Beckett, Simon – Voyeur

Eine ähnliche Einleitung hat es kürzlich bereits zu Simon Becketts eher durchschnittlichem Frühwerk „Tiere“ gegeben, hier sei sie noch einmal in Kurzform wiederholt: Der Bestseller-Autor, der mit seiner „David Hunter“-Serie zuletzt für mächtig Furore sorgte, hat auch einige schattige Kapitel in seiner literarischen Biografie zu verzeichnen. Hierunter fallen neben dem noch ganz ordentlichen, aber letzten Endes ebenso unspektakulären „Flammenbrut“ auch Titel wie „Obsession“ und das hier vorliegende „Voyeur“. Wer also mit Beckett via „Kalte Asche“ respektive „Die Chemie des Todes“ Bekanntschaft gemacht hat, sollte gewarnt sein: Die Klasse dieser Bücher konnte der seinerzeit stellenweise noch unbeholfen anmutende Autor in seiner ersten Phase als Schreiber nicht einmal im Ansatz erreichen.

_Story:_

Der kunstinteressierte Galerist Donald Ramsey hat eine ganz bizarre Vorstellung von Erotik. Das Liebesspiel als solches bewegt ihn nicht, Sex ist ihm sogar ein Gräuel, weshalb er hier auch sehr enthaltsam lebt. Lediglich die Beobachtung sexueller Handlungen erregt ihn vergleichbar mit seiner Begeisterung für die erotische Kunst. Doch Ramseys Ansichten ändern sich, als er seine Assistentin Anna dabei beobachtet, wie diese sich in den Räumlichkeiten der Galerie an- und auskleidet und sich für ein Treffen mit ihrem Lebensgefährten Marty vorbereitet. In diesem Moment entwickelt Ramsey nicht nur ein Verlangen für diese Frau, sondern steigert sich gleichermaßen in sehr obsessive Gefühle, die er aufgrund von Annas Lebenssituation jedoch nicht bedingungslos ausleben kann.

Als Donald schließlich erfährt, dass seine Partnerin und Marty sich dazu entschlossen haben, in die USA zurückzukehren, fasst Ramsey einen folgenschweren Entschluss: Er muss Marty aus dem Weg räumen und diese Entscheidung beeinflussen – und dazu ist ihm jedes Mittel recht. Sofort kommt ihm sein alter Gefährte Zeppo in den Sinn, der für jegliches Motiv über Leichen geht. Tatsächlich fehlt von Marty bald jede Spur – doch die Ermittler haben schon eine sehr diskrete Ahnung, wen sie dafür verantwortlich machen müssen …

_Persönlicher Eindruck:_

Rein inhaltlich wirft „Voyeur“ erst einmal keine besonderen Argumente auf, die das Buch mit allzu viel Kritik belasten könnten. Die Idee ist vielleicht nicht originell, aber immer noch gut genug, um der Thriller-Konkurrenz standzuhalten, und auch die Charaktere werden sehr anschaulich und ausführlich gezeichnet, sodass ein flotter, angenehmer Einstieg in die Story von der ersten Seite an gewährleistet ist. Und so verfolgt man Donalds emotionalen Wandel und schaut zu, wie aus einem ohnehin schon sehr eigenwilligen, eigenartigen Menschen ein regelrecht wahnhafter Typus wird, der von dem Wunsch, seine Assistentin zu besitzen und seine Fantasien mit ihr zu erproben, absolut besessen ist. So weit, so gut.

Was dem Roman jedoch im Zuge der sicher sehr feinen Persönlichkeitsstrukturen abgeht, ist ein Hauch von Spannung, eine vergleichbare Obsession, wie sie der Leser in den „Hunter“-Storys durchlebt. Die Handlung ist von Beginn an völlig durchschaubar und schafft es daher nicht wirklich, dieses Gefühl für Spannung zu kreieren, welches man aus Becketts jüngeren Werken kennen und lieben gelernt hat. Jeder Schritt kündigt sich bereits weit vorher an, und sein Vollzug ist lediglich eine Anekdote, die der Autor schon beschrieben hat, bevor sie dann die erwartete Umsetzung erfährt. Man weiß, dass Donald und Anna in irgendeiner Form Kontakt haben werden, man kann sich über Zeppos Erfolg sicher sein, aber auch der Umstand, dass das kriminelle Duo mit ihrer Masche in die Sackgasse läuft, wird hinlänglich vorbereitet und nimmt der Geschichte jedwedes Überraschungsmoment.

Selbst in der Schlussphase, in der sicherlich noch Spielraum für die eine oder andere halsbrecherische Wendung gewesen wäre, nimmt Beckett nicht den Mut auf, sich gegen das Konventionelle zu stellen und einer Art erotischem Erfahrungsbericht mit Thriller-Anleihen das Mindestmaß an Würze und Eigenständigkeit zu verpassen. Stattdessen rennt er jederzeit zielstrebig ins Offensichtliche und raubt sich selber das Potenzial zu jenem Nervenkitzel, den er im Vorwort noch beschreibt und der auch in „Voyeur“ Verwendung finden soll, am Ende aber wie ein völlig entfremdeter Begriff aufgenommen wird – denn wirklich herauskitzeln kann der Autor bei seinem Publikum weder Emotionen, noch das gewisse Prickeln, welches man an Seiten des aufregenden David Hunter auf jeder Seite verspürte.

„Voyeur“ hätte womöglich zur Kurzgeschichte getaugt, da der Kern der Story schnell erzählt ist und die Spielräume für etwas mehr freie Interpretation ausgelassen werden. Letztgenannten füllt Beckett stattdessen mit viel Geplänkel, langatmigen Dialogen, einem exorbitant ausgereizten, spannungsarmen Mittelteil und zum Schluss auch mit einer unerwarteten Unglaubwürdigkeit, die dem Plot das letzte bisschen Farbe rauben. Im Gegensatz zu „Tiere“ hat Beckett in seinem 92er-Debüt zwar wenigstens eine plausible Geschichte zu erzählen. Doch auch wenn „Voyeur“ nicht sein schlechtester Roman sein mag, so liegt es doch sehr ferne, den Erstling weiterzuempfehlen. Dafür ist man einerseits vom Autor selber weitaus Besseres gewohnt, kann sich andererseits aber auch bei der viel überzeugenderen Konkurrenz bedienen.

|Broschiert: 384 Seiten
Originaltitel: Fine Lines
ISBN-13: 978-3499249174|
[www.rowohlt.de]http://www.rowohlt.de

_Simon Beckett bei |Buchwurm.info|:_
[„Die Chemie des Todes“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2355
[„Kalte Asche“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4205
[„Leichenblässe“ (Hörbuch)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5625
[„Obsession“ (Hörbuch)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5853
[„Tiere“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=7202
[„Verwesung“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6978

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