Auster, Paul – Mann im Dunkel

Dies ist keine Buchbesprechung, sondern eine Huldigung. Wem das missfällt, der sollte sofort die Lektüre einstellen. Wer die nicht existente, durch äußeren Anstrich verdeckte Grenze zwischen Literatur und Kult nicht erkennt oder einfach eine andere Art der Literaturkritik erwartet, muss unabwendbar enttäuscht werden. Dies ist ein Tanz auf dieser Grenze.

Wir huldigen keinem Schöpfer, auch wenn ich innerlich mit mir streite, es vielleicht doch zu tun. Auch wollen wir kein Buch ins Zentrum unseres Kultes erheben. Stattdessen soll einer Idee, einem Thema gehuldigt werden. Das mag recht absichtsvoll klingen, doch fällt es mir schwer, einen passenden Begriff für das Sujet zu finden, das wir hier verehren wollen. Fest steht, dass unser Sujet das Thema von Paul Austers neuem Buch „Mann im Dunkel“ ist. Es ist ein rätselhaftes Buch, vielleicht Austers rätselhaftestes. Austers Thema entbehrt eben eines eindeutigen Begriffes. Ich kann nicht benennen, ich muss beschreiben:

Ein alter Mann erinnert sich, macht sich Gedanken über sein Leben, seine Familie und seine Fehler. Er versetzt sich an besondere Orte innerhalb seiner Gedanken, die allesamt von demselben Zustand berichten: von der Zerrissenheit zwischen Welt und Selbst. Hier haben wir unser Sujet.

In eben diesem Gedankenspiel entstehen unterschiedliche Parallelwelten: Die „wunderliche Welt“, die ganz Poesie ist. Die „große kaputte Welt“, in die es gilt hinauszuziehen, um zu entdecken, „wie es sich anfühlt, ein Teil ihrer Geschichte zu sein.“ (S. 212). Und dann die „unsichtbare Welt“, die scheinbar nicht existiert und doch schmerzhaft ihre Spuren im Leben hinterlässt. Alle diese Welten werden in der Zerrissenheit des Subjektes erst deutlich, die Weltgeschichte verläuft keinesfalls parallel, sie verändert sich je nach Erinnerung, Einbildung und Gedanke. Gewiss gibt es eine kollektive Instanz, ein Alltagsmuster, das rügt und mahnt, dass es nur eine kollektive Geschichte gäbe. Das erfährt auch Austers Mann im Dunkel, doch kollektive Instanzen können sich irren, und dann fügt sich am Ende doch alles zusammen: Subjekt wird Welt und Welt wird Subjekt. „Das Reale und die Einbildungen sind eins.“ (S. 216)

Paul Austers „Mann im Dunkel“ beschreibt keine herkömmlichen Reflexionen eines Menschen im letzten Lebensabschnitt. Es geht um mehr. Um Möglichkeitsräume, um Realitätsmodelle und die huldigungswürdige Idee, dass sich der Mensch von Alltagsmustern befreien kann, um nicht wie Austers Romanfiguren Brick und Flora „in ihrem ehelichen Nichts“ (S. 120) nur dahinzutreiben, um das „kleine Leben“ eines Menschen zu leben, der dem Irrtum auferlegen ist, „dass es nur diese eine Welt gibt und das alltägliche Einerlei“ (S. 120). „Mann im Dunkel“ ist auch ein nachdenkliches Buch. Ein poetisches. Und in eben dieser Poesie, die beschreibt, nicht benennt (keinen exakten Begriff findet), legt Auster seine Geschichte an, lässt den Mann im Dunkel wachliegen, nachdenken, erinnern und resümierend erkennen: „Gedanken sind real, selbst Gedanken an nicht reale Dinge.“ (S. 216) Und dem wollen wir huldigen.

|Originaltitel: The Man in the Dark
Deutsch von Werner Schmitz
219 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-498-00080-6|
http://www.rowohlt.de

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