Bishop, Anne – Belladonna (Die dunklen Welten 2)

Band I: [„Sebastian“ 3671

_Oberflächlich gesehen_, ist Michael nicht mehr als ein schäbiger Vagabund, der sich sein Geld mit Flötespielen verdient. Das liegt daran, dass das, was unter dieser Oberfläche schlummert, bestenfalls mit Misstrauen, wenn nicht gar mit Ablehnung betrachtet wird. Doch nun scheint es, als müsse sich daran dringend etwas ändern! Grausame Dinge sind geschehen, die Menschen haben Angst, und die vernünftigeren unter ihnen sind eher dafür, dass Michael etwas dagegen unternimmt, anstatt ihn dafür verantwortlich zu machen.

Allerdings zieht Michael damit die Aufmerksamkeit des tatsächlichen Verursachers auf sich. Prompt wird er angegriffen, und die einzige Gegenwehr, die ihm einfällt, bringt ihn an einen Ort, der fremder und wundersamer kaum sein könnte: Ephemera …

_Unter den diversen neuen Charakteren_ dieses zweiten Bandes ist Michael der einzige wirklich wichtige. Erstaunlich dabei ist, dass es über ihn eine Menge zu sagen gäbe, allerdings kaum Eigenschaftswörter. Zumindest solche, die seinen Charakter beschreiben könnten. Bestenfalls könnte man sagen, er besäße Verantwortungsbewusstsein. Obwohl Bewusstsein hier auch schon übertrieben ist, denn tatsächlich ist Michael absolut ahnungslos, was seine wirkliche Tätigkeit betrifft. Seit zwölf Jahren ist er auf Wanderschaft, bereist regelmäßig dieselben Ortschaften, ohne zu wissen, warum das so ist und was es bedeutet. Inzwischen ist er seines Lebens als Außenseiter müde und sehnt er sich nach Zugehörigkeit, sowohl zu einem Ort als auch zu anderen Menschen, sprich: nach einem Zuhause.

Seine Schwester Caitlin besitzt ebenfalls eine besondere Gabe, für die sie misstrauisch beäugt und verspottet wird. Sie empfindet ähnlich wie Michael, nur noch viel stärker. Denn erstens ist sie ein Mädchen und deshalb einer zusätzlichen, besonders unangenehmen Art von Diskriminierung ausgesetzt. Zum zweiten ist sie im Gegensatz zu Michael nicht unterwegs. Wie ihr Bruder weiß auch sie nicht wirklich, was es mit ihrer Gabe auf sich hat, und da sie nicht fort kann, reagiert sie mit wachsendem Trotz und Zorn.

Brighid, die Tante, die die beiden aufgezogen hat, war ursprünglich die Oberste der Gemeinschaft auf der Insel des Lichts, ehe sie die Insel verließ, um die beiden verwaisten Kinder großzuziehen. Sie ist eine strenge, aufrechte Frau und kann die beiden Kinder, obwohl sie diese nach außen stets verteidigt hat, selbst nicht vorbehaltlos akzeptieren. So ist auch sie mit ihrer Situation nicht glücklich, nicht einmal, als sie wieder auf die Insel zurückkehrt.

_Im Vergleich zum ersten Band_ ist die Charakterzeichnung ein kleine wenig schwächer ausgefallen. Caitlin und Brighid sind nicht so stark ausgearbeitet wie Teaser oder Nadia, vielleicht auch, weil Brighid überhaupt eher wenig und Caitlin im letzten Drittel so gut wie gar nicht mehr vorkommt. Aber auch Michaels Darstellung ist nicht so intensiv ausgefallen wie Sebastians, was daran liegen mag, dass er sich den Mittelpunkt mit Glorianna Belladonna teilen muss. Gloriannas Charakter stand bereits, sodass die Autorin sich in diesem Fall mehr auf ihre Gefühlswelt konzentrieren konnte, was sie auch getan hat, allerdings ohne dabei die Balance zu verlieren. Insgesamt sind wir somit noch immer auf einem Niveau, das ein gutes Stück über dem Durchschnitt liegt.

Was „Belladonna“ weit mehr von „Sebastian“ unterscheidet, ist die Unwissenheit sämtlicher neuer Figuren in Bezug auf das wahre Wesen Ephemeras. Sie alle leben in dem Teil der Welt, der durch den Kampf gegen den Weltenfresser nahezu unversehrt geblieben ist. Offenbar waren dort keine Brückenbauer notwendig, die die einzelnen Bruchstücke miteinander verbanden. Trotzdem hat es mich doch ein klein wenig erstaunt, dass das Wissen um die Landschaffer und ihre Aufgaben dort so nahezu vollständig untergehen konnte. Zumindest Brighid, die ja immerhin noch wusste, was sie selber war, hätte erkennen müssen, was ihre Nichte und ihr Neffe waren!

Ein wenig verwirrt hat mich außerdem die Frage, wie sehr die beiden Gebiete – das unversehrte und das zersplitterte – nun eigentlich wirklich voneinander getrennt waren. Einerseits tauchten in den Orten auf Michaels Route gelegentlich Geschöpfe auf, die aus den dunklen Landschaften in der Nachbarschaft des Sündenpfuhls stammen, zum Beispiel Wasserpferde. Warum aber gab es dann keine weiteren Kontakte? Warum hat niemand aus Michaels Gegend daran gedacht, die Schule der Landschafferinnen zu besuchen, bevor das Wissen so weit verloren gehen konnte, dass niemand mehr eine Ahnung davon hatte? Warum hat niemand aus den anderen Landschaften je versucht, den unversehrten Teil der Welt zu erreichen? Schon eigenartig.

Andererseits fällt es im Hinblick auf die eigentliche Handlung nicht schwer, diese kleinen Unstimmigkeiten beiseite zu lassen. Nachdem die Autorin den Leser gleich im ersten Drittel beinahe in eine Katastrophe laufen lässt, die halb aus zwischenmenschlichen Konflikten, halb aus der Bedrohung durch den Antagonisten besteht, wird es eine Weile etwas ruhiger, nur um nach einem weiteren Drittel noch einmal massiv an Dramatik und Spannung zuzulegen. Auch der Schluss des Buches war nicht unbedingt vorherzusehen. Die Art und Weise, wie Belladonna den Weltenfresser bekämpft, ist wirklich erst ab dem Zeitpunkt klar, als Anne Bishop ihn verrät. Und das sagt noch gar nichts darüber aus, wie dieser Kampf endet.

Faszinierend finde ich auch stets aufs neue, wie die Autorin Licht und Schatten ausbalanciert. Immer wieder malt sie die düstersten Stimmungen und muss dabei nicht im Geringsten auf blutige Details zurückgreifen. Und ein paar Seiten weiter sprüht trockener Humor aus den Dialogen und bringt den Leser dazu, breit zu grinsen oder sogar zu lachen.

_Diese Mischung aus phantasievoller, interessanter Welt, menschlichen, lebendigen Charakteren, Spannung und Humor macht beinahe süchtig._ Zumindest gilt das für mich. Ephemera hat mir fast noch besser gefallen als der Juwelenzyklus. Der Zweiteiler ist nicht so brutal und auch stofflich noch nicht so sehr beansprucht wie sein großer Bruder, der immerhin schon fünf Bände umfasst. Und eigentlich gäbe es auch keinen Grund, aus Ephemera eine Trilogie zu machen, aber man weiß ja nie. Geschichten, die eigentlich abgeschlossen sind, noch einmal weiterzuspinnen, ist meistens keine gute Idee. Aber das muss ja nichts heißen, wie selbst Anne Bishop bereits bewiesen hat.

_Anne Bishop_ lebt in New York, liebt Gärtnern und Musik, und hatte bereits einige Romane und Kurzgeschichten veröffentlicht, ehe ihr mit dem Zyklus der |Schwarzen Juwelen| der internationale Durchbruch gelang. Außerdem stammen aus ihrer Feder die Trilogie |Tir Alainn|, die auf Deutsch bisher anscheinend nicht erschienen ist. Dafür kommt im Oktober dieses Jahres unter dem Titel „Nacht“ noch mal ein weiterer Band aus dem Juwelenzyklus in die Buchläden.

|Originaltitel: Belladonna (Ephemera, Bd. 2)
Übersetzt von Kristina Euler
Mit Illustrationen von Animagic
Taschenbuch, 528 Seiten|
http://www.heyne.de
http://www.annebishop.com/

_Anne Bishop auf |Buchwurm.info|:_

|Die dunklen Welten|:

Band I: [„Sebastian“ 3671
Band II: [„Belladonna“ 4722 (zusätzliche Buchrezension)

|Die Schwarzen Juwelen|:

Band I: [„Dunkelheit“ 3375
Band II: [„Dämmerung“ 3437
Band III: [„Schatten“ 3446
Band IV: [„Zwielicht“ 3514
Band V: [„Finsternis“ 3526
Band VI: „Nacht“ (dt. im Oktober 2008)