Michael Bishop – Die seltsamen Bäume von Ectaban

Fernes Ongladrad: das Experiment Kunst vs. Krieg

12.000 Jahre in der Zukunft und in 800 Lichtjahren Entfernung läuft ein gesellschaftliches Experiment. Nach zwei schrecklichen Kriegen haben sich die Überreste der Menschheit zu einem Versuch entschlossen: In der Selbstverstümmelung ihrer Fähigkeiten sehen sie die letzte Chance, sich vor der Selbstvernichtung zu bewahren.

Auf Ongladrad wurden genetisch manipulierte Gruppen ausgesetzt, um zu testen, ob ein friedliches Zusammenleben möglich ist. Satelliten beobachten den Verlauf, während die Jahre vergehen. Der Künstler Gabriel Elk birgt noch Fähigkeiten und Wissen der Alten. Seine Gabe kann die kleine Kolonie retten – oder ihren Untergang herbeiführen …

Der Autor

Michael Bishop wurde 1945 in Lincoln, Nebraska, als Sohn eines Luftwaffenoffiziers geboren und musste häufig umziehen. Er lernte Tokio, Sevilla und viele andere Städte kennen. 1968 machte er den Magisterabschluss in Englischer Literatur an der University of Georgia in Athens. Nach einer kurzen Zeit bei der Luftwaffe und einem Lehrauftrag beschloss er, freier Schriftsteller zu werden. Er ist mit Jeri Bishop verheiratet. 1970 erschien seine erste Story.

Obwohl häufig handlungsarm, sind seine Geschichten und Romane voller Liebe zum Detail und auf dem neuesten Stand der Technik. Zentrale Aspekte seiner Werke sind die Schilderung fremder Kulturen und Gesellschaften, die aus einem humanistischen Blickwinkel betrachtet werden. Anthropologie ist Bishop vertraut, weshalb er zwei seiner Romane, „Nur die Zeit zum Feind“ und „Transfigurationen“, in afrikanisch anmutenden Kulturen spielen lässt (siehe meine Berichte dazu).

Bishop hat wie schon Asimov und Heinlein eine Geschichte der Zukunft verfasst, den Urban Nucleus Zyklus. Er besteht u.a. aus den Romanen „Die Jahre in den Katakomben“ (1979, dt. bei Heyne) und „Die Cygnus-Delegation“ (1977) und beschreibt die Jahre 1994 bis 2075: Atlanta, Georgia, ist überkuppelt und durchläuft Entwicklungsphasen. Dass Bishop auch ein großer Satiriker sein kann, zeigen viele seiner Storys, aber auch der Roman über Philip K. Dick „Dieser Mann ist leider tot“ (1987).

Neben Gene Wolfe gilt Bishop als einer der großen Stilisten der Science-Fiction. Der in den Südstaaten der USA lebende Autor hat sich als Gegner von rassischen Vorurteilen profiliert, nicht nur in „Graph Geigers Blues“, sondern auch in „Brüchige Siege“ (1994). In „Brüchige Siege“ setzt er Mary Shelleys „Frankenstein“-Roman (1818) in einer recht unwahrscheinlichen Umgebung fort: im Georgia des Jahres 1943.

Seine Werke (meist bei Heyne):

1) „Die seltsamen Bäume von Ectaban (1976, dt. 1978)
2) „Gestohlene Gesichter (dt. 1979)
3) „Die Cygnus-Delegation (dt. 1980)
4) „Flammenaugen (dt. 1981)
5) „Die Jahre in den Katakomben (dt. 1982)
6) „Arachne (Blooded on Arachne, 1. Teil; dt. 1983 bei Ullstein)
7) „Raumfahrer und Sternzigeuner (Blooded on Arachne, 2. Teil; dt. 1983 bei Ullstein)
8) „Nur die Zeit zum Feind (1982, dt. 1984, NEBULA Award)
9) „Transfigurationen (1979, dt. 1986)
10) „Dieser Mann ist leider tot (The Secret Ascension, 1987)
11) „Who made Stevie Crye?
12) „Die Einhorn-Berge (1988, dt. 1991)
13) „Graph Geigers Blues (1992, dt. 1999)
14) „Brüchige Siege (1994, dt. 1998)
15) „Das Herz eines Helden“ (Ancient of Days, 1995, dt. 1998)

Handlung

Gabriel Elk, der künstlerische Philosoph auf Ectaban, beschließt, die Leiche eines Mädchens zu kaufen. Ingram Marley, ein niederer Agent der lokalen Herrscherkaste, begleitet ihn. Sie reiten von Elks Amphitheater Stonelore zur Stadt Lunn, wo die „Masker“ leben. In deren Viertel halten sie bei Josu Lief, dessen schöne Tochter Bronwen bei einem Raubüberfall am Fluss ums Leben kam.

Die Masker (eigentlich: Mansuecerianer) sind darauf gezüchtet, friedlich zu leben und alle Entbehrungen hinzunehmen, folglich sind sie arm und froh über den Zusatzverdienst. Nach ein paar Worten und einem berauschenden Getränk hüllt Gabriel die Leiche in eine Decke, packt sie auf sein Pferd und reitet los, gefolgt von Marley. Wozu bloß braucht Gabriel eine Leiche, fragt er sich.

Kriegsgerüchte

Das Land scheint sich auf den Krieg vorzubereiten. Bewaffnete Soldaten ziehen über die Insel Ongladrad, Angehörige der Masker. Auch Josu Lief, der Vater von Bronwen, ist zur Armee eingezogen worden, vielleicht weil ein Angriff der Pelaganer droht, die den anderen Kontinent bewohnen. Wer weiß schon, was während der alljährlichen Halcyon-Panik geschehen wird, und was, wenn der erwartete „Sloak“ kommt, der große Tsunami?

Endlich an Elks Amphitheater angekommen, werden Elk und Marley von Elks Sohn Gareth und seiner Frau Bethel begrüßt. Elks Heim ist in eine Grotte hineingebaut und wird deshalb das Grottenhaus genannt. Ein kleines Atomkraftwerk liefert die nötige Energie. Marley bringt auf Elks Geheiß die Leiche in den Programmierraum, der vier Stockwerke unter der Erde liegt. Marleys Spannung steigt.

Hoher Besuch

Wenig später trifft eine Kutsche ein. Die Insassin ist Shathra Anna, die Herrscherin der Atariten und ihr Kanzler, der stets skeptisch dreinschauende Arngrim Blaine. Sie wollen die nächste Aufführung Elks besuchen. Das Amphitheater füllt sich, als sämtliches Dienstpersonal und sogar Masker Platz nehmen. Bald ist es soweit. Deren Höhepunkt bildet das Erscheinen der toten Bronwen, die ergreifend singt und tanzt. Lebenden ist diese Zuschaustellung „künstlicher Emotionen“ verboten, was, wie Marley begreift, der Grund dafür ist, dass Elk Tote auftreten lässt.

Überfall

Das anschließende Gelage und die Debatte werden jäh unterbrochen, als Schüsse fallen: Pelaganische Banditen greifen die Shathra an! Das Lager gerät in Aufruhr. Als Marley sich an die Angreifer heranschleicht, entdeckt er in sich eine Eigenschaft, die er unterdrückt glaubte: Aggression. Er ersticht einen der Angreifer, den anderen erledigen Elks Leute. Puh, das war knapp. Die Shathra, gerade noch dem Tode entronnen, reist in ihren Palast zurück. Josu Lief hat nicht so viel Glück: Ihn hat eine Kugel erwischt.

Dramen

Die Shathra bestimmt, dass Marley weiter für Elk arbeiten so, um so den Verlust von Garth Elk auszugleichen, der zum Militär eingezogen wurde. Marley findet die Aufführungen mit den per Computer programmierten Toten als Darsteller wirklich schweißtreibend. Was ihn allerdings wundert, ist die fehlende Reaktion seitens des Publikums. Die Masker hocken einfach bloß mit leeren Augen und reglosen Gesichtern da, bevor sie wieder wortlos nach Hause gehen. Von den Atariten lässt sich hingegen keiner blicken.

Invasion

Wie vorauszusehen, kennen die feindlichen Pelaganen keinerlei Hemmungen hinsichtlich Aggression und starten im Sommer eine Invasion des ataritischen Inselkontinents Ongladrad. Die Invasion ist erfolgreicher als erwartet, was die Shathra in Sorge versetzt. Hinzu kommen aufrührerische Geschehnisse unter den sonst so handzahmen Masern. Kanzler Blaine beschuldigt Elk, die Masker aufgestachelt zu haben. Elk schließt sein Theater aus Sorge. Doch Blaine will mehr: Elk, der ja über alte Technologie wie Nuklearenergie und Computer verfügt, soll neue Waffen erfinden.

Dilemma

Und das bringt Elk in ein Dilemma. Vor Jahrtausenden wurden die Kolonisten auf der Welt Mansueceria von den Parfekten zu Friedlichkeit konditioniert. Und jetzt soll er dieses Tabu brechen und Aggression fördern? Das könnte ein zweischneidiges Schwert sein. Doch wie sonst soll er seinen Sohn und seine Heimat vor den Eroberern bewahren?

Mein Eindruck

Das Zitat, das der Autor seinem Roman vorangestellt hat, lautet: „And strange at Ecbatan the trees / Take leaf by leaf the evening strange.“ Der Dichter Archibald McLeish wollte einen langsamen Prozess der Veränderung versinnbildlichen. Und tatsächlich kommt diesem Bild das Werk von Gareth Elk am nächsten, dem Sohn des Dramatikers und Regisseurs Gabriel Elk: Gareth schnitzte Holzskulpturen aus hartem Holz. Aber Gareth ist vor seinem Tod im Krieg ein Künstler auch in anderer Hinsicht: Er ist der Regieassistent seines Vaters. Der Ich-Erzähler Ingram Marley nimmt am Schluss seinen Platz, indem er sich von Gabriel Elk adoptieren lässt.

Denn Ingram Marley stark sich im Verlauf der Handlung stark verändert, in einem langsamen Prozess, der dem poetischen Bild des Mottos entspricht. Aus dem Regierungsagenten, der den Herrschenden dient, ist ein Künstler geworden, der seine Aufgabe darin sieht, die Herzen der Menschen zu verändern: Aus den Maskern mit ihren unbewegten Mienen will er Menschen machen, die weinen können. Und wenn dazu nötig ist, dass er selbst der erste lebende Schauspieler in der Geschichte dieser Welt werden muss, dann sei es so.

Doch wie konnte es so weit kommen, fragt sich der Leser. Marleys Werdegang schildert die zweite Hälfte des Buches. Zunächst zum Hintergrund: Seit 6000 Jahren läuft ein Experiment auf dieser Welt von hochentwickelten Neo-Menschen, den Perfekten: Sie wollen die Selbstvernichtung durch Kriege verhindern, indem sie a) genmanipulierte Gruppen züchten und b) die Kulturentwicklung dieser Gruppen regelmäßig durch einen Tsunami, den mythischen „Sloak“, zurückwerfen. Einzige Ausnahme von diesen regelmäßigen Heimsuchungen ist Gabriel Elk: Er hat das alte Wissen bewahren können (er hat zahlreiche Chips in seinen unterirdischen Gewölben). Kein Wunder, dass man ihm seitens der Herrschenden mit Misstrauen begegnet. Soweit der Hintergrund.

Aufgrund der Furcht vor dem wieder bevorstehenden „Sloak“ wagen es die Herrschenden, die Atariten, nicht, der Invasion der Pelaganen entschieden entgegenzutreten. Doch es gibt ja einen möglichen Sündenbock für den Zorn des Sloak: Gabriel Elk. Seine Superwaffe ist nichts anderes als ein starker Kampflaser, also etwas anderes als das, was in einen CD-Spieler eingebaut ist. Auf einem Schiff aufgebaut, soll der Laser die feindlichen Schiffe versenken.

Doch wer soll diese Superwaffe bedienen und zahlreiche Menschen in den Tod schicken? Zu Marleys eigener Verwunderung verspürt er den Drang, die Pelaganen mit dieser Waffe in die Flucht zu schlagen und ihre Invasion zu stoppen. Tut er es aus Liebe zu seinem Ersatzvater Gabriel Elk oder aus Liebe zu dessen Dramen und ihren Aussagen oder gar aus Liebe zu den Bewohnern Ongladrads? Es ist offenbar eine Mischung aus allem davon, das ihn zum Vernichter von fünf Schiffen und 800 Menschen werden lässt. Weitere Laserkanonen schlagen die feindliche Armee in die Flucht. Wird die Strafe der Götter, die in den künstlichen Monden über die Welt wachen, auf dem Fuße folgen?

Doch Waffen sind nur eine Möglichkeit, die Welt zu verändern, erkennt Marley. Viel stärker sind Ideen. Und diese Ideen verbreitet Gabriel Elk in seinen Dramen. Die Vorlagen der Antike sind noch lebendig, wie die Titel „Anabasis“ und „Omega“ andeuten. Und man muss unwillkürlich an die griechischen Tragödien wie die „Orestie“ des Aischylos denken, wenn man über „Ectaban“ nachdenkt.

Katharsis

Die Griechen zielten auf die Katharsis, die seelische Läuterung des Zuschauers durch tiefe, starke Emotionen ab: Schrecken, Jammer, Erlösung. (Und weil sich diese Emotionen bis heute nicht geändert haben, können uns die Jahrtausende alten Stücke bis heute berühren.) Marley entdeckt in sich und in Gabriel Elk, seinem Mentor, die Fähigkeit, diese Gefühle zu empfinden. Doch was noch wichtiger ist: Er will sie auch in anderen wecken, damit so etwas wie der Schrecken der neuen Superwaffe nie wieder nötig sein wird. Die Masker sollen weinen lernen.

Doch diese Kunst ist, selbst wenn sie mit belebten Toten aufgeführt wird, nicht ohne gesellschaftliche Folgen. Kanzler Blaine beschwert sich, dass Elk mit seinen Aufführungen die Masker zu Aufständen angestachelt habe. Nicht nur hätten sich alte Frauen der Masker im Meer ertränkt, sondern junge Masker hätten auf dem Markt der Hauptstadt Lunn randaliert und Gerechtigkeit gefordert. Die sonst so duldsamen Masker sind für ihre Sache aufgestanden.

Offenbar haben Kunst und Demokratie, die Herrschaft des Volkes, etwas miteinander zu tun. Wenn Marley am Schluss seinen Entschluss kundtut, der erste lebende Schauspieler zu werden, so impliziert dies auch, dass er die begonnene Veränderung der Gesellschaft vorantreiben will. Auch um den Preis seines Lebens, sollten die Herrschenden dies fordern.

Obwohl er dies nur verschlüsselt sagt, ist für Marley klar, dass sich das Gebot der allmächtigen Parfekten nur durch Anwendung der Kunst verwirklichen lässt: Veränderung und Weiterentwicklung unter dem Primat des friedlichen Miteinanders. Die Superwaffe soll nur eine Notlösung gegen äußere Bedrohungen sein (die sich die Shathra wohlweislich nicht wieder abnehmen lässt).

Und wenn dies den Mansuecerianern gelingt, warum soll es nicht auch den Menschen der Alten Erde gelingen? Vielleicht kommt es darauf, dass, wie die Bäume von Ectaban, sich ein Blatt um das andere verändert, in kleinen Schritten Richtung Frieden.

Die Übersetzung

Selbst in jenen längst versunkenen Zeiten des Jahres 1978 hielt der Herausgeber Wolfgang Jeschke doch bereits Standards für seine Übersetzer hoch, die nicht zuletzt neben flüssigem und korrektem Stil auch einwandfreie Rechtschreibung berücksichtigten. Dennoch schlichen sich einige Fehler ein.

Auf Seite 25 wird einfach „Gabriel Elk“ in „Elk Gabriel“ verdreht.

Auf Seite 27 scheint dem Übersetzer der kulturhistorische Begriff „Augustan England“ nicht geläufig gewesen zu sein. Ist ja auch schon eine Weile her, dass diese Epoche in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts stattfand und sich in erstklassigen, ja klassizistischen Gedichten von Pope, Goldsmith sowie in einem Aufschwung der Wissenschaft (Newton!) niederschlug. Man würde die Epoche heute als das Augusteische Zeitalter bezeichnen.

Auf Seite 46 findet sich ein wunderbarer Fehler in der Phrase „mit angewehten (!) Ohren und wehenden Mähnen“ … Da schlackert der Leser mit selbigen Ohren, seien sie nun „angeweht“ oder angelegt.

Fipptehler wie „Äquinoktikum“ statt „Äquinoktium“ findet sich etliche. Etwas ernster ist der stehengelassene Ausdruck „Stichomythic“ auf Seite 65. Dieser eins zu eins aus dem Original Fachbegriff bezeichnet Stichomythie, also Dialoge aus Versen, die nur aus jeweils einer Zeile bestehen. Daher die direkte Bedeutung „Reihenrede“. Dieses dramatische Stilmittel der Antike steigert laut Otto F. Bests „Handbuch literarischer Fachbegriffe“ (Ausgabe von 1982) „den Dialog zum bewegten Wortwechsel geistiger Auseinandersetzung, in dem eine treffende Formulierung die andere gibt“. Wenn also Gabriel Elk dieses Stilmittel in seinen Dramen einsetzt, kann sich der kundige Leser deren Wirkung lebhaft vorstellen.

Auf Einfälle des Autors sei ebenfalls hingewiesen. So findet sich auf Seite 80 der Ausdruck „Todschaften“. Damit will er die Land-Schaften beschreiben, die unter dem Einfluss der pelaganischen Invasion verwüstet wurden. Auf Seite 54 findet man ein Yin-Yang-Symbol, welches jedem bekannt ist, nur dass dieses fehlerhaft ist: Der schwarze Punkt taucht im weißen Feld auf, doch der weiße Punkt im schwarzen Feld fehlt. Dies dürfte kein Druckfehler, sondern volle Absicht sein. Die Ungleichheit dieses bildhaften Ausdrucks spiegelt den Drang der Pelaganen nach Oberherrschaft wider, denke ich.

Unterm Strich

Die Kunst gewinnt über Gewalt und Krieg, das ist die Lektion, die der Regierungsagent Ingram Marley in einem langsamen und schmerzhaften Prozess lernt. Tatsächlich die Kunst des Dramas die – vorerst – einzige Möglichkeit, die erstarrte Gesellschaft aus herrschenden Atariten und duldsamen Mansuecerianern zu einem demokratischen Gleichgewicht zu bewegen.

Die andere Seite der Medaille: Der Dramatiker, Gabriel Elk, ist genauso gut auch in der Lage, Superwaffen zu bauern, um sein Vaterland zu retten, genau wie einst Dante Alighieri und gewisse Dramatiker und Philosophen des antiken Athen. Sogar Nietzsche und dessen Gedanke vom Übermenschen taucht auf: So einer sei Gabriel Elk, findet Marley. Welch Ehre.

Diese Gedanken sind zwar alle bedenkenswert, doch es sind die Figuren, die unser Interesse verdienen. Sie äußern ja schließlich diese Gedanken und agieren diesen entsprechend. Leider hat es die Kürze des Romans, der sich der Autor zu unterwerfen hatte, nicht zugelassen, dass diese Charaktere eingehender dargestellt wurden. Nur Elk und Marley bilden Ausnahmen, alle anderen sind lediglich skizziert.

Die Kürze des Buches liegt daran, dass Bishop vom Verlag nur einen begrenzten Umfang bezahlt bekam. Das war schon bei Ursula K. LeGuins ersten zwei Romanen so, also bei „Rocannons Welt“ (siehe meinen Bericht) und „Das zehnte Jahr“. (beide 1966), aber nicht mehr in „Stadt der Illusionen“ (1967) – der durfte ein Drittel länger sein. Zum Glück war „Ectaban““ kein Flop, so dass Bishop weiterveröffentlichen durfte und konnte (siehe oben).

Aber „Ectaban“ zeigt bereits Bishops Stärken. Er ist sehr gebildet, ein großer Stilist und vor allem ein engagierter Schöpfer von lebendigen Charakteren, für die sich der Leser interessiert. In „Ectaban“ sind diese Qualitäten leider nur rudimentär verwirklicht, so dass sich manche Szenen wie ein Drehbuch lesen, komplett mit Regieanweisungen, so als wäre der Roman selbst eines von Elks Dramen. Was aber nicht das Schlechteste wäre.

Die mittelalterliche Welt, die Bishop skizziert, erleichtert aber den Einstieg ungemein. Man kommt sich vor wie in der Fantasy. Allerdings gibt es einige beunruhigende neue Elemente: Tote, die als Schauspieler auftreten? Satelliten, die eine Welt überwachen, und Laser, die Schiffe versenken? Das ist offenbar keine behütete Fantasywelt, in der Könige und Zauberer gegen Helden und Prinzessinnen antreten.

Wenn überhaupt, dann ist „Ectaban“ ein Drama über Kunst vs. Realität, verknüpft mit dem Abenteuer des Krieges. Dante Alighieri aus dem 14. Jahrhundert, Dichter der Göttlichen Komödie“ und Soldat in den Toskanischen Kriegen, hätte sofort gewusst, was er davon halten soll, weil es ihm sehr bekannt vorgekommen wäre. Seine Kunst war ja selbst ein Experiment mit den Menschen. Ob es wohl genützt hat?

Taschenbuch: 124 Seiten
Originaltitel: And Strange at Ecbatan the Trees (1976)
Aus dem US-Englischen von Elisabeth Simon
ISBN-13: 9783453305175

www.heyne.de

Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

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