Peter S. Beagle – Das letzte Einhorn und Zwei Herzen. Ein Fantasyroman und eine Novelle

Ein Lied von Liebe und Heilung, jetzt im Doppelherz-Paket

Seit Anbeginn der Zeit lebt das Einhorn allein in seinem Wald, doch eines Tages erfährt es von vorbeistreifenden Jägern, dass es das Letzte seiner Art sei. Also begibt es sich – begleitet vom leider nur mäßig begabten Zauberer Schmendrick und der Räuberbraut Molly Grue – auf die Suche nach seinen Artgenossen. Dabei gelangt es zu einem verwüsteten Land an der Küste, wo König Haggard mit seinem furchtbaren Roten Stier alle Einhörner der Welt in die See getrieben hat. Das seltsame Trio muss bald erkennen, dass die Erkundungsfahrt nicht ohne Kampf und äußerste Gefahr beendet werden kann. (erweiterte Verlagsinfo)

Der Autor

Peter S. Beagle wurde 1939 in Manhattan geboren und wuchs in der New Yorker Bronx auf. Während seiner Zeit auf der Highschool nahm er an einem Autorenwettbewerb teil und erhielt als ersten Preis ein College-Stipendium. So verbrachte er die folgenden vier Jahre auf der Pittsburgh University. 1961 veröffentlichte er seinen ersten Roman „A Fine and Private Place“ dt. bei Klett-Cotta als „He, Rebeck!“), der schon den Ton von „Das letzte Einhorn“ vorwegnimmt.

In den siebziger Jahren schrieb er in zunehmendem Maße Drehbücher. Beagle arbeitet seither u. a. als Journalist für bekannte US-Magazine, als Songtexter und als Drehbuchautor für viele Hollywoodfilme, darunter auch für die erste Verfilmung von Tolkiens „Herr der Ringe“ (1978) von Ralph Bakshi.

„Das letzte Einhorn“ (1968, als Zeichentrick unsäglich kitschig verfilmt) ist sein bekanntestes Buch, das in Deutschland und den USA zu einem Kultroman avancierte. Die Fortsetzung trägt den Titel „Der Zauberer von Karakosk“ (Klett-Cotta), aber auch „Das Volk der Lüfte“ (1977) und „The Innkeeper’s Song“ (dt. als „Es kamen drei Damen im Abendrot“) sind beste Fantasy. Beagle ist sicherlich einer der herausragenden Erzähler moderner Fantasy.

Handlung

Das letzte Einhorn lebt in einem Fliederwald, strahlend schön, doch wie ein Sammelsurium aus Attributen anderer Tiere: ein Löwenschweif, Ziegenhufe, Rehbeine – und dann dieses ungeheure, strahlende Horn auf der Stirn. Von wem es dies wohl hat? Kein Wunder, dass die zwei Jäger, die es belauscht, als sie in seinen Wald reiten, nicht an Einhörner glauben. Hirngespinste, Phantastereien! Alle Einhörner, falls es je welche gab, sind fort.

Ein Schmetterling, den das Einhorn verwundert fragt, erzählt ihm, dass es in der Tat das letzte lebende Einhorn auf der ganzen weiten Welt sei. Denn der Zaubererkönig Haggard habe alle seine Artgenossen auf sein Schloss geholt und verzaubert. Der Rote Stier, der Haggard gehorcht, habe alle Einhörner aufs Schloss getrieben. Auf einmal fühlt sich das Einhorn sehr einsam und allein und beschließt, seine Artgenossen zu suchen.

Doch seine Schönheit weckt allerlei Begierden unter den Menschen, und so fällt es eines Tages einem Wanderzirkus in die Hände. Dessen Besitzerin beherrscht die Kunst, normale Tiere wie Fabelwesen aussehen zu lassen, bis auf eines: die Harpyie, die die Frau, sollte ihr die Freiheit gegeben werden, sofort töten würde. Schmendrick, der unbegabte Zauberer und Diener der Besitzerin, ist vom Einhorn fasziniert und lässt es in einer gewagten Aktion ebenso frei wie die anderen Tiere, inklusive der wilden Harpyie. Zusammen begeben sie sich auf den Weg zu König Haggard.

Eine Bande Räuber überfällt sie jedoch. Zwar kann das Einhorn entkommen, doch Schmendrick muss sich sein Leben und seine Freiheit mit seiner nicht vorhandenen Zauberkunst erkaufen. Damit erregt er die Aufmerksamkeit der Räuberbraut Molly Grue, die die Lügen des Hauptmanns der Bande endlich durchschaut. Der will sich bloß zum Robin Hood stilisieren und trällert eine schier endlose Ballade über sich selbst. Da haut Molly lieber mit Schmendrick ab und nimmt sich ebenfalls des Einhorns an.

Zusammen gelangt das Trio in die seltsame Stadt Hagsgate, die direkt unter Haggards Schloss liegt. Auf der Stadt und ihren Bewohnern liegt ein Fluch, den die Erbauerin des Schlosses, eine mächtige Hexe, einst über sie verhängte.

„Wem Haggard König ist und Seneschall,
Habe teil an seinen Festen, habe Teil an seinem Fall.
Allen Geld und Gold er bringt,
bis das Meer den Turm verschlingt.
Nur einem aus Hagsgate wird es gelingen,
das Schloss zu zerstören, zum Einsturz zu bringen.“

Der Fluch hat zur Folge gehabt, erfährt Schmendrick vom Sprecher der Bürger in der Kneipe, dass kein einziges Kind mehr gezeugt wurde, um den Segen von Geld und Fruchtbarkeit, der Hagsgate zuteilgeworden ist, zu zerstören. Kein Kind, bis auf eines: ein Findelkind, das König Haggard an Sohnes statt aufnahm und auf den Namen Lír taufte. Doch jede Nacht braust über die Stadt und die naheliegende kahle Heide der Rote Stier voll Wut hinweg und raubt Wesen, die er haben will. Einhörner beispielsweise.

Als sich Schmendrick, Molly und das Einhorn dem Schloss nähern, wird es Nacht und der Rote Stier erscheint. Seiner dunkelroten Wut und Kraft kann nichts widerstehen und so bezwingt er auch das letzte Einhorn. Weil aber Molly um das edle Tier bangt, versucht Schmendrick in einem Anflug von Größenwahn sein Glück mit der Magie. Und sie funktioniert – allerdings nicht so, wie Molly es erwartet hat. Plötzlich liegt da anstelle des Einhorns ein schneeweißes und entkleidetes Mädchen.

Kaum hat sich der Stier bei Nahen des Morgens ins Schloss zurückgezogen, erwacht das Mädchen in Mollys Armen. Bitter beklagt es die Sterblichkeit des Körpers, in dem sich das einst unsterbliche Wesen nun befindet, doch Schmendrick tröstet die frischgebackene Lady Amalthea mit seiner eigenen Geschichte. Er habe beim Magier Nikos gelernt, doch der erkannte Schmendricks Unfähigkeit und verfluchte ihn zu einem ewigen Leben, von dem er erst erlöst werden könne, wenn es ihm gelänge, wirkliche Magie zu wirken. Seitdem weiß Schmendrick, dass alles Sterbliche schön ist – eben weil es vergänglich ist.

Dann müssen sie sich ins Schloss des schrecklichen Königs Haggard und seines Ziehsohns Prinz Lír begeben und sich dem Roten Stier stellen, der unter Haggards verfluchtem Schloss haust …

Mein Eindruck

Durch die kitschige Verfilmung und den dazugehörigen Song von Art Garfunkel ist das Buch selbst zu einer Art verbotenem Land für ernsthafte Fantasy-Fans geworden. Es ist also an der Zeit, den Blick für die Wunder dieses Klassikers zu erneuern, der in den USA für den Boom der Fantasy in den 1970er Jahren mitverantwortlich war (neben Tolkien und Ursula Le Guins „Zauberer von Erdsee“).

Der gesamte Plot ist metaphorisch zu verstehen, wie das nun mal in der Fantasy so üblich ist. Das heißt, dass überspitzte Gestalten und Fabelwesen nicht für sich selbst stehen, sondern für das, was sie symbolisieren. Diese Art der Verschlüsselung ist in „Das letzte Einhorn“ so weit vorangetrieben worden, dass das Buch selbst schon gar nicht mehr als Fantasy ernst nimmt, sondern sich über Klischees herkömmlicher Fantasy (Tolkien und alle Romane vor 1946) lustig macht. Deshalb lässt sich das Buch sowohl als Drama wie auch als Komödie und Parodie lesen.

Das Drama

Unser namenloses Einhorn ist das Einhorn schlechthin, ein Fabelwesen von legendärer Schönheit, das den Betrachter damit geradezu blendet. Aber durch die Jäger wird es sich seiner Einzigartigkeit bewusst; es ist ein Anachronismus geworden, jedenfalls in einer Welt ohne Einhörner, in der deren Magie zu einer Ausdünnung der Substanz der Welt geführt hat. Diese Ausdünnung wird als eine Falschheit der Wirklichkeit wahrgenommen – und doch von den Sterblichen akzeptiert.

Aus diesem Grunde fällt es Mama Fortuna leicht, den Sterblichen ihren erbärmlichen Mitternachtszirkus aus kränklichen und wahnsinnigen Missgeburten als einen „Karneval der Fabelwesen“ anzupreisen und zu verkaufen. Die Besucher sehen aus ihrem Blickwinkel lediglich die wundersamen Fabelwesen. Hier findet auch der heruntergekommene, gescheiterte Zauberer Schmendrick sein Auskommen, der aber das Zeug zu Größerem hat.

Als er durch das Einhorn in Kontakt mit wahrer, echter Magie bekommt, weiß er, dass er nicht mehr in einer Lüge leben kann. Also befreit er es aus der Menagerie und macht sich auf zum Meer, um die Artgenossen des Fabelwesens zu suchen. Zusammen mit Molly Grue werden sie im Schloss von König Haggard vor die größte Aufgabe gestellt: den Roten Stier zu töten.

Denn aus dem Dorf unter dem Schloss, das sich mit der Tyrannei des Königs arrangiert hat, wissen sie, dass der Schrecken der verwüsteten Lande, der Rote Stier, in einer Höhle unter dem Schloss zu finden. Der Stier hat alle Einhörner der Welt ins Meer getrieben, wo sie vergeblich als schaumige Wellenkämme ans Land anstürmen.

Aber es gibt eine Prophezeiung, die Hoffnung macht: Sobald die richtigen Bedingungen gegeben sind, wird dieser Schrecken enden. Natürlich müssen sich Schmendrick und seine zwei Freunde Molly und Lady Amalthea als edle Besucher vorstellen. Haggard durchschaut zwar ihre Verstellung nicht ganz, ahnt aber, dass der „großmächtige und weithin berühmte Zauberer Schmendrick“ ebenso wenig das ist, was er vorgibt, wie die edle Lady Amalthea.

König Haggard wirkt wie der „alte König Zeit“, der selbst ein Anachronismus ist, der der Erneuerung im Weg steht. Er ist ein „Ritter von der traurigen Gestalt“, der sich seiner absurden Existenz wohlbewusst ist. Doch was will er machen? Als König hat er die macht über alle, und so ist es ein passables Leben. Der Rote Stier verkörpert seine dunkle Seite, die der Vernichtung des Lebens und seiner Energie.

Folgerichtig muss es im Schloss zu einer Reihe von Veränderungen kommen. Diese sind nicht äußerlich, sondern psychologisch begründet. Das macht das Buch weniger zu einem Kinder- als zu einem Erwachsenenbuch. König Haggards Ziehsohn Prinz Lír, der in Land und Schloss den Helden spielen will, verliebt sich unsterblich in Prinzessin Amalthea, die ihm nicht abgeneigt ist, zumal sie nun in einem sterblichen Körper gefangen ist.

Doch die Mission des Einhorns ist stärker als Lírs Liebesbande: Die vier müssen hinunter in die Höhle des Roten Stiers. Der Weg dorthin führt durch eine Uhr, die eine seltsame Eigenschaft aufweist: Sie zeigt nie die richtige Zeit an, ist aber ein dimensionaler Durchgang, ähnlich wie ein Traum. Vor der Konfrontation mit dem Stier verwandelt Schmendrick, der nun wirklich mächtig geworden ist, Amalthea zurück ins Einhorn.

Sofort nimmt der Stier die Jagd auf. Doch er stößt auf ein unerwartetes Hindernis: Prinz Lír stellt sich ihm in den Weg. Macht nix! Des Königs Stier zertrampelt ihn, um das letzte Einhorn zu jagen. Diese Untat jedoch erzürnt das Einhorn so, dass es wütend den Spieß umdreht und seinerseits mit seinem strahlenden Horn den Stier bedroht – und ihn schließlich ins Meer treibt.

Von dort eilen die befreiten Einhörner ans Land, das im Handumdrehen ergrünt und erleuchtet wird. Denn König Haggards Schloss, nunmehr haltlos, stürzt mit ihm in die Tiefen der See. Das Einhorn erweckt den toten Prinz Lír wieder zum Leben, indem es ihn mit seinem Horn berührt. Doch eine zweite Berührung am Herzen ist nötig, um den Prinzen von seiner Liebe zu der nicht mehr existenten Amalthea zu heilen. Auf diese Weise wird er zweifach kuriert.

Die Zeit, die zuvor angehalten war oder verrückt spielte, läuft nun wieder im richtigen Rhythmus, dem der Natur und des Lebens. Die Falschheit der Wirklichkeit ist aufgehoben, und König Lír darf über eine Welt herrschen, die nach Heilung lechzt.

Die Komödie

Wie sehr sich die Figuren ihrer selbst als Akteure einer Geschichte bewusst sind, zeigt nicht allein der Schluss. Prinz bzw. nunmehr König Lír will die vorgefertigte Rolle des Helden ausfüllen. Schmendrick definiert sie für ihn neu: als Heiler der Welt. Und er sagt voraus, dass schon bald eine Jungfer in Not kommen werde, um Lírs Hilfe zu erflehen. Es kommt, wie es kommen muss: Eine Jungfer in Not stolpert aus dem Wald und fleht Schmendrick um Hilfe gegen ihre gewissenlosen Verfolger an. Der Zauberer verweist sie lachend an Lír, der gerade nach Hause reitet. Bei dem sei sie bestens aufgehoben.

Dass überhaupt eine Räuberbraut in diesem wundervollen Plot mitspielt, ist ebenfalls ein Hinweis auf eine Parodie, die ihr eigenes Genre verulkt. Molly, die Koseform von „Margaret“, ist eine Nachfolgerin von „Moll Flanders“, jener Glücksritterin von Daniel Dafoes Gnaden, die sich überall durchzuschlagen weiß. Aber ist das Leben bei Edelräubern ein ehrenhaftes Leben? Mitnichten. Auch sie ist in dieser heruntergekommenen Welt gestrandet. Doch wie Schmendrick erkennt sie im Einhorn nicht ein „weiße Stute“, sondern etwas viel Elementareres, einen ursprünglichen Zauber, dem sie folgen muss.

Die Räuberszene sorgt für eine Menge lustige Auflockerung der dramatischen Anspannung. Schräge Lieder werden angestimmt, und das Ganze wirkt wie Robin Hoods lustige Gesellen aus der Hollywood-Verfilmung mit Errol Flynn. Allerdings verbirgt sich hinter dem Schicksal dieser Ausgestoßenen und Verbannten jene Tragik, für die König Haggard verantwortlich ist. Nicht der Sheriff von Nottingham hat die Räuber geschaffen, sondern ein Anachronismus im Land. Also darf man hoffen, dass auch sie durch das Eingreifen von Schmendrick und Einhorn befreit werden.

ZWEI HERZEN

Die neunjährige Sooz lebt im Land von König Lír zusammen mit ihren Eltern, ihrem triezenden Bruder Wilfrid und der treuen Hündin Malka. Doch etwas ist neuerdings falsch im Land. Ein riesiger Greif hat sich im Midwood, dem Mitternachtswald, niedergelassen und beginnt, alles Vieh, dem das Volk lebt, im Umkreis zu fressen. Sooz, die uns ihre Geschichte erzählt, bekommt von seinem schaurigen Anblick Albträume.

Als der Greif beginnt, Kinder zu fressen und schließlich sogar Sooz‘ beste Freundin, die stumme Felicitas, beschließen die Männer, eine Bürgerwehr zu bilden und den König um Ritter zu bitten, doch selbst eine Schwadron vermag nichts gegen den Greif auszurichten. Und nach Felicitas‘ Tod hält es Sooz nicht aus: Sie macht sich auf den Weg zum König, um ihn um Hilfe zu bitten.

Am Rande des Dorfes Hagsgate, das wir schon gut kennen, stößt sie auf Molly Grue und den angeblichen Zauberer Schmendrick. Was für ein ulkiger Name, findet Sooz, doch er gibt ihr sofort zu essen. Nachdem Sooz ihr Leid geschildert hat und da sie sowieso zum König wollten, nehmen die beiden die kleine Retterin mit. Dass die zwei nicht verheiratet sind, findet Sooz sehr ungehörig.

Das Schloss des Königs, drei Tagesreisen entfernt, ist keine furchteinflößende Burg, sondern ein heller Palast, in den Schmendrick ohne Weiteres Einlass gewährt wird. König Lír sitzt nicht auf einem prächtigen Thron, sondern auf einem einfachen Stuhl. Der alte Mann, der einst so agil war, wirkt schläfrig. Er wacht nur auf, wenn er das Wort „Einhorn“ hört. Seine Seele gehört immer noch ihr, der Lady Amalthea.

Doch er ist bereits, gegen sämtliche Widerstände seines Hofes und vor allem seiner „Protektorin“ Lisene, dem Dorf von Sooz beizustehen. Schließlich ist es doch die Aufgabe eines Helden, das Land von Monstren zu befreien, nicht wahr? Er weigert sich sogar, einen Tross von Helfern mitzunehmen. So kommt Sooz in den raren Genuss, vom König selbst die Geschichten seiner (wahren) Heldentaten erzählt zu bekommen.

Sooz kehrt in ihr Dorf zurück, wo ihr die Eltern erst einmal den Hintern versohlen, bevor sie überhaupt etwas sagen darf. Sie berichtet, ein Ritter wolle den Greif bekämpfen. Ihr Vater hält nicht viel davon. Sind nicht schon etliche Ritter an dieser Aufgabe gescheitert? Doch dann kehrt Sooz zu ihren Freunden zurück. Sie soll am Waldrand des Midwood warten, bis die Sache erledigt ist.

Doch daraus wird nichts, als sie sieht, dass ihr treuer Wächter, der Hund Malka, in den Wald stürmt, um das Untier anzugreifen. Sie eilt hinterher. In ihr Verderben?

Mein Eindruck

Die Perspektive des Bauernmädchens Sooz ist genau der richtige Blickwinkel, um ein so heroisches geschehen wie ein Duell mit einem Monster zu überliefern. Alles wird leichter – und vor allem ironischer. Sooz rückt mit ihrem praktischen und zugleich kindlichen Menschenverstand die naheliegende Überhöhung der Heldentat in weite Ferne. Zugleich ermöglicht uns Sooz durch ihre menschliche Verbindung mit dem allein reitenden König einen Blick auf dessen Innenleben.

Wer hier in dieser Heldengeschichte auftritt, sind demnach keine Helden, solche einfache Leute, die ihr Möglichstes zu tun versuchen. Und ihr Möglichstes stellt sich nicht immer als das heraus, was sie sich wünschen. Einer der Gründe liegt beispielsweise in der Tücke des Objekts: Wie der Titel schon andeutet, verfügt der schimärische Körper des Greifs sowohl über das Herz eines Adlers (Vorderteil) wie auch über das Herz eines Löwen (hinterer Körperteil). Daher nützt es König Lír nichts, eines der Herzen durchstoßen zu haben – das Monster überlebt dennoch – und schlägt zurück.

Aus „Das letzte Einhorn“ wissen wir, dass das Horn des Einhorns Gestorbene wieder zum Leben erwecken kann. Schmendrick fleht das Einhorn Amalthea, das zu Hilfe geeilt ist, an, den getöteten König wiederzuerwecken. Doch Amalthea ist ganz anderer Ansicht. Sie wählt nicht die tote, überlebte Vergangenheit, sondern die Zukunft. Und die Zukunft, stellt Sooz fest, liegt in ihren Händen …

Die zwei Übersetzungen

Die Übersetzung von „Zwei Herzen“ ist inhaltlich wie in der Textgestalt makellos. Ganz anders hingegen „Das letzte Einhorn“. Ich habe mir nicht weniger als zehn Druckfehler notiert. Das sind meistens vergessene Buchstaben, besonders an Wortendungen. Es gibt aber auch Wortwiederholungen (S. 244/45).

Der sprachliche Stil der Übersetzung Jürgen Schweier ist manchmal fragwürdig, weil veraltet. Es klingt altväterlich, wenn er sagt „des Königs Stier“. Das ist nicht so schlimm wie Modernismen wie „D-Zug“. Aber was, bitteschön, hat sich der heutige Leser unter einem „köstlichen Körperbau“ vorzustellen, den das Einhorn aufweisen soll? Soll es etwa gebraten und verspeist werden? Gott behüte! Gemeint ist wohl ein „feingliedriger Körperbau“.

Das sind lauter solche Sachen, die nach einer Neuübersetzung verlangen. Denn eine deutsche Fassung von anno Asbach ist heute, wo das junge Publikum schon mit dem Internet in Kontakt kommt, nicht mehr vollständig verständlich. Und das ist sehr schade.

Unterm Strich

„Das letzte Einhorn“ ist eine Tragikomödie, die sich aus mehreren Elementen zusammensetzt. Es geht um die Heilung der Welt von einem Grundübel, doch diese Heilung stellt sich als gar nicht so einfach heraus. Denn König Haggard, der alle Einhörner der Welt vertreiben lässt – und damit Leben, Hoffnung und Liebe -, hat zwei starke Kämpfer auf seiner Seite: den Roten Stier der Unterdrückung, der seine dunkle Seite darstellt; und seinen Ziehsohn Lír, der als Held für Haggards „Ordnung“ sorgt.

Durch die Ankunft des Trios aus Schmendrick, Molly und Einhorn/Amalthea wird ein Spalt in die Einheit des anderen Trios getrieben, und zwar vor allem, weil die Liebe zu Amalthea den Sohn vom Vater entfremdet. Es muss zu einem Entscheidungskampf kommen. Wird der Vater den Sohn töten, um das Einhorn zu vernichten, das seine Tyrannei bedroht? Ja, er tut es tatsächlich. Das ist ein klassisches Familiendrama, nur mit dem Unterschied, dass die meisten Akteure genau wissen, was sie da tun. Sie spielen alle eine Rolle, außer vielleicht Lír und Amalthea, die Liebenden.

Die Prophezeiung der Hexe erfüllt sich, die den Untergang des Schlosses und seines Königs vorausgesagt hat. Dieser Sohn, Lír, so zeigt, stammt aus dem Dorf Hagsgate, das bislang von Haggard profitiert hat – und sich durch dieses Menschenopfer freigekauft hat. Kann es ein größeres Verbrechen geben? Hagsgate liegt nach dem „Fall des Hauses Haggard“ ebenfalls in Trümmern, was nur gerecht ist.

Zum Glück gibt es ein gehöriges spielerisches Element in der dramatischen Handlung, und dieses hat damit zu tun, dass die Figuren wissen, dass sie eine Rolle in einer Geschichte spielen. Daher singen sie auch über sich jede Menge Lieder, nicht zuletzt jene lustigen Gesellen im Wald, die lieber Räuber SPIELEN als es wirklich zu SEIN.

Bei Schmendrick, so könnte man sagen, ist es umgekehrt: Der bisherige Stümper, der unter einem Unsterblichkeitsfluch leidet, wird in Haggards Schloss von einem tiefgreifenden Wandlung aus mysteriöser Quelle erfasst. Sie macht ihn zu einem wahren, mächtigen Zauberer – und wieder sterblich. Bei Amalthea verläuft die Wandlung genau umgekehrt: Aus der sterblichen Lady wird durch Schmendricks Zauber wieder das unsterbliche Einhorn, das aber auf seine Liebe zu Lír verzichten muss. (Diese Liebe findet erst in der Fortsetzung „Zwei Herzen“ ihre Erfüllung und ihr Ende.)

Zwei Herzen

Diese Novelle schildert den heldenhaften Kampf des Königs gegen ein Untier, das seine Bauern dezimiert und das Land bedroht. Doch der Autor macht daraus nicht eine Geschichte für Heldensagen, sondern ein menschliches Drama, das nicht zuletzt viel mit Liebe zu tun hat. Das ist sehr, sehr anrührend, und ich kann die Lektüre nur jedem Liebhaber von „Das letzte Einhorn“ empfehlen.

Diese Ausgabe

Diese Ausgabe führt den Fantasy-Klassiker mit einer neuen Publikation zusammen. In beiden sehen wir unsere Helden wieder: das Einhorn, König Lír, Molly Grue und schließlich den Zauberer Schmendrick. Der Kreis schließt sich, denn was der erste Roman eröffnet und erschafft, schließt die Novelle, namentlich das Schicksal von König Lír. Doch das restliche Personal, erweitert um die junge Sooz, ist bereit für weitere Heldentaten.

Beide Geschichten sind sowohl Jugendliche als auch für Erwachsene geeignet. Das mag erstaunen, aber wer über die Kenntnisse verfügt, um sowohl die Symbolik des Romans zu entschlüsseln als auch die zahlreichen Verwandlungen in den Herzen der Figuren nachzuvollziehen, wird vollauf mit anrührenden Erkenntnissen belohnt werden.

Der Roman ist ein Buch der Wandlungen, mit Aussagen, die jede Generation erneut angehen. Somit ist es nicht ohne Grund ein Klassiker geworden. Jeder Satz, jedes Wort zählt, und daher sollte man das Buch nicht nur einmal, sondern viele Male lesen, um alles mitzubekommen.

„Zwei Herzen“ ist eine zeitliche distanzierte, aber personell direkt anschließende Geschichte. Die Novelle, die sowohl mit HUGO- als auch NEBULA-Award ausgezeichnet wurde, ist scheinbar kindlich im Ton, doch die Geschehnisse, die sie berichtet, sind profund und sehr anrührend. Für mich ist das die optimale Ergänzung. Schade ist höchstens, dass es dazu nur die Titelillustration gibt, aber keine im Text. Und dass die Druckfehler in „Das letzte Einhorn“ nicht in der Neuausgabe beseitigt wurden, finde ich höchst bedauerlich.

Gebunden: 304 Seiten
Originaltitel: The Last Unicorn (1968) / Two Hearts (2008)
Aus dem US-Englischen übersetzt von Jürgen Schweier und Cornelia Holfelder-von der Tann
ISBN-13: 978-3608938722

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Der Autor vergibt: (5.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

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