Barclay, James – Heldensturz (Die Legenden des Raben 6)

|Die Chroniken des Raben|:
[„Zauberbann“ 892
[„Drachenschwur“ 909
[„Schattenpfad“ 1386
[„Himmelsriss“ 1815
[„Nachtkind“ 1982
[„Elfenmagier“ 2262

|Die Legenden des Raben|:
[„Schicksalswege“ 2598
[„Elfenjagd“ 3233
[„Schattenherz“ 3520
[„Zauberkrieg“ 3952
[„Drachenlord“ 3953

_Story_

Die Übermacht der Dämonen hat sich in den vergangenen zwei Jahren über ganz Balaia ausgebreitet und die vier Kollegien nahezu in die Knie gezwungen. Dordover ist gefallen, Lystern steht vorm Untergang, und auch in Julatsa beschließt man, das Herz der Magie hinter sich zu lassen und Zuflucht in den Mauern des letzten halbwegs standhaften Kollegs in Xetesk zu finden.

Unter den Flüchtigen befinden sich auch die Elfen um Rebraal und Auum, die den Flüchtlingstreck leiten und später im Verbund mit dem Raben durch das von Dämonen besetzte Balaia ziehen, um mit den wenigen Überlebenden das Unvermeidbare hinauszuzögern. Doch noch bevor der Rabe und die übrigen Vertreter der Kollegien Xetesk erreichen, bricht ein heilloses Chaos aus.

Die Dämonen werden immer stärker, die magischen Kalträume bieten kaum mehr Schutz, und auch die Zahl der Verteidiger schrumpft zunehmend. Selbst ein Zweckbündnis mit den einst feindlich gesonnenen Wesmen bringt kaum Zeit, um den bevorstehenden Untergang zu umgehen. Nur eine letzte Verzweiflungstat scheint Balaia vor der vollständigen Herrschaft der Dämonen zu retten und bringt den Raben deutlicher denn je auf die Schwelle zwischen Leben und Tod. Selbst elementare Verluste in den eigenen Reihen scheinen in der vielleicht letzten Stunde der Söldnertruppe unumgänglich.

_Persönlicher Eindruck_

Die letzte Reise des Raben, sie warf große Schatten voraus, Befürchtungen majestätischer Natur, Ängste ob des drohenden Schicksals, vorwiegend jedoch auch Fragen und Panik über das Danach, die Folgen des bereits im Titel propagierten Heldensturzes. In kürzester Zeit ist James Barclays gigantisches Epos auch hierzulande zu einem der meistgefragten Fantasy-Zyklen aufgestiegen, begeisterte Fachpresse, Fans und renommierte Schriftsteller-Kollegen zugleich und entwickelte ein Eigenleben, welches in der Tat nur den ganz großen Schreibers dieses Genres vorbehalten war. Und nun, mit dem zweiten Teil des sechsten und vorläufig letzten Doppelbandes soll endgültig alles vorbei sein? Tja, es ist merklich schwer, dies zu akzeptieren und hinzunehmen.

Aber tatsächlich brandete kurz zuvor noch Hoffnung auf. Noch vor dem offiziellen Deutschland-Release von „Heldensturz“ verkündete der Autor auf seiner Homepage, dass noch ein weiteres Kapitel in der Geschichte des Raben folgen soll. „Ravensoul“ soll all diejenigen glücklich stimmen, denen der Abschluss in der gegebenen Form ein wenig missfiel. Ein verspätetes Eingeständnis des Autors? Resignation ob der Dinge, die da in Balaia geschehen sind? Oder doch einfach Versöhnung mit dem erhabenen Gebilde, welches sich hier entwickelt hat? Was steckt dahinter – und vor allem: Was geschieht in „Heldensturz“?

Die Antwort auf diese Frage ist zunächst einmal ernüchternd, da die Handlung an sich kaum große Fortschritte macht. Barclay konzentriert den Plot vorzugsweise auf die zahlreichen Kampfhandlungen und beschreibt diese auch in aller Ausführlichkeit. Kaum ein Kapitel, in dem nicht bis ins Uferlose von der Front berichtet wird, kaum eine Seite, in der nicht intensiv beschrieben wird, wie die Seelenfresser durch die Klingen der verbliebenen Opposition endgültig ins Jenseits treten.

Allerdings gelingt es dem Autor andererseits sehr schön, die wichtigsten Charaktere, und damit diejenigen, die im Laufe der elf vorherigen deutschen Ausgaben noch nicht das Zeitliche segnen mussten, im letzten Aufbäumen noch einmal in die Story zurückzubringen – und dies zum ersten Mal als Einheit. Ähnlich wie einst der Kampf gegen die Wesmen in den „Chroniken des Raben“, stehen auch im ungleichen Gefecht gegen die unschätzbar große Dämonengewalt alle Parteien Seite an Seite, um Balaia vor dem Untergang zu bewahren. Der einzige elementare Unterschied: Dieses Mal herrscht tatsächlich eine Art Endzeitszenario vor, welches sich damals vor allem deswegen nicht manifestieren konnte, weil irgendwie klar war, dass die Serie in weiteren Abschnitten fortgeführt würde. Nun, da das Ende der Rabengeschichte bevorsteht, ändern sich die Vorzeichen gewaltig, was nicht zuletzt an der großen Opferbereitschaft des Autors abzulesen ist. Ohne das Offensichtliche an dieser Stelle zu nahe zu beleuchten, scheint klar, dass jedes Heldenepos einmal ein Ende finden wird – und dies ist genau hier der Fall.

Dementsprechend ist der Verlauf der Story in „Heldensturz“ überaus bitter und wird manchen begeisterten Leser erheblich vor den Kopf stoßen. Allerdings musste Barclay einige radikale Schnitte machen, um die Story glaubwürdig zu erhalten. Dies war zwar in einem gewissen Maße zu erwarten, wenngleich die Hoffnung bestand, der Autor könnte sich in irgendeiner Form um die nötigen Schritte herumwinden, um dem Raben auch künftig eine Chance zu geben. Inwieweit der Brite schlussendlich zur Tat geschritten ist, muss natürlich jeder selber erfahren. Verraten sei nur, dass er überraschend schonungslos vorgeht – und damit dürfte eigentlich alles gesagt sein!

Somit ergibt sich am Ende die Frage, ob Barclay die Balance zwischen Konsequenz, Glaubwürdigkeit und harmonischem Abschluss gekonnt gemeistert hat – und genau hier bildet sich ein kleines Defizit heraus, welches sich in der teils sehr abrupten Beschreibung mancher elementarer Ereignisse niederschlägt. Stellenweise wünscht man sich, der Mann hätte das Schlachtengetümmel ein wenig hinten angestellt, um seinen Charakteren noch etwas mehr Lebensraum zu lassen. Partiell werden diese nämlich von den steten Abhandlungen des kriegerischen Treibens überlagert und kommen nicht mehr ganz so zum Zuge, wie man sich dies für ein Grande Finale gewünscht hätte. Doch auch hier liegt das Ganze wohl im Auge des Betrachters und wird wahrscheinlich individuell anders bewertet – mir persönlich fehlt phasenweise aber gerade in diesen Szenen die Tiefe.

Dennoch, dieser letzte Band ist etwas Erhabenes, Besonderes. Und hier spricht dann auch nicht mehr der neutrale Analytiker, sondern der treu ergebene Fan, der die Truppe auf all ihren Reisen begleitet hat, mit ihr durch Dick und Dünn gegangen ist und sich am Ende schamlos eingestehen muss, dass er den Tränen in manchen Szenen sehr nahe war. Aber genau das ist es eben, was man von einem modernen, zeitgemäßen Fantasy-Roman erwarten sollte: Eine völlige Identifikation mit den Charakteren, eine Faszination für die dargestellte Welt und eine Begeisterung für die lebendigen Ereignisse und Wendungen der Story. All dies hat James Barclay nicht nur hier, sondern generell im vollen Dutzend seiner Chroniken und Legenden um den Raben immer wieder eindrucksvoll inszeniert, ohne sich dabei den gängigsten Konventionen zu stark zu unterwerfen. Dafür gebührt dem britischen Autor nicht nur mein persönlicher Respekt, sondern zu guter Letzt das verdiente Lob für die Erschaffung des womöglich besten Charakterstamms, den die Fantasy-Literatur seit Tolkiens viel zitierten Meisterwerk erblicken durfte. Danke, Mr. Barclay, für all die tollen Stunden, die wir mit ihren Geschichten verbringen durften, und ein noch größerer Dank dem Raben dafür, dass man an seinem Schicksal so intensiv teilhaben durfte – und eventuell bald noch ein weiteres Mal darf! Aber ganz unabhängig davon: Dieses monumentale Epos muss man vom ersten bis zum hiesigen Roman definitiv gelesen haben, wenn man phantastische Literatur liebt!

http://www.heyne.de

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