|“Zunächst hatte Hippolyt mit Vernaccia und Cabernet geliebäugelt, mit Sangiovese di Romagna, Lambrusco, Gutturnio und schließlich Barbera und Moscato. Nein, nicht um all diese Weine zu trinken, höchstens gelegentlich ein kleines Degustationsglas. Vielmehr hatte er seine Giulietta durch die Anbaugebiete steuern wollen, getreu der Maxime, dass der Weg das Ziel wäre. Er liebte die romantischen Strade die vini, die durch die reizvollsten Landschaften Italiens führten. Der Vernaccia hätte ihn nach San Gimignano ins Elsa-Tal geleitet, von dort durchs Chianti Classico und an Florenz vorbei nach Carmignano, wo traditionell Cabernet Sauvignon angebaut wird. […] Recht bald aber hatte er diese reizvolle Streckenführung verworfen, sie war ihm dann doch zu zeitraubend und lustorientiert erschienen. Immerhin gab es für seinen Ausflug einen ernsten, einen todernsten Anlass. Entweder hatte sich Rettenstein durch einen makabren Unglücksfall ins Jenseits befördert, oder er war Opfer einer brutalen Gewalttat geworden. In jedem Fall erforderte es der Respekt, sich dem Ziel auf direktem Weg zu nähern.“|
Genau das ist Hippolyt Hermanus durch und durch: immer pragmatisch, aber doch mit einem gewissen Gefühl für guten Geschmack und gutes Benehmen. Denn wenn er schon einen eventuellen Mordfall aufzuklären hat, kann es ja nichts schaden, die besten Weine auf dem Weg zu kosten, oder nicht? Aber dann packt ihn doch das schlechte Gewissen, denn kurz vor seinem Tod hatte Rettenstein per Mail Hilfe bei Hipp, wie Hermanus gern genannt wird, angefordert.
_Wenn Pilze und Wein zum Verhängnis werden …_
Ildefonso Battardi ist der angesehenste Trüffelsucher im Piemont. Als er sich jedoch an diesem Tag mit seinem Hund auf die Suche nach den besten Trüffeln macht, merkt Ildefonso, dass etwas anders ist. Er ist skeptisch, irgendetwas liegt in der Luft. Noch bevor er den ersten Trüffel aus der Erde graben kann, trifft ihn eine Ladung Schrot, die das Ende seiner letzten Trüffelsuche markiert.
Auch Hubert Rettenstein hat einen schweren Tag: Ein Blatt Papier ist mit einem Parmesanmesser auf seinem Schreibtisch befestigt, und die Botschaft verkündet nichts Gutes, denn angeblich sollen Rettensteins beste Weine vergiftet sein. Um den Gegenbeweis anzutreten, schenkt Rettenstein sich selbst ein Glas des vermeintlich vergifteten Weins ein, hält aber im letzten Moment noch inne und gibt zunächst seiner Katze zu trinken. Als er ihr zuprosten will, krümmt die Katze sich am Boden und erstarrt schließlich. Glück gehabt! Doch dieses währt nicht lang, denn kurz darauf wird Rettenstein in seinem Weinkeller aufgefunden – tot unter einem Weinregal liegend. War es ein Unfall oder hat jemand absichtlich das Regal umgestoßen?
Zunächst sehen beide Todesfälle wie Unfälle aus: Ildefonso wurde von der irregeleiteten Schrotladung eines Jägers niedergestreckt, während Rettensteins überfüllte Weinregale ihm schließlich zum Verhängnis wurden. Auch der Maresciallo Viberti von den Carabinieri in Alba zeigt wenig Interesse an der Aufklärung möglicher Kriminalfälle, denn die Trüffelzeit ist angebrochen und damit eine Saison kulinarischer Hochgenüsse.
Doch Hipp packt das schlechte Gewissen, hatte Rettenstein ihn doch um Hilfe gebeten, die Hipp aus reiner Bequemlichkeit ihm nicht gewährte. Er beschließt, mit seiner altersschwachen Giulietta an den Ort des Unglücks zu fahren und ein paar Nachforschungen anzustellen. Seine Freundin Sabrina ist zunächst wenig begeistert von Hipps Abwesenheit, zumal bald Rettensteins uneheliche und überaus attraktive Tochter Gina auftaucht, die Hipps Leben gewaltig in Aufruhr bringt.
_Die wunderbar erträgliche Leichtigkeit des Seins_
In Hippolyt Hermanus Leben herrschen Harmonie, Beschaulichkeit und natürlich guter Wein. Während er für Tartufo zunächst wenig übrig hat, ist er einem edlen Tropfen Wein gern zugeneigt. Als eine unbequeme Mail seine Muße stören will, ignoriert er diese, doch dann will er Rettensteins Tod doch auf den Grund gehen. Schnell vermutet Hipp ein herbeigeführtes Unglück, denn zu viele Hinweise deuten auf Fremdeinwirkung: Rettenstein ist offensichtlich gar nicht in seinem Weinkeller zu Tode gekommen, sondern wurde dort unter einem umgestürzten Regal drapiert, um alles wie einen Unfall aussehen zu lassen. Doch davon lässt sich natürlich ein Hippolyt Hermanus nicht täuschen.
Mit cleverer Kombinationsgabe und vor allem den richtigen Beziehungen zu einem gewissen Carabinieri gelangt Hipp immer wieder an die richtigen Informationen. Nur die schöne Gina stellt sein Leben auf den Kopf. Alles deutet darauf hin, dass sie ihren Vater ins Jenseits befördert hat, um an sein Geld zu kommen. Hipp jedoch setzt alles dran, ihr zu einem Alibi zu verhelfen. Er flüchtet zusammen mit Gina, um nachzuforschen, ob sie für den Tatabend nicht doch ein Alibi hat. Und was lange währt, wird endlich gut, denn schließlich erinnert sich Gina, wie sie am fraglichen Abend bei ihrer Mutter gewesen und die Ärztin zu einem Hausbesuch gekommen ist und somit bezeugen kann, dass Gina bei ihrer Mutter war. Klingt zwar gut, doch inzwischen hat Hipp sich selbst zum Tatverdächtigen gemacht, da er Gina zur Flucht verhalf, und dummerweise hat er selbst kein Alibi …
So richtig kann ihn dies aber nicht erschüttern, denn Hipp lässt sich von solchen Bedrohungen nicht einschüchtern, er nimmt es gelassen und geht weiterhin seinen Nachforschungen nach. Das eine oder andere Gläschen Wein hilft ihm dabei, die Ruhe und den Durchblick zu bewahren.
_Beschauliche Gemächlichkeit_
Eine sympathische Beschaulichkeit ist es, die das gesamte Buch ausstrahlt. Michael Böckler nimmt sich viel Zeit, die kulinarischen Highlights Italiens zu beschreiben; so lernen wir ganz nebenbei die besten Weine kennen, die leckersten Gerichte und die schmackhaftesten Trüffel. Manch einem mag das zu viel an Lokalkolorit sein, ich persönlich fand diese Exkurse allerdings immer sehr lehrreich, zumal ein umfangreicher Anhang das Buch abrundet. Viele Begriffe im Buch sind mit einem Stern markiert und deuten darauf hin, dass sich zu diesem Ort, zu dieser Delikatesse oder zu diesem Gericht im Anhang weiterführende Informationen finden werden. Dort beschreibt Michael Böckler, was einen guten Wein ausmacht, wann sich ein Barolo Riserva nennen darf, wo es die besten Trüffel zu finden gibt, in welchem Restaurant man einkehren muss, und auch zahlreiche Rezepte runden den Anhang ab. So wird das Buch zu einem literarischen und auch kulinarischen Leckerbissen, den ich auf meine nächste Italienreise, die mich ins Piemont führen sollte, garantiert einpacken werde, um genau zu wissen, wo die beschriebenen Leckereien am besten zu genießen sind.
Im Zentrum der Geschichte steht der überaus sympathische Hippolyt Hermanus, der sich nicht nur mit einem vertrackten Kriminalfall konfrontiert sieht, sondern auch mit einer schönen Frau, die ihn immer wieder in Versuchung führen will, beispielsweise wenn sie komplett entkleidet ihre Klimmzüge macht, um keine Klamotten dabei durchzuschwitzen. Doch auch wenn es ihm ausgesprochen schwerfällt, so duscht Hipp lieber kalt, als dass er seine geliebte Sabrina hintergeht. Hipp mit seiner netten und gelassenen Art, seiner penetranten Vorgehensweise und seiner Vorliebe für gutes Essen und leckeren Wein wird zu einer Identifikationsfigur, die man gerne begleitet und von der man unbedingt mehr wissen will.
_Literarischer Leckerbissen_
Michael Böcklers „Tödlicher Tartufo“ ist ein leicht bekömmlicher und schmackhafter Kriminalroman, der durch seine sympathischen Figuren punktet, durch die bildhaften Beschreibungen der italienischen Landschaften und die exquisiten Beschreibungen all der dortigen Delikatessen, die dem Leser das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen. Mit viel Liebe zum Detail und einem nicht zu überlesenden Wortwitz beschreibt Böckler seine Figuren und Schauplätze. „Tödlicher Tartufo“ ist trotz der Morde ein sehr beschaulicher Roman, der sicher nicht so viel Tempo entwickelt wie andere Krimis, aber durch seine Gemächlichkeit überzeugt und einen sehr guten Nachgeschmack hinterlässt. Ich freue mich schon auf das nächste literarische Menü, das Michael Böckler uns kredenzt!
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