammond die Antwort auf die Frage seines Freundes …

|Mein Eindruck|

Silverberg ist ein Meister darin, sich einer vielfach vernachlässigten und missachteten Empfindung des Menschen anzunehmen: Langeweile, |ennui|. Wenn man schon alles gesehen, erlebt und besessen hat, wenn man unsterblich ist und ewig lebt, welche Werte gibt es dann noch, die einen Menschen veranlassen könnten, weiterleben zu wollen? Es ist eine der Fragen, die sich die SF stellt: Was bedeutet es, menschlich zu sein?

In dieser Story findet sich durch die Erfahrung des Gegenteils die Antwort auf die Frage, warum Menschen den Raum befahren. Weil sie eben Menschen sind und sich fortbewegen können. Pflanzen, selbst wenn sie intelligent sind, können dies nicht. Und wenn die Ranken einen Raumfahrer umschlingen, dann nicht, um zu fressen, sondern aus Neid und Eifersucht! Es ist das Privileg des Menschen, mobil zu sein, erkennt Hammond. Fortan nutzen die beiden Erkunder dieses Vorrecht weidlich aus und fliegen weiter in Regionen, die noch nie zuvor ein Mensch sah.

_4) Ron Goulart: Was ist aus Schraubenlocker geworden? (1970)_

Der Privatdetektiv Tom ist auf der Suche nach der kalifornischen Millionenerbin Mary Redland. Sie ist aus einer psychiatrischen Klinik verschwunden. Als er ihr Strandhaus betritt, wird er von einer intelligenten Spülmaschine attackiert, doch er kann sie überlisten, so dass sie über die Klippe ins Meer fällt. Mary Redlands Vater, der Erfinder, scheint eine ganze Reihe solcher Roboter gebaut zu haben – manche davon zu dem Zweck, Menschen zu töten.

Nach einigen Recherchen stößt er auf das mondäne Herrenhaus der Redlands. Im „Spielhaus“ hat sich Mary versteckt. Sie scheint ganz allein zu sein, als er sie findet. Tom scheint ein alter Freund der Familie zu sein, denn sie schüttet ihm sogleich ihr Herz aus. Der Grund, warum sie in der Psychiatrie war, scheint eine Gehirnwäsche gewesen zu sein. Die hatte ihr ihr Vater verpasst, um einen Mordplan zu vertuschen, den sie mitangehört hatte. Sowohl beim Mord als auch bei der Vertuschung half ihm dabei der Roboter Schraubenlocker. Dieser war als Marys Privatlehrer angestellt und sollte sie beschützen. Doch warum tat er ihr die Gehirnwäsche an?

Da tritt ein Mann ein, der eine Pistole auf Tom und Mary richtet. Es ist Schraubenlocker selbst. Er beschützt Mary immer noch vor der Wahrheit, warum dies alles damals geschah, als sie ein kleines Mädchen war, und besuchte sie sogar in der Klinik. Das löste ihre Flucht aus. Doch was hat er als Entschuldigung vorzubringen?

|Mein Eindruck|

Die Story ist eine hübsche kleine Detektivgeschichte. Das Besondere daran: Die Übeltäter scheinen Roboter zu sein. Was zunächst recht lustig wirkt, wird zunehmend ernst, bis es auf einer tragischen Note endet. Diese Roboter scheinen nicht den Asimov’schen Gesetzen der Robotik zu gehorchen, und doch ist es so. Bekanntlich dienen die Gesetze dazu, den Menschen ebenso wie den Roboter vor Schaden zu bewahren. Aber wie bewahrt man ein kleines Mädchen davor, einen dauerhaften seelischen Schaden davonzutragen?

_5) Kate Wilhelm: Wo bist du gewesen, Billy Boy, Billy Boy? (1971)_

Als Billy Gordon erst acht ist oder so, erlebt er, wie sein Vater, ein Professor (vermutlich der Soziologie oder Ökonomie), dem Senat vorschlägt, den drohenden Untergang der Welt durch eine radikale Lösung aufzuhalten. Die Überbevölkerung, die zu einer tödlichen Umweltverschmutzung führt, könne nur noch durch ein Mittel aufgehalten werden: Die Hälfte der Bevölkerung muss sterben, damit die andere überleben kann. Man erklärt Prof. Gordon für wahnsinnig.

Nichtsdestotrotz führt allein schon die Drohung und Überlegung über die Maßnahme zu Demonstrationen, die just, als Billy mit seiner Mutter Weihnachtsgeschenke kaufen will, zu gewalttätigen Ausschreitungen führen, in deren Verlauf seine Mutter ums Leben kommt. Doch Billy überlebt. Verfügt er über eine besondere Gabe?

Als er erwachsen ist, hat die Regierung einen Orwell’schen Überwachungsstaat errichtet, der gegen seine rebellischen Gegner brutal vorgeht. In seiner Marketingfirma sind keine Mitarbeiter mehr, er ist der letzte. In seiner Drei-Mann-Band verfasst er einen melancholischen Song, und als er am Abend mit ihnen nach Hause geht, fasst er mit Rhonda den verrückten Plan, sich mit einem Panzerwagen zum platten Land durchzuschlagen, raus aus der umkämpften Stadt.

|Mein Eindruck|

Diese Story, die völlig unchronologisch und nonlinear erzählt wird, muss man wahrscheinlich mehrmals lesen, um sie vollständig zu verstehen. Allerdings hat sie mich so deprimiert, dass ich dazu keinerlei Lust verspüre. Auf jeden Fall geht es um das Eintreffen der von Prof. Gordon vorhergesagten Katastrophe, aber auch um die Lösung, die er vorschlug: Die andere Hälfte der Bevölkerung verschwindet – und das in nur etwa 15 bis 20 Jahren, die Billy braucht, um erwachsen zu werden und einen führenden Job in seiner Firma zu erringen. Die beunruhigende Frage ist allerdings: Wie kam es zu diesem massenhaften Verschwinden? Könnte Billy etwas damit zu tun haben?

_6) Theodore Sturgeon: Wenn alle Menschen Brüder wären, würdest du einen davon deine Schwester heiraten lassen? (1967)_

Eigentlich ist Charli Bux nur ein Sesselfurzer und Rechnungsprüfer, aber er arbeitet im zentralen galaktischen Archiv und stolpert dabei über merkwürdig billige Rohstoffangebote. Hartnäckig, wie Charli nun mal ist, versucht er mehr darüber herauszufinden, außerdem mag er Jamaica Blue Mountain Kaffee und würde ihn selbst gerne so günstig kaufen. Auf der Welt Lethe jedoch kommt er nicht weiter, denn allen seinen Bemühungen, nach Vexvelt weiterzukommen, scheinen „unglückliche Umstände“ einen Riegel vorzuschieben. Dass es im Zentralarchiv keine Aufzeichnungen über diesen Planeten gibt, findet Charli ebenfalls ziemlich verdächtig.

Nun ist jedoch der Raumhafen von Lethe ein übles Pflaster, und so kommt es, dass Charli Gelegenheit hat, einem echten Vexveltianer im Kampf gegen nächtliche Räuber beizustehen. Zum Dank nimmt ihn der Mann namens Vorhidin an Bord seines Raumschiffs mit zu seiner verbotenen und versteckten Heimatwelt. An Bord lernt Charli die bezaubernde Tamba kennen, eine freigebige Schönheit mit rabenschwarzem Haar, die Charli gerne in die Mysterien der vexveltianischen freien Liebe einführt. Vorhidin hat absolut nichts dagegen, ganz im Gegenteil. Charli, das ist klar, verliebt sich auf der Stelle in Tamba. Klar, dass er neugierig ist auf die Welt, von der Tamba stammt.

Kurz gesagt, ist Vexvelt ein ökologisches Utopia mit dem besonderen Flair von Kalifornien. Die Gesellschaft gedeiht und alle sind happy. Doch schon in der ersten Nacht erleidet Charli einen Schock: Tamba will nicht mit ihm schlafen, sondern mit ihrem Bruder Stren. Sie habe es diesem versprochen. Charli braucht Wochen, bis er darüber hinwegkommt, und verantwortlich ist dafür vor allem die Fürsorglichkeit von Tambas rothaariger Schwester Tyng. Doch als er diese eines Morgens im Bett ihres Vaters Vorhidin vorfindet, bricht Charli vollkommen zusammen. Wieder dauert es Wochen, bis Vorhidin Charli so weit hat, dass Charli bereitet ist, die Besonderheit von Vexvelt zu verstehen und zu akzeptieren.

Doch eine Sache hat Charli immer noch nicht begriffen: Warum die anderen Welten eher bereit wären, Vexvelt auszuradieren, als mit den Verfemten Handel zu treiben, und sei er noch so lukrativ. Ja, die Vexvelter können sogar Krebs heilen. Erst als er mit seinem Boss, dem Archivmeister, gesprochen hat, muss er resignierend anerkennen, dass es nun mal so ist, das niemand etwas mit dieser Kultur zu tun haben will. Wenn er auf Vexvelt umsiedeln will, muss er allem entsagen, was er gekannt und geliebt hat. Eine schwere Wahl.

|Mein Eindruck|

Diese Novelle wurde 1967 als Beitrag für Harlan Ellisons berühmte Anthologie „Dangerous Visions“ veröffentlicht. Alle Beiträge sollten eingefahrene Vorstellungen in Frage stellen und den Leser provozieren. Und tatsächlich ist diese Geschichte auch heute noch – und solange es das Inzest-Tabu geben wird – dazu angetan, Aversionen und Diskussionen auszulösen. Denn keineswegs wird hier Inzest mit Eltern und Geschwistern als negativ dargestellt, sondern vielmehr als positiver kultureller und biologischer (!) Faktor.

Die Geschichte braucht sehr lange, bis dem Leser die Wahrheit enthüllt wird, warum die Außenwelt diesen Planeten so schrecklich findet und geächtet hat. Das ganze Drumherum wird in dem langen Dialog durchgekaut, den Charli mit seinem Archivmeister führt. Charlie erzählt nicht alles, und deshalb erfahren wir seine zurückgehaltenen Erinnerungen in Kursivschrift. Erst das letzte Drittel ist praktisch Charlis Erlebnis aus erster Hand und besteht wiederum in der Hauptsache aus einem langen Dialog, wobei Vorhidin alle Punkte vorbringt, die für Inzest und gegen dessen Ächtung sprechen. Warum aber Charli so disponiert ist, am Ende zu den Vexveltianern überzulaufen, wird aus der Geschichte nicht ersichtlich. Das ist eine weitere Schwäche.

All diese Quasselei fand ich jedenfalls sehr ermüdend. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Leser von „Dangerous Visions“ zusätzlich zu dieser Story auch noch das obligatorische, ausführliche Vorwort von Herausgeber Harlan Ellison ertragen konnten.

Jedenfalls würde ich dem Leser, der Sturgeon als einen der wichtigsten und besten Story-Erzähler kennenlernen will, die neuen Storysammlungen empfehlen, die der |Shayol|-Verlag veranstaltet. Michael Iwoleit hat Sturgeon in seinem Essay im „Heyne SF Jahr 2007“ ausführlich vorgestellt (ab. S. 285).

_7) John W. Campbell: Wer geht dort? (1938)_

Dies ist die literarische Vorlage für Howard Hawks‘ & Christian Nybys SF-Film „Das Ding aus einer anderen Welt“ – und natürlich auch für dessen Remake von John Carpenter!

Die Besatzung der amerikanischen Südpol-Station ist im ewigen Eis auf ein außerirdisches Raumschiff gestoßen, das seit zwanzig Millionen Jahre hier liegen muss – es hat einen zweiten magnetischen Südpol verursacht. Um eindringen zu können, sprengen sie das U-Boot-förmige Vehikel mit Thermit – und setzen es dabei in Brand, weil sie zu spät merkten, dass es vor allem aus Magnesium bestand. Doch ein Insasse ist entkommen, nur um jedoch sogleich zu Eis zu gefrieren. Und diesen Eisblock haben sie nun auf einem Tisch in ihrer Basis liegen.

Was ist damit zu tun, lautet nun die Frage, die die Wissenschaftler zu entscheiden haben. Bringt der Außerirdische Mikroben mit, die Menschen schaden könnten? Nachdem man sich entschieden hat, den Block aufzutauen, ist schließlich zu erkennen, dass das Fremdwesen drei rote Augen in einem blauen Fell hat und sich Tentakel am „Kopf“ bewegen – es lebt! Doch keiner hat daran gedacht, dass es Gedanken lesen oder beeinflussen könnte. Noch ahnt auch keiner, dass es die Gestalt von organischen Lebensformen annehmen könnte.

Als das Alien auf einmal verschwunden ist und es nicht gefunden werden kann, dämmert Kommandant Garry und seinem Vize McReady die schreckliche Wahrheit: Das Alien kann sich in jeden der Männer verwandelt haben, indem es dessen Zellsubstanz imitiert. Und ebenso schnell kann es sich mit der zusätzlichen Zellmasse vermehren und andere Lebewesen, etwa Schlittenhunde, übernehmen und imitieren.

Die Frage ist nun: Gibt es einen endgültigen Test, der beweist, dass ein menschlich aussehender Proband mit absoluter Sicherheit kein Alien ist?

|Mein Eindruck|

Anfang und Ende des Textes sind der Action gewidmet, und Hawks dürfte wohl alles bis Seite 30 verwendet haben. Doch dann kommt eine Zäsur, die einen ruhigen Mittelteil einleitet, in dem fast nur geredet wird. Das ist ziemlich ermüdend, wenn auch notwendig, um die Lage zu begreifen, in der sich die Leute nach dem Verschwinden des Alien befinden (man denke an den Alien-Film von Ridley Scott). Sie haben zudem nicht viel Zeit, denn das Alien wird versuchen, die ganze Erde zu erobern und mit seiner Art zu bevölkern.

Mir hat das Lesen nicht viel Spaß gemacht, denn die Szenen sind wie gesagt nicht sonderlich anschaulich, bis auf das Finale, und die Erzählmethode derartig antiquiert, dass ich nur den Kopf schütteln konnte. Am Anfang berichtet McReady seitenlang in einem ununterbrochenen Monolog von den Ereignissen beim Raumschiff der Aliens. Dann treten die einzelnen Wissenschaftler auf, und allein schon die Aufgabe, sich deren Namen zu merken, ist anspruchsvoll.

Noch seltsamer ist jedoch die Methode der Charakterisierung. Das war wohl der damalige Groschenheftstil, aber so holzschnittartig trieben es selbst Asimov und Heinlein nicht. McReady ist ein bronzener Riese und ein anderer Mann scheint nur aus Stahl zu bestehen. Klar, dass wir diesen Typen trauen sollten. Aber nur weil das behauptet und mehrmals wiederholt wird, muss es noch lange nicht glaubhaft klingen. Wahrscheinlich hielt der Autor seine (meist jugendlichen) Leser für begriffsstutzig.

In der Übersetzung durch Rosemarie Hundertmarck, die hier vorliegt, wurden alle Kapitel säuberlich nach Sinn- und Zeiteinheiten getrennt.

_8) Damon Knight: Auge um Auge – aber wie? (1957)_

Die Vorhut der irdischen Flotte unter dem Kommando von Commander Carver versucht auf der erdähnlichen Welt eines Sterns vom Sol-Typ einen Stützpunkt zu errichten und Handelsbeziehungen zu etablieren. Während eine Delegation auf dem Planeten Kontakt mit dem Ältestenrat der intelligenten Gorgoner aufnimmt, nimmt das Raumschiff einen Vertreter der Gorgoner an Bord. Die Forscher für Fremdwesen, die Xenologen, taufen ihn auf den Namen George. Nach einer Weile können sie sich gut mit ihm verständigen, doch der Begriff „panga“ ist ihnen ein Rätsel. Ist es eine Verwandtschaftsbezeichnung? Aber warum ist sie dann so verwirrend?

Da kommt es zum einem peinlichen Zwischenfall bei einem Bankett im Kapitänszimmer. Während George sich bislang immer zurückgehalten hat, reißt er beim Dessert der Gattin des Kapitäns das Dessert weg und verzehrt es selbst! Die werte Dame kippt hintenüber und bekommt einen hysterischen Anfall. Klar, dass George erst einmal in Sicherheit gebracht wird. Die Xenologen wollen keinen diplomatischen Zwischenfall riskieren, wenn ihre Delegation auf dem Planeten als Geisel genommen werden könnte. Erst einmal die Gorgoner fragen.

Der Ältestenrat urteilt, dass George von den Geschädigten, also den Menschen, bestraft werden müsse. Und zwar muss diese Strafe so angemessen ausfallen, als wenn sie von einem Gorgoner vollstreckt worden wäre. Falls die Bestrafung nicht angemessen und rechtzeitig bis Ablauf einer Frist erfolgt ist, werde die Delegation stattdessen bestraft. Nun ist guter Rat teuer: Wie bestraft man ein Wesen, das kugelrund ist, sich beliebig strecken und unter Wasser atmen kann? Wie sich herausstellt, spielt „panga“ eine Schlüsselrolle – in letzter Sekunde …

|Mein Eindruck|

Nach Bewältigung dieser Krise beim Erstkontakt hat der Kapitän jedoch keinerlei Interesse mehr an der Welt dieser Gorgoner und zieht mit seiner Flotte weiter. Die Logik dahinter erschließt sich dem Leser bei genauerem Nachdenken durchaus, allerdings wird sie ihm nicht auf dem Silbertablett serviert.

Die Story ist wunderbar anschaulich erzählt, und eine ganze Reihe von komisch-drastischen Szenen sorgen ebenso für Unterhaltung wie die überraschenden Wendungen am Schluss. Auf jeden Fall weiß man am Ende auch, was unter „panga“ zu verstehen ist.

_9) Frederik Pohl: Ich Plinglot, wer du? (1958)_

Vor dem US-Senat sagt ein Mr. Robert S. Smith aus, er habe einen Aktenordner gefunden, in dem stehe, dass die Russen Kontakt zu den Außerirdischen vom Aldebaran hätte und sie demnächst erwarten würden. Wenig später trifft Mr. Smith (der sich nun anders nennt) den kommunistischen Parteisekretär in Moskau und verrät ihm bzw. seinen Unterlingen, die Amis würden demnächst Besuch vom Aldebaran bekommen. Wenig später taucht Mr. Smith in Paris auf, um einem Monsieur Duplessin vom Liebesleben der edlen Aldebaran vorzuflunkern. Enthusiastisch bietet M. Duplessin den Aldebaranern seinen Schutz vor den schurkischen Amis und Russkis an.

Da nun der Boden für seine Mission bereitet ist, verschnauft Mr. Smith für einen Moment, bevor er in der Mojave-Wüste seine Rakete auf Kurs zum Mars schickt. Doch kurz vor ihrem Start entdeckt er einen Aldebaraner an Bord, einen blinden Passagier. Das etwa dreißig Zentimeter große Wesen beschwert sich bitterlich darüber, was Mr. Smith mit seinem Volk auf dem schönen aldebaranischen Planeten angerichtet hat. Er habe alle Völker, die seit hundert Jahren friedlich kooperiert hätten, aufeinander gehetzt, bis der Atomkrieg ausbrach und dabei die Meere verdampften.

Mr. Smith – oder Plinglot von Tau Ceti – schickt den letzten Mohikaner mitsamt seiner Rakete zum Mars, damit diese von dort zur Erde zurückkehre und die Menschen gehörig in Aufruhr versetze – oder sogar mehr. Dann begibt er sich nach Washington zum Senat. Durch den Aldebaraner abgelenkt, hat Plinglot jedoch vergessen, wieder eine menschliche Gestalt anzunehmen. Ups, er erlebt eine Überraschung nach der anderen …

|Mein Eindruck|

Mr. Smith ist offensichtlich ein |agent provocateur|, der einen Kriegsausbruch hervorrufen will. Wie sich zeigt, ist er für unseren galaktischen Sektor zuständig und handelt im Auftrag seiner Mutter. Und wie könnte man eine Rasse, die gerade die Raumfahrt entdeckt, besser kurzhalten, indem man einen Krieg provoziert, der diese Rasse um Jahrhunderte zurückwirft oder gar völlig vernichtet?

Geschickt und anschaulich erzählt, warnt diese Story aus dem Kalten Krieg ebenso wie William Tenns (folgende) Story vor dem Atomkrieg und dem Holocaust. Sie ist zugleich ein Aufruf zu Frieden und Versöhnung, aber auch zu Wachsamkeit gegenüber Kriegstreibern wie Mr. Smith.

_10) William Tenn: Wollt ihr nicht ein bisschen schneller gehen? (1951)_

Der SF-Autor, der den Ich-Erzähler darstellt, wird eines Tages von einer Art Gartenzwerg in einer Fliegenden Untertasse entführt und zum Mutterschiff geflogen. Dort befinden sich andere Vertreter der menschlichen Rasse. Sie fragen sich alle, was sie hier sollen und wer die Kobolde sind.

Der Oberkobold hält per Live-Übertragung eine Ansprache an die Menschen. Er stellt sie vor eine Wahl. Da sie eine selbstmörderische Spezies sind und da die Kobolde gerne diesen schönen blauen Planeten als neue Heimstatt übernehmen würden, sollten die Menschen doch bitteschön die ultimative Waffe wählen, die ihnen die Kobolde anbieten, und sich gefälligst selbst eliminieren.

Das Problem der Kobolde ist nämlich: a) Sie haben wenig Zeit und b) die Menschheit hat sich mit den Atombomben (noch) nicht in die Luft gejagt und c) ein Krieg mit H-Bomben würde den Planeten Erde auf Jahrmillionen unbewohnbar machen. Höchste Zeit daher, dass sich die Menschen gegenseitig umbringen. Also, wie wär’s?

Als der Erzähler wieder nach Hause gebracht worden ist, fragt er sich, welcher Vertreter der Menschheit so verrückt sein könnte, den Kobolden ihre Wahl positiv zu beantworten. Ein einfaches Signal würde schon genügen. Man stellt eine Schüssel Milch vor die Tür …

|Mein Eindruck|

Diese kurze Story wurde 1951 veröffentlicht, und sicherlich unter dem überwältigenden Eindruck der ersten H-Bomben-Versuche der USA und – wenig später – der Sowjetunion. Das Wettrüsten im Kalten Krieg begann, der Weltuntergang schien in greifbare Nähe gerückt zu sein. Und dann kommen die Außerirdischen in ihrer Gartenzwergverkleidung und stellen die Menschheit vor eine verhängnisvolle Wahl.

Auf diese Weise macht der Autor klar: Wenn schon die Menschen nichts Vernünftiges mit diesem Planeten anfangen können, so gibt es doch eine Reihe anderer Interessenten, die dieses nette Weltraumgrundstück haben wollen. Möglichst ohne lästige Mitbewohner. Dummerweise haben die Menschen bloß diese eine Welt. Aber wie lange wird der Frieden dauern, bis es einem Selbstmörder einfällt, das letzte Signal zu geben?

Wie man sieht: eine Geschichte mit einem grimmigen Hintergrund und einer ernsten Botschaft, aber lustig vorgetragen.

_11) Isaac Asimov: Die letzte Frage (1956)_

In den 1950er Jahren (als diese Story entstand) stellen zwei angesäuselte Computertechniker zum ersten Mal jene Frage an das leistungsfähigste Elektronengehirn. Die Frage, die Multivac beantworten soll, lautet: „Gibt es eine Möglichkeit, die Entropie umzukehren?“ Die Entropie ist bekanntlich die allgemeine Bewegung des Universums zu allgemeinem Chaos, Energieverlust und Wärmetod. „Ließe sich beispielsweise eine neue Sonne schaffen, um die Entropie umzukehren?“ Diese Frage wird den jeweiligen Superhirnen ihrer Zeit immer wieder gestellt, heißen sie nun Mikrovac, Galaktischer AC, Universaler AC oder gar Kosmischer AC. Noch in Milliarden Jahren wird sie gestellt.

Und immer lautet die Antwort gleich: „Bisher reichen die Daten für eine sinnvolle Antwort noch nicht aus.“ Bis auf das letzte Mal, als der Kosmische AC, der vollständig im Hyperraum existiert, auf eine geniale Antwort verfällt. Schließlich verfügt er nach dem Ende des Universums über genügend Daten …

|Mein Eindruck|

Die letzte Frage gilt, wie zu erwarten, den letzten Dingen. Eines dieser letzten Dinge ist das Ende von allem. Lässt es sich aufhalten oder gar – verwegener Gedanke – umkehren? Bemerkenswert ist an der Story, dass die Frage nicht dem Papst oder dem Dalai Lama gestellt wird, sondern dem leistungsfähigsten künstlichen Gehirn. Denn die Frage gilt ja nicht einem Glaubenssatz – wo ist Gott? -, sondern einem wissenschaftlichen Faktum: Die Entropie nimmt unendlich zu. Das ist einfach einer der Hauptsätze der Thermodynamik. Er gilt schon seit Jahrhunderten unangefochten. Warum sollte ihn also ein wissenschaftlich errichtetes Gerät nicht beantworten können?

Da die Frage nie beantwortet wird – „unzureichende Daten“ -, begleitet sie die Menschheit bei ihrer Ausbreitung über das Sonnensystem, die Galaxis und alles darum herum. Denn die Menschen sind nicht nur überall, sondern auch unsterblich geworden. Trotz dieser annähernden Allmacht können sie den Hauptsatz der Thermodynamik nicht beugen, sondern werden vielmehr dessen Opfer. Auch sie können der Entropie nur auf dem Wege des Hyperraums entgehen, wo der Kosmische AC weiterexistiert. Und nur von dort aus lässt sich ein Neuanfang wagen: „Es werde Licht …“

Der Biochemieprofessor Asimov vermittelt in seiner Geschichte einige wertvolle Einsichten über die Begrenztheit menschlichen Wollens und Erkennens angesichts der Gesetze der Physik. Und ob Computer nun wirklich aus Molekülen gebaut werden oder nicht, spielt eigentlich nur eine untergeordnete Rolle. Heute wird jedenfalls schon daran geforscht.

_Unterm Strich_

Anthologieherausgeber haben sich schon die abgelegensten Themen einfallen lassen – von Katzen und Einhörner über den Götter-Olymp bis hin zu Nanotechnologie. Warum nicht auch zu Fragen, um mal eine überflüssige zu stellen? Aufgrund des Alters dieses Buches – es erschien 1980 – sind die Storys zwar nicht gerade die neuesten (die modernste erschien 1971), aber dafür sind ein paar gute Namen unter den Autoren, und es sind nicht, wie so oft, alles Männer.

Das Niveau bewegt sich meist im guten Mittelmaß, wie mir scheint, und nur ein oder zwei Ausreißer nach oben sind zu verzeichnen. Einer davon könnte als „Wer geht da?“ angesehen werden, doch ich bin kein Fan von John W. Campbell. Aber auch Theodore Sturgeon, von dem ich ansonsten viel halte, hat mich diesmal etwas enttäuscht. Die restlichen Storys sind ganz nett, aber sicherlich nicht weltbewegend. Nur bei Kate Wilhelms „Billy“-Story könnte man ins Grübeln verfallen, denn sie liefert keine fixe Lösung, sondern nur ein Puzzle, das man selbst zusammensetzen muss.

Am lustigsten und hintersinnigsten ist wohl Damon Kinights Geschichte über die Gorgorianer. Sie erfordert, nach etlichen überraschenden Wendungen, ein wenig Nachdenken über den Schluss der Story. Aber die Lösung sollte kein Problem sein. Alles in allem bietet der Band also eine Menge Antworten – und stets auch Informationen über den jeweiligen Autor, ideal für Einsteiger.

Taschenbuch: 303 Seiten
Originaltitel: The Future in Question, 1980
Aus dem US-Englischen von Rosemarie Hundertmarck