Antje Babendererde – Zweiherz

Ursprünglich war es ein ganz normaler Tag für Kaye, als sie Großvater Sam sein Essen brachte. Doch dann erzählt ihr der alte Mann, dass sein Enkel Will bald nach Hause kommen wird. Will, ihr bester Freund, der seit fünf Jahren im Gefängnis sitzt, weil er den Direktor seines Internats getötet hat. Viel früher als erwartet steht er vor der Tür ihres Ladens, und Kaye stellt erschrocken fest, dass das Wiedersehen ganz anders ist, als sie es sich all die Jahre über vorgestellt hat. Will hat sich sehr verändert …

Aber Kaye hat nicht fünf Jahre auf ihn gewartet, um sich jetzt geschlagen zu geben! Kaye ist Halbindianerin, eine sehr selbstbewusste, junge Frau, die genau weiß, was sie will. Ihre Ungeduld scheint das einzige Erbe ihres weißen Vaters zu sein, ansonsten ist sie ganz Indianerin. Umso mehr vermisst sie den Rat ihrer Mutter, die vor zwei Jahren gestorben ist. Ihr Vater hat so seine Probleme damit, dass Faye unter allen Umständen ihr Leben mit einem Mann verbringen will, der jemanden umgebracht hat. Deshalb kann Faye mit ihrem Kummer über Wills merkwürdiges Verhalten, ihren Zweifeln und Befürchtungen nur mit ihrer Freundin Teena reden, die allerdings auch ihre eigenen Probleme hat.

Will dagegen ist alles andere als selbstbewusst. Im Internat und im Gefängnis hat er eine Menge schlimmer Erfahrungen gemacht, mit denen er noch nicht fertig geworden ist. Er kann nicht einfach wieder zur Tagesordnung übergehen, deshalb bedeutet Kayes Erwartungshaltung eine ziemliche Last für ihn. Aber über seine Erlebnisse reden kann er auch nicht, zu sehr fürchtet er Kayes Reaktion. Will taumelt gefährlich nah an einem Abgrund entlang. Und Zweiherz ist nur zu bereit, ihn hinunter in die Finsternis zu ziehen …

_Zweiherz_ ist ein Name für den Kojoten. Der Kojote spielt eine große Rolle in der Mythologie der Navajo. Er ist ein Jäger und immer auf der Suche nach einem Opfer, nutzt die Schwächen der Menschen, um sie zu verführen. Dennoch ist er nicht das, was man einen bösen Geist nennen könnte. Er verkörpert Unordnung und Unheil, aber auch List, Leidenschaft und Klugheit. Indem er die Harmonie der Welt stört, zwingt er die Menschen, aktiv zu werden, ihr Leben in die Hand zu nehmen.

Vorrangig erzählt die Autorin hier die Geschichte zweier junger Leute, die darum kämpfen, eine dunkle Vergangenheit zu überwinden und ein neues, ein gemeinsames Leben anzufangen. Dabei müssen sie nicht nur mit den Narben fertig werden, die Will davongetragen hat, sondern auch mit den Ereignissen im Reservat, wo plötzlich alte Felszeichnungen der Anazazi verschwinden und ein Toter in einem der Canyons liegt.

Die übrigen Details, die in Gesprächen zwischen Kaye und Teena oder zwischen Will und seinem neuen Freund Aquilar anklingen – wie Alkoholismus und Drogen, die Bildung von Gangs und die Umweltzerstörung durch die Ausbeutung von Bodenschätzen – entwerfen lediglich das Hintergrundbild für diese Handlung.

_Vom Prinzip her_ fand ich die Grundidee der Geschichte nicht uninteressant. Nur die Ausarbeitung hat mir nicht wirklich gefallen. Zwar war die Geschichte in sich stimmig und jederzeit nachvollziehbar, was mir jedoch fehlte, war die Intensität.

Das gilt zunächst für den vom Verlag so gepriesenen Einblick in indianische Denk- und Lebensweise. In der Tat hat die Autorin hier einiges gestreift – die Zeremonie, mit der Mädchen ins Leben der Erwachsenen eintraten, Kunsthandwerk und Medizin -, aber sie hat es tatsächlich nur gestreift. Alles bleibt oberflächlich, und wer sich wirklich für das Thema interessiert, erfährt nichts, was er nicht schon weiß.

Auch die Konflikte, die das moderne Leben der Indianer im Reservat mit sich bringen, werden lediglich angedeutet. Es bleibt bei der beiläufigen Feststellung, daß vor allem unter Jugendlichen Drogenkonsum und Gewalt zunehmen. Die Gründe für diese Entwicklung aber bleiben im Dunkeln, nicht ein einziger konkreter Blick wird auf die Lebenssituation der Jugendlichen geworfen.

Das mag daran liegen, dass das Augenmerk so stark auf Will und Kaye konzentriert ist. Tatsächlich ist die Autorin im Fall ihrer beiden Protagonisten durchaus auf Gedanken und Gefühle eingegangen, dennoch ist es ihr nicht gelungen, ihnen wirkliche Tiefe zu verleihen. Sie bleiben eher blass. Dagegen hilft auch nicht, dass erst sehr spät verraten wird, was genau Will so zu schaffen macht. Obwohl Will diesbezüglich eisern schweigt, ist schon recht früh absehbar, um was es geht.

So vorhersehbar wie die Aufdeckung von Wills Geheimnis, ist auch das Ende des Buches. Ohne größere Probleme klären sich sämtliche Fragen bezüglich der gestohlenen Felsbilder, wird der Mörder des Toten im Canyon gefunden. Der Versuch, durch ausgestreute kurze Absätze, in denen aus Sicht des Koyoten erzählt wird, höhere Spannung zu erzeugen, verpufft wirklungslos, da den Andeutungen von drohendem Unheil oder beabsichtigten Maßnahmen keine Entsprechungen folgen. Eher im Gegenteil!

Nun muss man dazu sagen, dass es sich hier um ein Buch für Kinder ab zwölf Jahren handelt. Und für einen Zwölfjährigen bietet dieses Buch im Hinblick auf indianische Kultur und Lebensweise wahrscheinlich tatsächlich noch etwas Neues. Ob er sich aber auch für die Liebesbeziehung eines Päärchens interessiert, das noch dazu aus seiner Sicht schon uralt ist, wage ich zu bezweifeln! Teenager dagegen werden zwar mit dem Beziehungsteil nicht unbedingt ein Problem haben, dafür dürfte der Rest des Buches sie wahrscheinlich schon wieder unterfordern.
Und jemand, der explizit eine Indianergeschichte lesen wollte, wird mit diesem Buch wahrscheinlich auch nicht unbedingt glücklich werden, denn der Löwenanteil der Geschichte thematisiert ein Problem, das weltweit existiert. Indianisch ist höchstens die Dekoration …

Bleibt noch zu erwähnen, dass die Geschichte auch sprachlich nicht unbedingt mitreißend gestaltet ist. Die einzigen Stellen, an denen der Text ein wenig Stimmung vermittelt, sind die Landschaftsbeschreibungen. Ansonsten fand ich die sprachliche Ausarbeitung eher fad. Da habe ich schon Bücher – auch Jugendbücher – mit weit mehr Ausdruckskraft gelesen!

Kindern, die etwas über Indianer lesen wollen, würde ich deshalb lieber ein Exemplar von „Blauvogel“ oder „Der Stern der Cherokee“ in die Hand drücken. Jugendlichen oder auch Erwachsenen, die wirklich etwas über das Leben in einem Reservat, über indianische Kultur und Mystik lesen wollen, empfehle ich „Die Grastänzer“ von Susan Power, einer Autorin vom Stamm der Standing Rock Sioux.

_Antje Babendererde_ stammt aus Jena und absolvierte nach der Schule zunächst eine Töpferlehre. Nach dem Fall der Mauer entdeckte sie die Welt der Indianer für sich. Sie bereiste mehrere Indianerreservate in den USA und setzt seit 1996 ihre Erfahrungen in Jugendbüchern um. Aus ihrer Feder stammen unter anderem „Der Pfahlschnitzer“ und „Der Gesang der Orcas“ sowie „Lakota Moon“, das von der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur zum ‚Buch des Monats’ Juli 2005 gekürt wurde. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Thüringen.

Gebundene Ausgabe: 317 Seiten
www.antje-babendererde.de
www.randomhouse.de/cbjugendbuch