Becker, Rolf & Alexandra / Stamm, Heinz-Günter – Gestatten, mein Name ist Cox: Heißen Dank fürs kalte Buffet (Hörspiel)

Mordermittlung als Freizeit-„Vergnügen“

Ein seltsamer Zufall, dass etliche Leute an rätselhaften Herzattacken sterben, mit denen Privatdetektiv Paul Cox kurz zuvor noch ein Gläschen trank. Dieser Ansicht ist auch der ermittelnde Polizeiinspektor Carter. Um den schlimmen Verdacht Carters von sich abzuwenden, bleibt Cox nur die Möglichkeit, den wahren Täter zu finden, und er macht sich mit seinem Freund Thomas Richardson auf die Socken. Ob es wohl etwas zu bedeuten hat, dass die Verstorbenen alle irgendwelche Erbansprüche an den Textil- und Chemieunternehmer Antoine Lefèvre besaßen?

Die Autoren

Rolf Becker, der das heitere Kriminalhörspiel mit seiner Frau Alexandra (1925-1990) schrieb, wurde 1923 in London geboren. Nach dem Krieg hatte er erste Kontakte zum NDR, Engagements bei der BBC als Rundfunkregisseur und -autor, ab 1953 arbeitete er mit seiner deutschen Ehefrau, einer Schauspielerin, als freier Schriftsteller. Zu den Hörspielreihen der Beckers gehören „Gestatten, mein Name ist Cox“, „Dickie Dick Dickens“, „Die Experten“ u. v. a.

Weitere Cox-Fälle:

Eben war die Leiche noch da
Tod auf Gepäckschein
Die kleine Hexe
Trommeln gehört zum Handwerk
Mord ist strafbar

Die Produktion

Ausgewählte Rollen und ihre Sprecher:

Paul Cox: Günther Ungeheuer
Thomas „Richie“ Richardson: Peter Pasetti
Antoine Lefèvre: Paul Verhoeven
Edmund Gatewell: Herbert Fleischmann
Genviève Gatewell, geb. Lefèvre: Karin Hübner
Gregory Guilmore: Gerd Baltus
Inspektor Carter: Paul Dahlke
Sgt. Collins: Reinhard Glemnitz
Gunny: Margot Philipp
Jonathan Burns: Stefan Matousch
Mrs Shanders: Alexandra von Bajar
Prof. Talbot: Eberhard Müller-Elmau
u. v. a.

Regie führte bei dieser Produktion des Bayerischen Rundfunks Heinz-Günter Stamm, die Musik lieferte Konrad Elfers. Die Aufnahmeleitung lag in den Händen von Alexander Malachovsky, die Technik bediente Heinz Sommerfeld. Die Aufnahme entstand 1969.

Handlung

Der Londoner Privatdetektiv Paul Cox ist zur Dinnerparty von Genevieve Gatewell eingeladen worden. Warum aber so kurzfristig? Das kommt seinem Partner Thomas Richardson spanisch vor. Cox ist aber nicht wegen Genevieve hin, sondern wegen der hübschen Überbringerin der Einladung, Gunny. Wie sich herausstellt, ist dies die „Haustochter“ der Gatewells, also eine Adoptivtochter. Auch Gregory Guilmore ist ein fescher Playboy, der eifersüchtige Signale ausstrahlt und Cox an Othello erinnert. Er belauscht Gunny, die Guilmore fragt, was sie mit den Beweisen tun soll. Welche Beweise? Genevieve warnt Cox davor, sich mir Gunny einzulassen.

Dann beginnt der Abend merkwürdig zu werden. Der Butler überbringt Cox die Einladung eines Bettlers, ihn vor dem Haus zu treffen. Der Bettler hat einen Brief von Richie an Cox: „Verlass mich nicht, deine Gunny.“ Rätselhaft. Als er ins Haus zurückkehrt, bricht die besagte Gunny ohnmächtig zusammen. Der Arzt stellt nur noch ihr Ableben fest. Die Gastgeber sind entsetzt, Cox erschüttert.

Cox will, dass Inspektor Carter vom Scotland Yard den Todesfall untersucht. Der aber weiß schon Bescheid und hat auch einen Verdächtigen: Cox selbst! Richie weiß nichts von einem Brief, den er Cox per Bettler geschickt habe. Offenbar ist der Brief gefälscht. Gunny, so der Arzt, starb an einem Herzschlag. Ungewöhnlich bei einer 20-Jährigen. Edmund Gatewell vertraut Cox unter dem Siegel der Verschwiegenheit an, Gunny sei seine leibliche, aber uneheliche Tochter gewesen.

Die Aufregung geht weiter, als der Nachbar Young eine weitere Leiche meldet: hinterm Steuer eines Wagens. Cox ahnt es bereits: Es ist der bettelnde Briefüberbringer. Und diesmal hat er einen zweiten Brief: „Bitte verlass mich nicht. Dein Jonathan.“ Genevieves Vater, der Unternehmer Antoine Lefevre, identifiziert den Toten: Weatherford war Gunnys Stiefvater. Lefevre kennt den wahren Vater Gunnys, Edmund. Seltsam, dass Weatherford ebenfalls an einem Herzschlag starb. Ist eine Seuche ausgebrochen?

Cox erfährt von Edmund, dass Gunnys Freund ein Lefevre-Angestellter namens Jonathan Burns war. Justament an diesem Abend besucht dieser das Haus von Cox, findet aber nur die Haushälterin Mrs. Shanders vor. Er führt sehr seltsame Reden, wie sie findet. Unter anderem lobt er den ausnehmend schönen Regenschirm von Mr. Cox. Und erwähnt, dass er schon morgen nicht mehr mit Cox sprechen könne, weil er tot sein werde. Zwischen zwölf und dreizehn Uhr. Was die Frage aufwirft, wie er das wissen kann …

Mein Eindruck

Es ist eine Handlung, die in ihrem Ambiente und der Besetzung an die späten fünfziger Jahre – also zehn Jahre vor Realisierung – erinnert. Die Familienquerelen inklusive falscher Identitäten, amouröser und fataler Verwicklungen – kommt einem das nicht von Agatha Christie und den deutschen Edgar-Wallace-Verfilmungen bekannt vor? Fehlen nur noch die Nierentische und die Jazzmusik – die denn auch pünktlich erklingt.

Auch die Hauptfigur des Gelegenheitsdetektivs, der sonst nichts Besseres zu tun hat als ein putatives Erbe zu verpulvern, ist vertraut. Da gab es doch einen gewissen Lester Powell, seines Zeichens Vielschreiber von Radio-Krimis, dessen Detektiv Philip Odell ebenfalls freizeitmäßig auf den Spuren diverser Bösewichte unterwegs war. Allerdings war Philip Odell fest mit einer reizenden Lady namens Heather McMara liiert und arbeitete zuvor sogar handfest für den britischen Geheimdienst.

Im Vergleich dazu stellt Paul Cox eine Parodie des Klassikers dar. Obwohl er dem Wahren, Guten und Schönen stets zum Sieg verhelfen will, beschuldigt ihn die Polizei, verkörpert durch den völlig vernagelten Inspektor Carter, stets, der Täter selbst zu sein. Zwielichtige Zeugen, gefälschte Briefe und fingierte Telefonanrufe und dergleichen setzen die Bullen nur allzu leicht auf die falsche Spur. Man kann nicht sagen, dass das Leben von Cox sonderlich langweilig wäre, denn sowohl das Böse als auch das Gesetz halten ihn auf Trab.

Dass Cox einen Partner hat, macht ihn zu einem Nachfahren des dynamischen Duos Sherlock Holmes und Dr. John Watson. Doch mit umgekehrten Vorzeichen. Cox ist der überkandidelte und oberschlaue Hansdampf-in-allen-Gassen, während sein Partner, der stets ernste und verlässliche Thomas Richardson, ihn keineswegs bewundert, sondern vielmehr stets aus den ärgsten Notlagen heraushaut oder vor ebensolchen bewahrt. Dass wir weiter nichts über das Privatleben eines solchen Helden erfahren, verwundert nicht. Er ist nur ein Steigbügelhalter für die Heldentaten des Mr. Cox.

Der Kern des ganzen Drumherums, das den unaufmerksamen Zuhörer völlig verwirrt zurücklassen würde, ist eine neue Erfindung. Das grenzt schon fast an Sciencefiction oder an Dr. Mabuse: Die Formel für ein Gift, das zu einem Herzinfarkt binnen 24 Stunden führt – was ließe sich damit nicht alles an „Verbrechen des Jahrhunderts“ bewerkstelligen! Leider wird diese brisante Sache so verklausuliert und überlang präsentiert, dass ich mich heute wundere, wie es die Zuhörer damals so lange vor ihren Radios ausgehalten haben.

Die Inszenierung

Die Sprecher

Die Sprecherriege stammt trotz des Produktionsdatums von 1969 direkt aus den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren. Günther Ungeheuer beeindruckte mich bereits in Jürgen Rolands abendfüllendem Spielfilm „Vier Schlüssel“ von 1966 als eiskalter Bösewicht. Nun gibt er hier den gewitzten und stets gehetzten Privatdetektiv – das nennt man wohl einen Wechsel des Fachs. Wenigstens nehme ich ihm seine stets coole Schnoddrigkeit ab.

Paul Dahlke als Inspektor Carter klingt hier bereits zu behäbig, um noch als vollwertiger Polizist überzeugen zu können. Er spielt altersmäßig schon in einer Liga mit Erik Ode und dem späten Horst Tappert – also als Kommissar ohne Probleme, Autorität auszustrahlen. Doch im Cox-Hörspiel wird er ständig von Cox vorgeführt. In den späteren Folgen wird dies noch schlimmer, und 1977, bei „Eben war die Leiche noch da“, rutscht die Polizeitruppe vollends in Slapstick und Klamauk ab.

Die Damen sind fast alle erwachsen: Genevieve ist wie andere Damen des Stücks eine falsche Schlange, die erst spät unter Cox‘ bohrenden Fragen einknickt. Am besten kommt noch die junge Gunny weg, an der Cox – wen wundert’s bei einem Junggesellen? – einen Narren gefressen hat.

Leider wird die junge Dame nach nur wenigen Zeilen als Erste abserviert, was in meinen Augen ein schwerer dramaturgischer Fehler ist. Denn fortan hat Cox keinen richtigen „love interest“ mehr (die verheiratete Genevieve tut nur so, als ob sie das wäre), und alles dreht sich nur noch darum, das Geheimnis des Giftes zu lüften, was natürlich auch den Mörder entlarvt. In „Eben war die Leiche noch da“ wird dieser Fehler nicht gemacht.

Geräusche

Das Hörspiel unternimmt nur zaghafte Versuche, durch Geräusche die Illusion von Realismus zu erzeugen. Türen knarren, alle Arten von Glocken und Klingeln ertönen, Motoren brummen und Rauschen, hin und wieder fallen Schüsse, als ob Popcorn knalle, Schreie, Rufe und klirrendes Glas – das war’s auch schon. Alle Geräusche sollen einen dramatischen Effekt erzielen statt Realismus zu erzeugen. Diese Strategie ist mehr im Theater zuhause als beim Film. Statt auf mehr Vielfalt der Geräusche zu setzen, setzte die Tonregie auf Musik. Dieser Schuss geht nach hinten los.

Die Musik

Zur Anmutung des 50er-Jahre-Ambientes gehört auch die Jazz- und Swingmusik. Obwohl im Jahr 1969 produziert, sind Beatles-Töne völlig außer Reichweite der eingesetzten Musik, und an progressiven Rock à la The Doors oder The Who ist nicht im entferntesten zu denken. Die Musik trennt Szenen und füllt Pausen, das war’s. Außerdem erklingt sie am Anfang und Ende mit einer Art Erkennungsmelodie für die Serie. Wenigstens drängt sie sich nicht auf.

Unterm Strich

Die Figur des Privatdetektivs Paul Cox mag für die damalige Zeit, also Ende der sechziger Jahre (man glaubt es kaum), noch akzeptabel gewesen sein, doch schon damals war er die Parodie von Helden wie Philip Marlowe und Philip Odell, von Sherlock Holmes ganz zu schweigen. Der Plot besteht aus dem üblichen Verwirrspiel mit falschen Identitäten, verwickelten Verwandtschaftsverhältnissen und überraschendem Auf- und Untertauchen. Man kommt sich vor wie in einem labyrinthisch ausgetüftelten Szenenbild, wo alle naslang eine Überraschung den Zuschauer narrt.

Es dauert denn auch nicht allzu lange, bis der unaufmerksame Zuhörer das Handtuch wirft und aufgibt, dem Plot in eine sinngebende Ecke zu folgen. Das Finale erinnerte mich an Hitchcocks „39 Stufen“, mit seinem effektvollen Einsatz der schottischen Gebirgslandschaft. Hierin zeigt sich, wem die Beckers am meisten verdanken: John Buchan und Lester Powell, den Klassikern des Brit-Crime-Radiohörspiels, eventuell auch Agatha Christie. Das lässt als Zielgruppe die ältere Generation wahrscheinlich erscheinen.

185 Minuten auf 3 CDs
ISBN-13: 9783867170079

https://www.penguinrandomhouse.de/Verlag/der-Hoerverlag/70000.rhd

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