Ballard, Robert Duane / Dunmore, Spencer – Geheimnis der Lusitania, Das

Die meisten Menschen bringen den Begriff „U-Boot Krieg“ mit Deutschland speziell des Zweiten Weltkriegs in Verbindung. Doch das Bild vom barbarischen Hunnen wurde bereits schon viel früher kultiviert, nämlich schon im WK 1 zur Zeit des Kaisers Wilhelm. Maßgeblich ist ein Vorfall, der zur Versenkung des zivilen Passagierschiffs „Lusitania“ im Mai 1915 vor Irlands Küste führte – wenige Meilen bevor der Dampfer der Cunard-Line in den sicheren Hafen von Queenstown (dem heutigen Cobh) einlaufen konnte fiel der Stolz der Reederei einem deutschen U-Boot-Torpedo zum Opfer. 1195 Menschen starben im frühjährlich kalten Atlantikwasser, was die englische Propaganda-Maschine weidlich ausschlachtete und somit erstmals das Bild des pickelhaubigen, zähnefletschenden, hässlichen Deutschen schuf.

_Historisches_

Unterseeboote kamen mit Beginn des Ersten Weltkriegs in Mode. Dabei galten beim Einsatz damals jedoch international strenge Seekriegs-Konventionen. Zum einen war es U-Booten per se verboten nicht-militärische Schiffe anzugreifen, es sei denn der Kommandant hatte den dringenden Verdacht, dass die Ladung aus Kriegsmaterial bestand – aber selbst dann nicht ohne sich vorher zu erkennen gegeben zu haben und der Besatzung fairerweise die Chance einzuräumen, das Schiff mit Rettungsbooten zu verlassen. Sollte sich bei einer Überprüfung der Ladung herausstellen, dass Konterbande transportiert wurde – in diesem Falle gilt ein Passagierschiff oder Frachter laut Seekriegsrecht dann nicht mehr als ziviles Fahrzeug, sondern als legitimes, militärisches Ziel – durfte das Schiff versenkt werden. Diese Regelung wurde auch im Zweiten Weltkrieg noch angewandt und trieb so einige Stilblüten auf beiden Seiten des Periskops.

Ein nicht getauchtes U-Boot ist ein leichtes Opfer, schließlich ist seine größte Stärke das heimliche und unentdeckte Operieren und seine Bewaffnung auch für diesen Zweck hin ausgelegt. Da Kaiser-Deutschland jedoch (wie das Dritte Reich später ja auch) von der Annahme ausging, dass es zur Niederringung Englands deren Handelsrouten unterbrechen zu müssen und die Briten somit faktisch auszuhungern, war dieses Vorgehen zuerst ein Prisenkommando auf ein ziviles Schiff schicken zu müssen natürlich mit der Gefahr verbunden relativ schutzlos an die Oberfläche zu kommen. So ein U-Boot ist schließlich selbst gegen Waffen mit kleineren Kalibern empfindlich. Die Alliierten statteten – dessen voll bewusst – immer mehr zivile Schiffe als „Hilfskreuzer“ mit versteckten Waffen aus, um ein aufgetauchtes U-Boot, das zur Aufbringung längsseits gehen musste um die Papiere des jeweiligen Dampfers zu überprüfen, sodann unter Feuer nehmen zu können.

Zu oft derart ausgetrickst gingen immer mehr U-Boot Kommandanten dazu über getaucht zu bleiben und im Zweifelsfall gleich einen Torpedo abfeuern. Ähnlich muss es Kapitänleutnant Schwieger auf U-20 gegangen sein, als er am 15. Mai 1915 vor der irischen Küste zum ersten Mal Sichtkontakt zu einem großen Dampfer mit 4 schwarz gestrichenen Schornsteinen (Die Lusitania hatte in Friedenszeiten orange-rote Schlote) erhielt. Er war sich sicher, dass ein Schiff dieser Größe eine Menge versteckter Waffen an Bord haben könne – sowohl an Deck als auch als Ladung sprich Nachschub für die englische Kriegsmaschinerie. Als die Lusitania plötzlich den Kurs genau in seine Richtung ändert, vermutet er (fälschlicherweise) entdeckt worden zu sein, erwartet jede Sekunde unter Feuer genommen zu werden und schickt den verhängnisvollen Torpedo auf die Reise zum vermeintlichen „Hilfskreuzer“.

_Zum Inhalt_

Titanic-Entdecker Ballard will in diesem Band klären, warum die Lusitania so rasch sank, ob sie tatsächlich Kriegsmaterial an Bord hatte und warum es mehrere Explosionen gab, obwohl – wie auch von deutscher Seite stets beteuert – nur ein einziger Torpedo abgefeuert wurde und nicht – worauf die Briten bestanden – zwei oder sogar drei. Um dies herauszufinden begibt sich Ballard samt Tauchboot nach Irland versucht dem Schiff seine Geheimnisse mit moderner Technik zu entreißen.

Ballard fischt in diesem Buch in für ihn ungewöhnlich seichten Gewässern, auch suchen braucht er das Schiff nicht, die Sinkposition nahe der Küste ist seit jeher bekannt und schon früher wurde das berühmte Wrack von Tauchern besucht, da es in lediglich 85 Metern Tiefe liegt, ist es relativ einfach zu erreichen. Ballard betreibt – wie so oft – einen immensen Forschungsaufwand, um herauszufinden, warum alles so abgelaufen ist, wie es nun mal durch mehrere Augenzeugen verbrieft ist: Die Lusitania war innerhalb von nicht mal 25 Minuten verschwunden und einhellig wird von mehreren (mindestens zwei) Explosionen, jedoch nur von einer Torpedo-Blasenbahn berichtet. Hatte die Lusitania also doch Munition an Bord, die nach dem Treffer hochging?

Wie konnte ein solch havariesicher konzipiertes Schiff mit so stattlichen Ausmaßen in nur so kurzer Zeit sinken, nach nur einem Torpedo? Theoretisch hätte die Konstruktion sogar drei bis zu fünf derartige Treffer wegstecken können müssen. Zum Vergleich: Die nur geringfügig größere und ähnlich gebaute Titanic hatte sich drei Jahre zuvor trotz ungleich massiverem Wassereinbruch immerhin noch 2,75 Stunden über Wasser halten können. Dazu gibt’s eine ausführliche Beschreibung des Hergangs aus der Sicht der Zeugenaussagen, garniert mit allerhand historischem Bildmaterial und den schlichtweg genialen Gemälden aus der Hand von Ken Marshall. Obligatorisch für die Meisten von Ballards Büchern ist die Gegenüberstellung des Schiffes damals und heute, so findet sich auch hier wieder eine großformatige, ausklappbare Panorama-Ansicht des Wracks und eine Schnittzeichnung basierend auf den Original-Plänen der Werft.

Es wird beobachtet, berechnet und logische Schlussfolgerungen gezogen, wie es zu diesem Vorfall kommen konnte – nebenher wird die Geschichte der „Lusitania“ beleuchtet und eine gute Unterscheidung zwischen Wahrheit und Mythos gezogen. Ein nicht unerheblicher Teil des Buches geht für die historischen Facts drauf, doch auch die Wrack-Untersuchung kommt nicht zu kurz, zwar ist sie nicht so üppig geschildert, wie beispielsweise die der „Titanic“ oder der „Bismarck“, jedoch handelt es sich um ein weitgehend bekanntes und zuvor erforschtes Wrack, daher ist das Wie und Warum sicher interessanter, als zahllose schnöde Bilder von einem ziemlich mitgenommenen Schrotthaufen.

Unterstützt wird Ballard auch dieses Mal von der US Navy bzw. deren Equipment, zudem wird als Co-Autor Spencer Dunmore genannt. Ken Marshall ist so was wie Ballards Leib-Und-Magen-Illustrator, er ist seit dem Titanic-Band in jedem seiner Bücher für die Illustration der Wracks zuständig und darf auch hier wieder (neben dem obligatorischen Titelbild) gewohnt perfekt – künstlerisch tätig werden, wenn auch das arg gebeutelte & zerschmetterte Wrack optisch nicht soviel hermacht, wie beispielsweise die beinahe intakte Bismarck. Dennoch kann ich mir keinen Besseren vorstellen, die Geschichte der Lusitania einst und heute visuell darzustellen, da sitzt jeder Pinselstrich.

_Fazit_

Ballard rekonstruiert in diesem Band unter Zuhilfenahme von verschiedenen Schiffsbauern und anhand der Daten, die er bei den Tauchgängen gesammelt hat, was damals vermutlich wirklich geschah. Basierend auf seinen eigenen Beobachtungen und den überlieferten Schilderungen klärt Ballard zusammen mit Co-Autor Dunmore, welche Verkettungen zur „Lusitania“- Katastrophe führten. Jedenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit, restlos klären wird sich der mysteriöse Nebel, der diesen Vorfall zum Teil umwabert wohl nie so ganz. Sicher sind weder der Zustand des Wracks an sich noch die Umstände ihres Untergangs so spektakulär, wie das der Titanic, jedoch ein gut aufgearbeitetes Stück (auch deutscher) Geschichte, das lesenswert ist. Für Lesefaule gibt es dieses Buch – wie fast alle seine Werke – auch auf DVD/Video von National Geographic.

|232 Seiten, Hardcover – zahlreiche S/W und teils großformatige Farbbilder
Originaltitel: „Exploring the Lusitania“
Übersetzung: Klaus-Peter Schmidt
Schiffs-Illustrationen: Ken Marshall
ISBN 13: 978-3550068881|
http://www.ullsteinbuchverlage.de/ullsteinhc/

_Weitere Titel von |Dr. Robert D. Ballard| bei |Buchwurm.info|:_
[Das Geheimnis der Titanic]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1094
[Die Entdeckung der Bismarck]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1176
[Versenkt im Pazifik]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=799
[Rückkehr nach Midway]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=817
[Lost Liners]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=514

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