Lawrence Block – Abzocker (Hörbuch: Hard Case Crime)

Abgezockte Abzocker

Eigentlich wollte der Trickbetrüger Joe Marlin nur zwei teure Koffer klauen. Stattdessen handelt er sich ein Kilo Heroin ein – und die schöne Ehefrau des Bestohlenen. Mit Mona Brassard zieht er den gefährlichsten Schwindel seiner Laufbahn durch. Am Ende kann er nur als Mörder durchkommen – oder er selbst zur Leiche werden … (Verlagsinfo)

Der Autor

Lawrence Block, geboren 1938, ist ein gefeierter Kriminalschriftsteller. Block erhielt bereits zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Grandmaster und den Edgar Award der Mystery Writers of America. Block lebt in Greenwich Village, New York City. (Verlagsinfo)

Sprecher & Produktion

Reiner Schöne lebte lange in Hollywood und drehte dort mit Filmgrößen wie Clint Eastwood und Lee van Cleef. Der Schauspieler, Synchronsprecher und Sänger mit der tiefen, markanten Stimme trägt die passende raue Note bei. (abgewandelte Verlagsinfo)

Regie führte Thomas Wolff. Die Buchvorlage erschien 2008 beim |Rotbuch|-Verlag.

Handlung

Philadelphia

Wieder mal muss Joe Marlin weiterziehen: Der Hotelmanager des besten Hotels von Philadelphia präsentiert ihm die Rechnung für drei Wochen Aufenthalts. Leider herrscht in Joes Börse wie immer totale Ebbe. Er verschafft sich einen trickreichen, aber unauffälligen Abgang und dampft mit dem Zug über die Staatsgrenze weiter nach Atlantic City. An dieses Spielerparadies hat Joe gute Erinnerungen, denn hier hielt ihn einmal eine hübsche Frau mehrere Wochen lang aus. Das Gigolo-Dasein war nicht das Schlechteste, findet er. Vielleicht findet sich eine Gelegenheit, Ida wiederzusehen.

Atlantic City

Am Bahnhof von Atlantic City ist ihm klargeworden, dass er ohne jede Art von Gepäck verdächtig aussehen würde, wie ein streunender Strolch. Nicht sein Stil. An der Gepäckausgabe stehen zufällig zwei schöne Koffer bereit, gerade so, als ob sie auf seine zupackende Hand warten würden. Auf den Dingern stehen die Initialen L.K.B., aber das sollte beim Pagen im Hotel kein Problem sein. Er muss nur darauf achten, die Koffer nicht herumzuzeigen. Als Erstes nach dem Einchecken ins noble Sherbourne Hotel und dem Betreten des Zimmers stellt er sie daher in den Schrank.

Er zieht seine eigene Badehose an und spaziert über den Privatweg an den Privatstrand der noblen Hütte. Nach einem ausgiebigen Schwimmen im Atlantik legt er sich schlafen. Eine hübsche junge Frau weckt ihn und sagt, sie sei einsam. Welch Glückes Geschick! Joe ist beileibe kein Frauenfeind, und die Rundungen dieser Blondine sind alle an den richtigen Stellen. Allerdings hat sie ihren Ehering abgestreift – netter Trick, den er sofort aufdeckt. Sie sagt, ihr Mann sei nicht hier – am Strand, sondern irgendwo in der Stadt. Joe findet, sie sei zu jung fürs Männerjagen. Sie nennt sich Mona, er sich Lenny. Sie machen ein Treffen aus. Um Mitternacht.

Auf seinem Zimmer entdeckt Joe in einer Holzkassette auf dem Boden eines von LKBs Koffern das weiße Pulver. Zum Glück war Joe mal in einem früheren Leben Drogenkurier, unter anderem auch in Atlantic City. Ein Zungentest und ihm ist klar, dass er ein Kilo Heroin vor sich hat. Marktwert zwischen 100 Riesen und einer Viertelmillion. Donnerwetter: ein Vermögen im Jahr 1961! Ein Jammer, dass der Stoff für Joe völlig unverkäuflich ist – und obendrein ein tödliches Risiko. Denn garantiert sucht bereits jemand danach. Das Heroin wegzuwerfen, bringt er aber auch nicht über sich. Also muss er es verstecken. Die offensichtlichen Stellen kommen nicht in Frage. Er kauft einen Aktenkoffer und stopft das Heroin hinein, bevor er den Aktenkoffer dem Hotelsafe anvertraut. Auf eine Quittung verzichtet er – viel zu verräterisch. Joe kennt sich aus.

Mitternacht am Strand. Endlich kommt sie. In einem verführerischen Kleid, das sie sich von ihm ebenso ausziehen lässt wie ihren schwarzen Büstenhalter und den Schlüpfer. Der Sex mit ihr ist besser, als er erwartet hat. Hinterher reden sie. Sie sei 25 und seit zwei Jahren mit ihrem Mann Keith verheiratet, der etwa 50 oder 55 sei – so genau wisse sie das nicht. Sie habe nichts gelernt, aber jetzt habe sie Geld in Hülle und Fülle, wohne in einem Anwesen vor den Toren New Yorks und gebe Keiths Geld aus. Er handle mit irgendetwas, über das er nie rede. Joe sei für sie eine Urlaubsaffäre. Sie wolle keine Ehe mit ihm oder so. Als sie geht, nennt sie sich Mrs. L. Keith Brassard. Da fällt bei Joe der Groschen: Mona ist die Frau des von ihm bestohlenen Kofferbesitzers! Joe beschließt, dass LKB sterben muss. Der Grund: Er will Mona – und ihr Geld.

Auch der Sex auf dem Zimmer ist ausgezeichnet. Mona gesteht, dass sie ihn, der sich nur Joe Marlin nennt, haben will, aber auch das Geld ihres Alten. Hm, knifflig. Zu dumm, dass der Alte kerngesund sei. Also müsste ihm etwas zustoßen. Ein Unfall etwa? Sie entdeckt die Koffer in seinem Schrank. Natürlich kennt sie sie, aber was Joe nicht gleich einfällt, ist der Grund für Monas Aufregung: Sie vermisst den Stoff. Als er ihr von dem Heroin erzählt, tut sie so, als falle sie aus allen Wolken. O welch ein Monster ihr respektabler Göttergatte doch in Wahrheit sei! Sie wolle, dass er sie nie mehr anfasse! Nun ist der Weg frei: LKB muss sterben …

New York City

Wie geplant, haben sie sich getrennt, um sich in New York wiederzusehen, wo Joe alles für das frühzeitige Ableben eines gewissen Mr. Brassard vorbereitet. Er baldowert LKBs Büro und Anwesen aus, aber ein Plan will sich nicht formen. Das Wiedersehen mit Mona ist so elektrisierend wie immer, und der Sex sowieso fantastisch. Aber sie bohrt immer wieder nach, welchen Plan er habe. Er rückt damit nicht heraus, mit der Begründung, je weniger sie wisse, desto weniger könne sie den Polizisten verraten. Die Detectives von Manhattan seien knallhart und würden sie garantiert bis zum Umfallen löchern. Sie wirke aufrichtiger, wenn sie also nicht wisse, wann und wo und wie es passiert.

D-Day

In einem geklauten Ford ist Joe zu Brassards feudalem Anwesen – wie kann er das bloß zahlen? – gefahren und wartet. Es ist früh am Tag, doch jeden Augenblick wird der Herr des Hauses Abschied von seinem Heimchen am Herd nehmen, um wie jeden Werktag die paar Meter zum Bahnhof zu Fuß zurückzulegen. Joe zieht die Handschuhe an und legt den geladenen Revolver (unregistriert) bereit. Einen 38er, todsicher. Alles soll nach einem Mafiamord aussehen. Das Heroin aus Atlantic City hat er bereits in Brassards Büro versteckt. Jeder Detective, der seine Lohntüte wert ist, muss es finden. So wird es aussehen, als sei Brassard einem Streit unter der Drogenmafia zum Opfer gefallen.

Da kommt der gute Mann auch schon. Mona gibt ihm ein Abschiedsbussi und verschwindet im Haus, ohne ihren Lover zu bemerken. Showtime! Joe fährt los.

Er hat offenbar an alles gedacht. Doch auf einige Dinge, die nun passieren, ist Joe Marlin nicht vorbereitet…

Mein Eindruck

Das Schöne an Abzockern wie Joe Marlin ist, dass sie selten wissen, wann sie selbst abgezockt werden. Dies sorgt für einen großen Teil der Spannung in der Geschichte. Das Vorspiel, in dem Joe die süße Mona kennenlernt (oder sie ihn), trägt einen guten Teil an Sinnlichkeit und Humor bei, um die ansonsten recht geradlinige Story so zu würzen, dass sie unsere Aufmerksamkeit fesselt.

Es ist zwar schön und notwendig, Joe bei seinen Vorbereitungen für den großen Tag, an dem Monas Mann den Löffel abgeben soll, quasi über die Schulter zu schauen. Aber das ist der abgedroschene Teil der Dreiecksgeschichte. Der eigentliche Witz der Geschichte folgt erst danach.

VORSICHT, SPOILER!

Dies ist der Teil, in dem sich die liebreizende Mona nicht an die Abmachung hält. Sie erscheint nicht zum Treffen mit ihrem Lover und Komplizen, um fortan das Vermögen des verblichenen Gatten zu verprassen. O nein, Sir! Joe schmort in seinem eigenen Fett und gerät zunehmend ins Grübeln. Er wurde abgezockt, ganz klar. Aber wieso, das ist ihm nicht ganz klar. Hat Mona kalte Füße bekommen? Oder war ihr Joe nur als Erfüllungsgehilfe gerade recht?

Als eine kleinere, aber dennoch dringend benötigte Geldsumme auf Nevada eintrifft, weiß Joe Bescheid: Mona hat ihn abserviert. „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan“, heißt es schon bei Shakespeare – Mona hat Joe nach jeder Liebesnacht bezahlt, als sei er ein Callboy, den man nach getaner Arbeit wieder wegschicken könne. Doch nicht mit ihm, Joe Marlin! Er ist ein größerer Fisch, als Mona sich vorgestellt hat, denkt er und schwört, Mona werde ihn erst richtig kennenlernen.

SPOILER ENDE

Das Ende der Geschichte um den abgezockten Abzocker und seine Gangsterbraut Mona hat mich dann aber doch in seiner Kompromisslosigkeit erstaunt. Das Hauptthema der Story ist Unabhängigkeit und der Kampf darum. Da tun sich zwei Tunichtgute zusammen, um ans große Geld zu gelangen, doch wenn es darum geht, sich weiter aufeinander zu verlassen, da kneift der eine. Die Reaktion besteht darin, diese Unabhängigkeit nicht mehr zuzulassen – und zwar für immer.

Denn dies ist auch eine Geschichte des Teilens. Die Unternehmung Abzocke muss von beiden Partnern durchgezogen werden. Begeht Joe den Mord, so muss Mona ihn decken. Die Belohnung soll in einem gemeinsamen Leben mit dem geerbten Vermögen ihres Alten bestehen. Doch sie ist nicht gewillt, es mit Joe zu teilen. Sie will die Abhängigkeit nicht, auch nicht von ihren Gefühlen für ihn. Das sagt sie ihm zwar nicht, aber für ihn ist es leicht auszurechnen.

Was den Leser erstaunt, ist die Tatsache, dass er auf dem Teilen besteht. Dabei ist es nicht einmal eine Sache der Ehre – er ist schließlich kein Sizilianer wie Vito Corleone. Joe Marlin besteht auf Erfüllung der Abmachung, koste es, was es wolle. Und es kostet eine ganze Menge: nämlich für Heroin, von dem er seine Komplizin abhängig macht. Seltsamerweise kommt ihm nach Monaten der Kontrolle über sie in den Sinn, dass er doch auch mal dieses Teufelszeug probieren könnte. Einfach um das Erlebnis des Heroinrausches mit ihr teilen zu können …

Der Sprecher

Reiner Schöne war schon vor 30 Jahren in den Hörspielen des Bayerischen Rundfunks zu hören, so etwa in der Titelrolle als Paul Cox. Seine Stimme ist „männlich herb“, tief und etwas rau, also genau richtig für ein kriminelles Milieu, in dem die Sitten ebenso rau sind. Er kann heiser auflachen, aufgebracht aufschreien, und zwar sowohl in einer männlichen wie einer weiblichen Rolle. Einmal muss er stottern und flüstern, und Mona muss natürlich verführerisch klingen. Null problemo.

Für die Charakterisierung der Figuren steht ihm allerdings nur ein begrenztes Instrumentarium zur Verfügung. An einen Rufus Beck reicht er also nicht heran. Die Charakterisierung erfolgt eher durch Situationen und Emotionen, die eine entsprechende Ausdrucksweise, wie oben aufgelistet, erfordern. Diesmal ist wirklich keine große Kunst erforderlich. Die Palette der Figuren ist sehr begrenzt, und sie verändern sich nicht drastisch.

Unterm Strich

Dieser Hard-boiled-Roman wirkt streckenweise wie ein Film noir aus den kalten Vierzigerjahren. Doch das Ambiente ist sonnig statt düster: Atlantic City, New York City, Miami Beach, Lake Tahoe, Las Vegas – überall hält das Leben Spaß bereit statt Mord und Mühsal. Der Autor schafft es dennoch, einen Schatten über die Welt zu legen, einfach indem er die beiden Abzocker einen teuflischen Plan aushecken lässt.

Als der Plan nach der Tat nicht wie vorgesehen weitergeht, wandelt sich der Ton. Doch Joes Rache an Mona sieht völlig anders aus als erwartet, wirkt aber dennoch konsequent. Weniger abgebrühte Autoren hätten wohl nur einen Schusswechsel inszeniert – wie abgedroschen. Der Schluss ist viel raffinierter. So mancher Leser bzw. Zuhörer lässt sich vielleicht von dem „einfachen Plan“ Joes täuschen.

Joe faszinierte mich durch seine immer wieder eingestandene Maschinenhaftigkeit, die er bei seinen Coups annimmt. Der Täter als Maschine – er ist auf eine Abmachung festgelegt und will die Folgen des Verbrechens mit seiner Komplizin teilen. Als sie das Programm dieser Maschine unterbricht, muss er reagieren und etwas dagegen unternehmen. Untätigkeit ist der Maschine nicht gestattet.

Die Logik des Tatmenschen Joes ist meist nachvollziehbar, geradezu voraussehbar – das gehört zum Klischee des Genres. Doch als das Programm gestört wird, erstaunt seine Logik zunehmend. Und so bleibt es spannend bis zum Schluss, wenn die Psychologie zunehmend die Regie übernimmt. Dann vermag die Geschichte von Joe und Mona vielleicht selbst hartgesottene Krimikenner zu rühren.

Das Hörbuch

Reiner Schöne zuckt mit keiner Wimper, wenn sich seine Figuren übers Ohr hauen und fiese Dinge antun. Im Fall der beiden Abzocker ist es aber ein hörbares Vergnügen zu schildern, wenn Mona und Joe einander im Bett unsentimentale Versprechen geben und einen tödlichen Plan aushecken. Nur der Zuhörer ahnt, wer hier wen abzocken wird.

Man muss sich quasi in die Lage eines Zuschauers bei einem Hitchcock-Krimi versetzen, in dem unwahrscheinliche Faktoren zusammenkommen – Joe wird es später tun und Monas Plan durchschauen. Nur als vorausahnender Beobachter hat der Hörer sein Vergnügen an dem Plot, der sich nun unerbittlich entwickelt und vom Autor ungewöhnlich klar und unsentimental geschildert wird.

Reiner Schönes Aufgabe besteht darin, sich ins Zeug zu legen, um die Figuren zum Leben zu erwecken. Das gelingt ihm auf glaubhafte und konsistente Weise, so dass wir auf weitere erstklassige Hard-Case-Krimis hoffen dürfen.

Fazit: ein Volltreffer.

Originaltitel: Grifter’s Game, 1961
Aus dem US-Englischen übersetzt von Ludwig Nagel
273 Minuten auf 4 CDs
ISBN-13: 978-3-86610-453-2

http://www.argon-verlag.de