Beckett, Simon – Tiere

_Der böse Anfang einer eigenartigen Erfolgsgeschichte_

Bei der Erwähnung des Namens Simon Beckett schnalzen Krimi- und Thriller-Gourmets seit geraumer Zeit hochachtungsvoll mit der Zunge. Die Geschichten um seinen ruhmreichen Protagonisten David Hunter haben in den vergangenen Jahren die Bestseller-Listen beherrscht, „Die Chemie des Todes“ und „Kalte Asche“ galten als Nonplusultra des Psycho-Metiers. Erwartungsgemäß ist der Erfolg des britischen Autors auch bei den hiesigen Verlagen nicht unbemerkt geblieben, die in der jüngeren Vergangenheit einiges daran gesetzt haben, das Werk respektive den Katalog des Bestseller-Schreibers peu à peu zugänglich zu machen. „Tiere“ ist nun die letzte Neuauflage dieser Vergangenheitsbewältigung – aber ähnlich wie „Voyeur“ und „Obsession“ bei Weitem nicht so fantastisch ausgearbeitet wie die renommierten Geschichten aus dem Hause Beckett. Wer tut sich also mit dieser Ausschlachtung einen Gefallen?

_Story:_

Der geistig minderbemittelte Nigel lebt seit geraumer Zeit im Pub seiner Eltern und führt dort ein zurückgezogenes Leben. Gesellschaft ist ihm nicht sonderlich wichtig, und wenn er seiner Vorliebe für Comics und kulinarischen Leckerbissen gerade einmal nicht nachgeht, weil er gerade nicht alleine sein möchte, reicht der Abstieg in den Keller seines Hauses, wo Nigel einige anrüchige Damen aus der näheren Umgebung gegen ihren Willen unter unzumutbaren Bedingungen festhält. Doch Nigel kümmert sich kaum um die Gefangenen, die er leidlich mit Hundefutter abspeist und gelegentlich auch aufs Äußerste provoziert. Stattdessen widmet er sich lieber seinen Kolleginnen Cheryl und Karen, auf die er große Stücke hält, und die auch ihn offenbar ganz gerne mögen. Als sich die beiden Damen eines Tages zu Besuch ankündigen, gerät Nigels kleine, brutale Welt in Gefahr – denn natürlich darf keiner von ihnen erfahren, welche grausamen Spielchen der Minderbegabte in den Tiefen seines Hauses betreibt …

_Persönlicher Eindruck:_

Mit jedem weiteren Roman aus Becketts Vergangenheit sieht man sich noch ungläubiger der Tatsache ausgesetzt, dass aus diesem zunächst eigentlich wenig talentierten Schreiber eines Tages ein Autor hervorgehen würde, der die Hitlisten vom Thron aus betrachtet. Blickt man auf das 1996 erstveröffentlichte „Tiere“ zurück, muss man sich berechtigt die Frage stellen, was in der Zwischenzeit mit Beckett geschehen ist, wie es zu diesem Wandel kam, warum er so viel belletristische Zweitklassigkeit zulassen konnte, bevor er sich dann dazu durchringen konnte, etwas fokussierter und überlegter ans Werk zu gehen. Denn wenn eines definitiv nicht abzustreiten ist, dann der Umstand, dass der inzwischen gefeierte Autor in seiner Frühphase als Romanschreiber reichlich Zweitklassiges produziert hat – wenn denn überhaupt.

„Tiere“ ist wohl der beste Beweis dafür, dass Becketts Karriere fernab von jeglichem Ruhm und Genie eingeleitet wurde. Die Story ist nur marginal durchdacht, folgt zwar einem logischen Strang, ist in ihrer Aufarbeitung allerdings sehr dürftig. Man findet kaum Zugang zu den Charakteren, kann ihr Handeln kaum nachvollziehen und wird stattdessen vermehrt vom krankhaften Antlitz des Protagonisten geblendet, der seine gestörten Fantasien im Laufe des Romans in keinster Weise erklären oder reflektieren kann. Es ist einfach Fakt, dass Nigel einige Frauen aus der gesellschaftlichen Unterschicht in seinem Keller beherbergt, sie wie Tiere züchtet, ihnen jegliches Recht auf Menschlichkeit raubt und ihnen schließlich das letzte Bisschen Würde raubt, welches ihnen vor ihrer Gefangenschaft noch geblieben war. Warum? Zu welchem Zweck? Ja, dies sind die fragen, auf die der Autor keine befriedigende Antwort findet.

Hinzu kommt, dass er die Prioritäten zur Halbzeit vollkommen verschiebt. Mit einem Mal sind es nur noch Karen und Cheryl, die im Zentrum stehen, da Nigel händeringend versucht, sein finsteres Geheimnis vor ihnen zu bewahren. Doch die Art und Weise, wie Beckett hier agiert, wie hilflos er in manchen Wendungen erscheint und wie bedeutungslos die Situationen im Gesamtzusammenhang erscheinen, in denen die Szenerie im Keller des Pubs geschildert wurde, ist erschreckend – und lässt den Leser verblüfft zurück. Dieser Mann hat „Die Chemie des Todes“ geschrieben? Unfassbar …

Insofern ergibt es eher Sinn, „Tiere“ als riskantes Startprojekt, womöglich auch als peinliche Jugendsünde ins Auge zu fassen und dem Buch keine allzu große Bedeutung beizumessen – denn diese hat der 96er Roman absolut nicht verdient. Andererseits sollte ein solches Werk junge, bis dato noch erfolglose Autoren ermutigen, am Ball zu bleiben. Denn wer einen Psycho-Thriller, dazu auch noch aus der waghalsigen Ich-Perspektive, so heftig versemmelt und mehr als ein Jahrzehnt später trotzdem auf den vordersten Rängen der Bestseller-Liste zu Hause ist, der scheint mit harter Arbeit, der Gabe, aus den eigenen Fehlern zu lernen, und schließlich viel Mühe doch noch ans Ziel gekommen zu sein. „Tiere“ ist – davon abgesehen – allenfalls interessant, wenn man Becketts Entwicklung als Autor dokumentiert sehen möchte. Als eigenständiger Roman zehrt er jedoch nur vom Namen, ist inhaltlich aber irgendwo zwischen Enttäuschung und Katastrophe angesiedelt.

|Taschenbuch: 288 Seiten
Originaltitel: Animals
ISBN-13: 978-3499249150|
[www.rowohlt.de]http://www.rowohlt.de

_Simon Beckett bei |Buchwurm.info|_
[„Die Chemie des Todes“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2355
[„Kalte Asche“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4205
[„Leichenblässe“ (Hörbuch)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5625
[„Obsession“ (Hörbuch)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5853
[„Verwesung“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6978

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