Benecke, Mark (u.a.) – Vampire unter uns!

Mark Benecke kennen die meisten Deutschen als den Mann mit den Maden, Fliegen und sonstigen weniger kuscheligen Insekten. Als Kriminalbiologie ist es seine Spezialität, die Liegezeit von Leichen an Hand von Krabbeltieren festzustellen. Darüber hinaus ist er ebenfalls ziemlich umtriebig – mit zahlreichen populärwissenschaftlichen Büchern, der Mitarbeit an diversen Fernsehmagazinen, Talkshow-Auftritten und einer eigenen Sendung im Radio hat er sein faszinierendes, wenn auch fast schon skurril anmutendes Thema in die deutschen Haushalte geschmuggelt.

Schon weniger bekannt dürfte sein, dass Benecke, wenn er von der Beschäftigung mit den Toten genug hat, sich den Untoten zuwendet. Er ist nämlich Präsident der deutschen Sektion der Transylvanian Society of Dracula. Und in dieser Funktion macht auch sein Name auf dem schmalen Bändchen „Vampire unter uns!“ Sinn, das in seiner ursprünglichen Form eine Sammlung von Texten nur für die Mitglieder der Dracula-Gesellschaft war.

Dabei ist Benecke nicht der alleinige Autor, vielmehr teilt er sich die Autorenschaft mit weiteren Vampir-Afficionados, Wissenschaftlern und Künstlern und verspricht im Vorwort ein „gemischtes Sammelsurium“, das den Leser bei der Lektüre erwartet. Und tatsächlich ist „Vampire unter uns!“ nicht das ultimative Werk zum Thema Vampir (unmöglich). Es ist noch nicht mal eine abschließende Beschäftigung mit einem der vielen Teilaspekte des Vampirismus. Statt dessen geben die zehn teilweise reich bebilderten Artikel Einblicke in die Materie und machen Lust auf mehr.

„Vampire gibt es“, meinte Benecke selbstsicher in einem Interview mit den Stuttgarter Nachrichten im Jahr 2008. Und wer nun stutzt, weil er einem hochdekorierten Wissenschaftler und Forensiker eine solch absurde Aussage nicht zugetraut hätte, der wird bei der Lektüre von „Vampire unter uns!“ schnell eines Besseren belehrt. Gleich zu Beginn präsentiert er dem verwunderten Leser einen Vampirfall aus dem Rumänien des Jahres 2003 (!), in dem die Familie eines verstorbenen Lehrers dessen Leiche heimlich exhumierte, das Herz heraus schnitt, verbrannte und dann die Asche, in Wasser aufgelöst, zu sich nahm, weil sie der festen Überzeugung war, dass ihr toter Verwandter sie nachts als Vampir heimsuche. Wer also glaubte, der Vampirglauben sei der Aufklärung zum Opfer gefallen, der wird hier überraschende Gegenbeweise finden.

Wem Rumänien zu weit weg ist, der sollte getrost weiter lesen. Denn es ist wahrscheinlich, dass der Leser selbst schonmal einem Vampir begegnet ist. Vielleicht hat er in der Straßenbahn neben ihm gesessen oder vielleicht wohnt er sogar nebenan. Tatsache ist, dass sich viel mehr Vampire in Deutschland tummeln, als man vielleicht denkt – sie sind eben wirklich unter uns. Dabei ist nicht unbedingt vom Bela-Lugosi-Vampir die Rede, der im schwarzen Cape und mit getürktem Akzent bei Tag zu Staub zerfällt. Vielleicht ist es der psychische Vampir, der seinem Opfer Lebensenergie stiehlt. Oder es ist der Sanguinarier, der seinem Partner oder seiner Partnerin bei besonderer Gelegenheit gern mal ein paar Tropfen Blut abzapft. Diese Vampyre – das „y“ ist die Unterscheidung zum fiktiven Blutsauger und bezeichnet eine Lebensart – existieren, aber sie sind nicht untot. Vampyre als eine Randerscheinung der schwarzen Subkultur zeigen eine große Bandbreite und Beneckes Artikel beschreibt anschaulich, fundiert und mit unverkennbarer Sympathie von den Vampyren und ihren Communities. Er wirbt für mehr Akzeptanz, indem er Einblicke gibt und die Andersartigkeit der Subkultur zwar benennt, andererseits aber eindringlich – und vor allem überzeugend – davor warnt, sie als Spinner abzutun. Der Beitrag einer Psychologin schlägt in dieselbe Kerbe: Wer dachte, Menschen, die sich die Zähne anspitzen und sich für Vampyre halten, haben automatisch einen Dachschaden, werden hier eines Besseren belehrt. Das Trinken von Blut lässt sich noch nicht mal als psychologische Störung einordnen, solange es in beiderseitigem Einvernehmen statt findet. Na, da ist ja alles im grünen – bzw. blutroten – Bereich!

Doch es geht nicht nur um Subkultur. Schließlich handelt es sich um eine Schriftensammlung der Society of Dracula und da macht es nur Sinn, irgendwann den Bogen vom Vampir zu Dracula zu schlagen. Natürlich muss da der Name Vlad Tepes fallen und natürlich muss es um Transsilvanien gehen. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang ein im Buch abgedrucktes Interview mit Nicolae Paduraru, dem 2009 verstorbenen Gründer der Transylvanian Society of Dracula. Eigentlich war er im sozialistischen Rumänien Fremdenführer gewesen und hatte noch nie etwas von Dracula gehört. Tatsächlich wurde der vampirische Graf nämlich von englischen und amerikanischen Touristen eingeschleppt, für die sich Rumänien seit den 1960er Jahren öffnete. Paduraru, der das Potenzial erkannte, führte Dracula-Touren ein und baute schließlich sogar ein Dracula Hotel. Das Interview mit Paduraru zeigt sehr deutlich das gespaltene Verhältnis, das die Rumänen zu Dracula haben – schließlich hat der schriftstellernde Ire Bram Stoker ihnen den Vampir praktisch aufgehalst. Und nun müssen sie sehen, wie sie die Legende am besten zu Geld machen. Paduraru hat definitiv seinen Teil dazu beigetragen!

Sicher, dass der Name Mark Benecke groß auf dem Buchcover prangt, sorgt für ein größeres Leserinteresse. Und vielleicht gelingt dem schmalen Band so auch der Weg in das ein oder andere Bücherregal, wo es ansonsten nicht gelandet wäre. Zu wünschen wäre es dem Buch. Denn der Vampir ist nicht nur Trend, nicht nur Modeerscheinung. Er spricht etwas in uns an und es wird immer Menschen geben, die diesem Ruf folgen, um ihren Hals verführerisch zum Biss zu neigen. Inmitten des momentanen Vampir-Booms rund um Mitternächte, Mittagsstunden und Abendröte vermittelt „Vampire unter uns!“ eindrucksvoll die beruhigende Botschaft, dass der Vampir/Vampyr nicht ausstirbt – auch, wenn der Trend vorbei ist und für all die Edwards dieser Welt der letzte Sargdeckel gefallen ist. Zum Glück!

|Gebundene Ausgabe: 112 Seiten
ISBN-13: 978-3939459248|