Beagle, Peter S. – letzte Einhorn, Das

Wenn man ein wunderschönes, unsterbliches Einhorn in einem idyllischen Wald ist, hat man kaum Wünsche. Und so lebt auch das letzte Einhorn aus Peter S. Beagles gleichnamigem Roman zunächst von einem Tag zum nächsten – bis ihm eines Tages aufgeht, dass es schon seit langer Zeit keinem anderen Einhorn mehr begegnet ist. Als ihm dann auch noch ein Schmetterling flüstert, dass alle anderen Einhörner von einem Roten Stier fortgetrieben wurden, beschließt es schweren Herzens, seine Heimat zu verlassen, um sich auf die Suche nach seinen Artgenossen zu machen.

Und wie das bei einem Abenteuer eben ist, findet das Einhorn auf seiner Reise eine Reihe von Gefährten, die es in seiner Suche unterstützen. Da wäre zunächst der glücklose Zauberer Schmendrick, der das Einhorn aus den Fängen Mami Fortunas befreit, die es gefangen genommen hatte, um es in ihrem fahrenden Zirkus auszustellen. Als nächste stößt Molly Grue zu der kleinen Gruppe, die vom Leben enttäuschte Gefährtin eines Räubers mit literarischen Ambitionen.

Bald treffen die drei auf den Roten Stier, der im Auftrag des verhärmten Königs Haggard auch das letzte Einhorn fangen soll. Um es zu retten, verwandelt es Schmendrick in eine junge Frau. In der Hoffnung, auf König Haggards Schloss Hinweise auf den Verbleib der anderen Einhörner zu finden, gehen sie bei Haggard in Dienst, woraufhin sich dessen Adoptivsohn Prinz Lír sofort in die schweigsame Lady Amalthea verliebt – keine andere als das letzte Einhorn. Zunächst ignoriert diese Lírs Annäherungsversuche, doch je mehr Zeit vergeht, desto mehr vergisst sie auch ihre wahre Gestalt und ihren Auftrag. Um also zu verhindern, dass Lady Amalthea den Prinzen heiratet, muss Schmendrick einen Weg finden, sie wieder in ein Einhorn zurückzuverwandeln.

Natürlich muss sich auch Peter S. Beagles 1968 erstveröffentlichter Fantasyroman „Das letzte Einhorn“ – wie wohl jeder Roman dieses Genres – mit dem allgegenwärtigen [„Der Herr der Ringe“ 5487 von J. R. R. Tolkien vergleichen lassen. Doch was Beagles melancholisches Märchen eben gerade zu etwas Besonderem macht, ist die Tatsache, dass es eine Art Gegenpol zu Tolkiens episch angelegtem Geschichtsentwurf ist. „Das letzte Einhorn“ ist geradlinig, fast schon minimalistisch und kann gerade damit gegenüber dem 1300-Seiten-Schinken über Mittelerde durchaus bestehen.

Was Beagles Roman so anrührend macht, sind die liebevoll gezeichneten Charaktere. Denn obwohl „Das letzte Einhorn“ eine Abenteuergeschichte ist – die Erzählung einer „quest“ -, die von Helden bevölkert sein muss, die übermenschliche Dinge vollbringen, um ihr Ziel zu erreichen, sind diese Figuren in der Regel alles andere als heldenhaft. Beagle beschreibt durchweg Verlierer, tragische Charaktere, deren Schicksal es ist, ständig die falschen Entscheidungen zu treffen. Das Einhorn lässt sich blauäugig auf ein Abenteuer ein, das es ab einem gewissen Punkt nicht mehr bewältigen kann. Schmendrick der Zauberer hadert mit seiner Mittelmäßigkeit und der offensichtlichen Tatsache, dass er dem Einhorn kaum eine Hilfe ist. Und der einzige wirkliche Held Lír – der auch im Text als solcher bezeichnet wird – wird für seine Taten nur mit dem Tod belohnt.

Es ist wohl aber Molly Grue, die dem (erwachsenen) Leser – und vielleicht auch dem Autor – am nächsten steht. Alt, verhärmt, vom Leben gezeichnet und ohne Hoffnung, ruft sie dem Einhorn bei ihrer ersten Begegnung verzweifelt zu: „Wo warst du, als ich jung war? Warum kommst du erst jetzt?“ Sie ist damit das Sprachrohr einer Generation ohne Träume, ohne Fantasie, die erst langsam wieder lernen muss, was es heißt zu hoffen und zu wagen.

Beagles Geschichte ist ein Juwel von einem Roman. „Das letzte Einhorn“ lässt sich als Märchen lesen, doch es bietet ironische Passagen, die unsere Realität spiegeln, ebenso wie metaliterarische Einschübe. So gibt es für jeden Leser und jedes Lesealter etwas zu entdecken, auch wenn „Das letzte Einhorn“ keineswegs in erster Linie Jugend- oder gar Kinderliteratur ist (dazu ist der Grundton der Erzählung einfach zu melancholisch).

|Der Hörverlag| hat „Das letzte Einhorn“ als ungekürzte Lesung auf sieben CDs herausgebracht, ansprechend aufgemacht in einer blauen Box mit Booklet. Als Sprecher läuft hier Andreas Fröhlich zu Hochform auf, der sicher vielen Hörbuch-Interessierten ein Begriff ist. Bei einem so wandelbaren Sprecher besteht nie die Gefahr, dass die sieben CDs lang oder eintönig erscheinen, denn Fröhlich gibt jeder Figur ihre ganz eigene Stimme. Er reimt, er singt, er klagt – da bleiben wirklich keine Wünsche offen.

„Das letzte Einhorn“ ist wohl ein Roman, der im amerikanischen Original noch größere Strahlkraft entwickelt. So schafft die Übersetzung von Jürgen Schweier zwar teilweise wirklich wunderbare Wendungen, doch wirft sie den Leser von Zeit zu Zeit auch mit Modernismen wie „D-Zug“ aus dem märchenhaften Ton der Erzählung. Wenn es aber tatsächlich die deutsche Übersetzung sein soll, dann ist man mit dem Hörbuch des |Hörverlags| wirklich gut beraten. Man bekommt hier auf sieben CDs eine solide und liebevoll gemachte Hörversion des Fantasyklassikers, der das Märchen vom letzten Einhorn auf ganz neue Art erlebbar macht.

|Siege ergänzend dazu auch unsere Besprechung zu [„Die Sonate des Einhorns“. 1286 |

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