Im Zuge des Erfolges von Dan Browns „The da Vinci Code“ (dt: [„Sakrileg“), 1897 welcher nun auch mit allerhand Stars besetzt verfilmt wurde, lodert auch das Interesse der Öffentlichkeit am Gral und seiner Legende wieder hoch. Gemeinhin nennt man den Gral (und die Suche nach ihm) in einem Atemzug mit König Artus und seiner Tafelrunde, den Tempelrittern, den Freimaurern und stellt ihn häufig als höchst okkulte Reliquie dar, doch sind die historischen Quellen über die Natur des Grals eher spärlich und vage. Richard Barber fasst tausend Jahre Gralgeschichte zusammen – von seinem ersten Auftauchen in der Literatur um 1190 herum bis zu den modernen Mythen.
_Zum Inhalt_
Vieles ist in die Gralgeschichte bis heute hineininterpretiert worden, doch zurück geht die Erzählung auf Chrétien de Troyes, der im Mittelalter damit das Genre des (Artus-)Ritterromans schuf. Die ursprüngliche Fassung ist recht kurz und Chrétien wird diese schwer moralinsaure Fabel auch nicht vollenden, da er vorher verstirbt. Wie das oft so ist, tragen solcherlei unvollendete Werke gerne zur Legendenbildung bei und Trittbrettfahrer finden sich, welche den Faden gerne aufnehmen und weiterspinnen. In diesem Fall folgen dem Garn drei „Fortsetzungen“ bzw. Alternativversionen, die im Kern mit der Urfassung halbwegs übereinstimmen. Zumindest eine kann man ganz sicher Robert de Boron zuordnen, einem Zeitgenossen Troyes.
Kurzum: In einem Zeitraum von 50 Jahren entsteht das Grundgerüst, wobei Rahmenbedingungen und Personen in etwa gleich bleiben, jedoch anderes stark differenziert und in der Folge kräftig ausgeschmückt wird. Es ist nicht einmal wirklich sicher, welche Gestalt der Gral nun eigentlich innehat. Von einer Schale über einen Kelch bis hin zu einem (Edel-)Stein ist alles möglich. Auch seine Funktion ist nicht bei allen Autoren gleich. Zumeist erfüllt er die Aufgabe als Füllhorn mit Heilkräften, meist begleitet von einer geheimnisvoll blutenden Lanze. Der deutsche Dichter Wolfram von Eschenbach nimmt sich des inkonsistenten Stoffes später an und schustert daraus seinen „Parsival“ zusammen. Diese Gralgeschichte dürfte das bekannteste und originellste Spin-off sein.
Im Laufe der Zeit wird aus dem Gral dann endgültig ein Kelch, mit welchem Joseph von Aritmathia Jesus‘ Blut auffing und aus der Lanze jene des Longinus, des römischen Soldaten, der Jesus am Kreuz damit in die Seite stach. Von dort an haftet der Gralslegende die christliche Auferstehungssymbolik dauerhaft an, wenngleich das in den Urfassungen so überhaupt nicht vorkommt. Das alles hat sich bis heute aber am deutlichsten in dem Mythos erhalten. Dabei hat der Gral an sich eine eher säkulare (wiewohl auch religiöse) Basis und ist trotz der später mit ihm verknüpften katholischen Eucharistie eigentlich komplett außerhalb der Kirchenlehre angesiedelt. Dennoch ist er sein nunmehr fast 1000 Jahren ein mächtiges Symbol der Frömmigkeit.
Letztlich steht er in den Rittererzählungen für die alte Weisheit „Der Weg ist das Ziel“ und dient zum Beispiel dadurch besonders den Rittern Camelots als Triebfeder für ihre edlen Taten, denn nur jene, die reinen Herzens sind, bekommen ihn je zu sehen. bzw. dürfen in sein Mysterium eintauchen. Der heute noch aus den Geschichten bekannte Ritter Lancelot etwa kann genau das nicht, obwohl er einer der trefflichsten Ritter seiner Zeit ist. Seine verbotene Liebe zu Artus‘ Ehefrau Guinevere ist der Hemmschuh, den er auch niemals überwinden wird. Es ist Sir Galahad, der den Gral zu guter Letzt findet, in ihn schauen darf und dann selig verstirbt. Daraufhin entrücken die himmlischen Mächte den Gral von Erden. So weit die prosaischen Sagen.
_Eindrücke_
Barber gliedert sein Buch beinahe chronologisch und beginnt mit der Urfassung Chrétien de Troyes, bevor er sich auf die moderneren Interpretationen des Stoffes einlässt. So bekommt man einen guten Einblick in die Entstehungsgeschichte des Mythos. Dabei ist es manchmal gar nicht leicht festzustellen, wer bei wem und wann abgekupfert hat respektive beeinflusst wurde. Lediglich bei Wolfram von Eschenbach und auch bei der musikalischen Version Richard Wagners kann man da ziemlich genaue zeitliche Rahmen festlegen und von ihnen weiß man auch noch einiges aus deren Vita. Bei Informationen über Chrétien, Boron und Mantisse und deren Beweggründen sieht’s dagegen finster aus. Mittelalter eben.
Doch nicht nur die klassischen Werke über den Gral werden behandelt und akribisch gegenübergestellt, es kommen auch die moderneren Mythen und Geschichten über ihn und seine Natur zu Ehren. Etwa die oft kolportierte – aber recht wackelig argumentierte – Verbindung von Rosenkreuzern, Templern und Freimaurern zum Gral. Sachlich pflückt Barber diese Thesen auseinander, lässt aber den betreffenden Autoren der oft hochspekulativen Populärwissenschaft noch Luft zum Leben und räumt ein, dass durchaus ein Körnchen Wahrheit in deren Recherchen stecken kann, dass aber leider allzu häufig der Wunsch Vater des Gedanken ist und nicht etwa belegbare Quellen.
_Fazit_
Ein fundiertes, undogmatisches und polemikfreies Sachbuch zu rund einem Jahrtausend Geschichte und Mythos um den heiligen Gral. Man sollte in Sachen Fremdwörtern jedoch sattelfest sein, denn Barber schwelgt darin offensichtlich gern. Geschichtliches Hintergrundwissen ist ebenfalls nicht verkehrt, jedoch nicht Voraussetzung; man findet auch so den Zugang recht schnell. Bei aller Faszination ist der Text allerdings recht trocken und ein Querlesen zwar nicht unmöglich, jedoch auch nicht grade empfehlenswert.
|OT: „The Holy Grail. Imagination and Belief“
Penguin Books Ltd., 2004
Deutsche Ausgabe: Patmos Verlag / Düsseldorf, 2004
Übersetzung: Harald Ehrhardt
416 Seiten Hardcover mit S/w-Illustrationen|
http://www.patmos.de