Beddor, Frank – Spiegellabyrinth, Das

_Frankie comes from Hollywood._

Schamlos und doch voller Respekt hat sich Hollywood-Produzent und Skiakrobat Frank Beddor an das Wunderland angepirscht, er hat es dermaßen auf den Kopf gestellt, dass es nur noch wenig mit der schwebenden Niedlichkeit zu tun hat, mit der Lewis Carrol seine jungen Leser zu verzaubern beabsichtigte.

„Das Spiegellabyrinth“ ist der Auftakt zu einer Trilogie, die die „wahre“ Geschichte um das Wunderland erzählt, mit all den blutigen und gewalttätigen Details um die Herzkönigin und ihre Tochter, mit allen scheußlichen Fakten um die Farbfamilien und die Bürgerkriege, die sie anzettelten.

_Erwischt, Lewis Caroll!_

Reverend Charles Dodgson, seines Zeichens Autor unter dem Pseudonym Lewis Carroll, bekommt im Prolog dieses Buches erst einmal ein solches gegen den Kopf geworfen – bildlich gesprochen. Welches? Sein eigenes. Von wem? Von seiner Protagonistin. Alice Lidell ist nämlich zutiefst empört darüber, wie der Geistliche ihre Geschichte verniedlicht hat, wie er sie zu einem netten Kinderbuch verstümmelt hat, das alles enthält, nur nicht die betrübliche Geschichte der jungen Prinzessin, die die moderne Welt irrtümlicherweise als „Alice im Wunderland“ kennt …

Also muss die junge Alice das eben selbst besorgen: Zunächst, so klärt sie den Leser auf, ist ihr wirklicher Name nicht Alice, sondern Alyss, und die Welt, der sie entrissen wurde, kennt keine Grinsekatze, keine Hutmacher, keine knubbeligen kleinen Kartensoldaten und kein weißes Kaninchen.

Stattdessen gibt es da Nanik Schneeweiß, einen äußerst scharfsinnigen Albino-Gelehrten, der sich ziemlich darüber mokieren würde, wenn er wüsste, dass ihn ein britischer Autor als Kaninchen skizziert hat, es gibt Todesschwadronen gedrillter Kartensoldaten, die mehr können als putzig auszusehen, statt eines Hutmachers gibt es Mac Rehhut, eine klingenschwingende Einmann-Armee mit dem Auftrag, Prinzessin Alyss mit dem Leben zu beschützen, und die Grinsekatze … nun ja, sagen wir es so: Alleine für diese Bezeichnung würde Lewis Caroll den qualvollsten aller Tode sterben, den sich diese mit neun Leben bewehrte Killermaschine ausdenken könnte.

_Aber von Anfang an …_

Wunderland ist ein politisches Pulverfass, die Vier Farben (Karo, Bube, Kreuz und Herz) sind Herrscherdynastien mit ausgeglichenem Kräfteverhältnis, ständig schwelen Konflikte zwischen ihnen, und nicht selten entladen sie sich in Bürgerkriege. Im Augenblick aber wird der Frieden durch Königin Genevieve gesichert, Herrscherin der Herzdynastie und Mutter von Prinzessin Alyss.

Als ob der Ärger zwischen den Herrscherdynastien nicht schon genug wäre, bedroht auch noch Redd den Frieden von Wunderland: Die böse Schwester von Königin Genevieve wurde ihrerzeit von der Thronfolge ausgeschlossen, weil sie sonst mit schwarzer Imagination das ganze Wunderland zerstört hätte. Die derartig Gehörnte sieht das natürlich völlig anders und strebt nun mit unersättlichem Hass nach dem Thron, um den sie sich betrogen wähnt.

Unglücklicherweise wählt Redd den Geburtstag von Prinzessin Alyss für ihren Ursurpationsversuch … voll ins Schwarze, könnte man sagen: Sie überrascht ganz Wunderland an empfindlicher Stelle, und die wahre Thronerbin muss Hals über Kopf vor Redds Häschern fliehen, die ihr nach dem Leben trachten. Alyss verliert sich auf ihrer Flucht in einem antiquierten London und versucht verzweifelt wieder zurückzufinden, aber der Einzige, der ihrer Geschichte Glauben schenkt, ist besagter Revererend Dodgson … Währenddessen formieren sich die Überlebenden des Angriffes zu einer Rebellion, um Redd wieder vom Thron zu stoßen.

_Alyss and the Furious._

„Das Spiegellabyrinth“ gibt schon von der ersten Seite an mächtig Gas, stellt das Carollsche Universum mit freudiger Häme auf den Kopf und karikiert seine Elemente mit knochentrockenem Humor (So macht sich der sprechende Wald über die „Grinsekatze“ lustig, weil die sich voller kätzischer Wasserscheu weigert, Alyss durch den Tränensee zu folgen … Schon mal einen großmäuligen Flieder beim Stänkern betrachtet? Köstlich!)

Bei dem Popcorn-Drive bleibt es dann auch. Von Anfang an ist klar, wohin die Geschichte steuert: Alyss verliert in unserer Welt ihre Fähigkeit, Dinge durch Imagination zu beeinflussen, und sie verliert schließlich den Glauben an Wunderland selbst. Redds Terrorherrschaft hingegen dezimiert die Rebellen einschneidend, nur ihre Hoffnung auf die Rückkehr der Prinzessin gibt ihnen noch Kraft, und Mac Rehhut setzt alles daran, sie zu finden, um sie auf den alles entscheidenden Kampf vorzubereiten.

Schade, dass sich der Zauber der ersten Seiten zum Schluss hin verflüchtigt. Zwar hält die Story ihre Geschwindigkeit, aber der Entdecker-Anreiz bleibt auf der Strecke, und, was noch viel bedauerlicher ist, der Humor auch. Wo man Anfangs noch über die schwarzhumorig dargestellte Funktionsweise Wunderlands kichern kann, regieren zum Schluss wilde Effekt-Orgien, deren Ausgang wenig überraschend ist. Liebe und Krieg, Hoffnung und Wut steuern gegenseitig auf einen Showdown zu, wie man ihn von Hollywood erwarten würde. Nun, seine Wurzeln kann Monsieur Beddor eben nicht verleugnen.

Trotz dieses Wermutstropfens bleibt „Das Spiegellabyrinth“ einen Besuch wert. Es ist sozusagen „The Fast and the Furious“ für die Fantasy-Literatur: Nicht so viel fürs Hirn, aber umso mehr fürs Auge; ironisch lockere Vollgas-Unterhaltung eben. Ganz mag ich mich den Begeisterungsstürmen der Presse zwar nicht hingeben, aber ein gutes Buch bleibt es dennoch.

http://www.dtv.de/special__beddor/flash/alyss__new.htm

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