M. C. Bolin – Staatsfeind Nr. 1. Roman zum Film

Im Spinnennetz der Überwacher

Robert Clayton Dean, ein junger Staranwalt in Washington D.C., gerät ahnungslos in den Besitz eines Videos, das einen Top-Beamten des mächtigen US-Geheimdienstes NSA mit einem politischen Mord in Verbindung bringt. Ohne Motive oder Hintergründe zu kennen, gerät der Jurist plötzlich in das Visier skrupelloser NSA-Agenten, die mit allen Mitteln modernster High-Tech-Überwachung sein Leben zerstören. Dean verliert seinen Job, seine Frau und seinen guten Ruf: seine gesamte Identität.

Ganz auf sich allein gestellt und ins Bodenlose stürzend, flüchtet er vor seinen Gegnern, bis ihm der im Untergrund arbeitende Überwachungs-Experte Brill die Augen öffnet. Erst widerwillig, dann aber entschlossen startet dieser mit Dean einen Gegenangriff, der in einem furiosen Showdown endet … (Cinefacts.de)

Der Autor

M. C. Bolin – wahrscheinlich ein Verlagspseudonym – schreibt die Romanfassungen zu bekannten Kinofilmen. Zu seinen oder ihren Werken, die alle auf den jeweiligen Drehbüchern basieren, gehören: „Armageddon“, „Gone in 60 Seconds“, „Staatsfeind Nr. 1“ und „It’s a Wonderful Life“ (Filmklassiker mit James Stewart).

Handlung

Prolog

Ein Naturschutzgebiet in der Region Washington, D.C. Eine versteckte Überwachungskamera soll Kanadagänse aufnehmen, bekommt aber folgende Szene vor die Linse. Der hohe NSA-Beante James Reynolds will im Parlament ein Gesetz durchsetzen, das ihm die satellitengestützte Überwachung aller US-Bürger erlaubt. Diese sind bislang durch den vierten Verfassungszusatz in ihrer Privatsphäre geschützt.

Der Abgeordnete Hammersley, mit dem er sich am See der Kanadagänse trifft, weigert sich kategorisch, Reynolds‘ letztem Überredungsversuch nachzugeben. Reynolds‘ Fahrer verpasst ihm eine Spritze, die Hammersley erschlaffen lässt. Er steckt ihn hinter das Lenkrad seines Wagens, löst dessen Handbremse und schiebt ihn ins Wasser. Dort ertrinkt der Abgeordnete. Während Reynolds und sein Fahrer wegfahren, bellt Hammersleys Hund nach seinem Herrchen.

Haupthandlung

David Leon Zavitz arbeitet für die Naturschutzbehörde und holt am nächsten Tag das Video aus der Kamera. Während er bei allen weiteren Kameras am See die gefüllten Bänder ersetzt, wird er Reynolds‘ Fahrer bemerkt: „Oh Scheiße!“ Reynolds ordnet an, das Band wiederzubeschaffen und zu vernichten. Er fälscht einen FBI-Durchsuchungsbefehl und ermächtigt seine Handlanger zu einer verdeckten und ebenso illegalen Operation der NSA.

Als David Leon Zavitz merkt, was er da hat, ruft er erst einen Politaktivisten an, doch der glaubt, er wolle ihn veräppeln. Es klopft an der Tür: Die Drogensüchtige aus dem Erdgeschoss will sein Telefon benutzen. Doch sie ist nur ein Vorwand für die NSA-Leute, um sich Zutritt zu Zavitz und dem Band zu verschaffen. Er merkt aber, was läuft, zieht noch eine Kopie des Bandes – und verschwindet eilends über die Dächer.

Robert Dean ist ein smarter und aufstrebender Anwalt für Arbeitsrecht. Er will zwei zusammengeschlagenen Gewerkschaftern zu ihrem Recht verhelfen und den Mafiaboss Pintero, der dahintersteckt, austricksen. Dazu braucht er Belastungsmaterial, das Pintero „überredet“, damit aufzuhören. Er fragt seine frühere Freundin Rachel Banks, und die besorgt ihn von ihrem Ziehvater Brill ein Überwachungsvideo, das Pintero in geselliger Runde mit Gewerkschaftsbossen zeigt – ein klarer Verstoß gegen seine Bewährungsauflagen. Als Pintero das Video sieht, wird er stinksauer und droht Dean, ihn und seine Familie fertigzumachen.

Dean, der solche Methoden nicht gewohnt ist, beschließt, sich erst einmal etwas Entspannung bei einem Weihnachtseinkauf zu gönnen. Beim Verlassen von Pinteros Restaurant Ruby’s wird er vom FBI gefilmt, das auch sein KFZ-Kennzeichen prüfen lässt. jetzt ist Dean erfasst. Arbeitet er etwa mit der Mafia zusammen?

David Leon Zavitz hat es mit Müh und Not in Tracy’s Boutique geschafft, wo er seinem alten Studienfreund Robert Dean über den Weg läuft. Er bittet Dean atemlos um Hilfe, doch der wird gerade von der Dessous-Verkäuferin bequatscht. Unauffällig steckt Zavitz Dean sein Band in eine Einkaufstasche und macht sich vom Acker. Auf einer Kreuzung fährt ihn ein Feuerwehrauto über den Haufen. Dean ist erschüttert, sieht aber nicht, wie di NSA-Leute Zavitz filzen und dabei auf Deans Visitenkarte stoßen. Hat Dean jetzt das Band? Reynolds lässt Dean beschatten, verwanzen und schließlich diffamieren. Wer Dean jetzt noch glaubt, muss ein Idiot sein.

Als das Foto von Deans nächstem Treffen mit Rachel in der „Washington Post“ abgedruckt wird, kriegt Deans Frau Carla, eine Anwältin, es mit der Angst zu tun. Sie weiß um seine Vergangenheit mit Rachel – betrügt er sie jetzt? Und was ist mit seiner Verbindung zur Mafia? Ihr Mann wird unheimlich, sie weiß nicht, ob sie ihm trauen kann – und wirft ihn raus. Alle seine Unschuldsbeteuerungen helfen ihm nichts.

Um herauszufinden, ob Pintero oder jemand anderer hinter ihm her ist und ihn verleumdet, bittet Dean Rachel um Kontakt zu Brill. Sie kommuniziert mit ihrem Ziehvater nur durch einen toten Briefkasten. Dieser befindet sich auf einer Fähre. Der nichtsahnende Dean wundert sich, warum Brill nicht auftaucht. Erst als er abends an Land geht, spricht ihn ein Mann an, der ihn sofort auf die vielen FBI-Agenten in dieser Gegend aufmerksam macht. Wer hat die alle geschickt? Ist der Typ jetzt Brill? Doch der Überwachung zu entkommen, stellt sich als unmöglich heraus.

Erst nach einem heftigen Verkehrsunfall, bei dem Dean gehörig lädiert wird, zeigt sich der echte Brill. Und befiehlt Dean, siech bis auf die Unterhose auszuziehen. Auf einem Hoteldach entfernt er einen GPS-Peilsender nach dem anderen, die Dean in seine Schuhe, seine Patek Philippe, sein Handy und seinen Montblanc-Füller gesteckt bekommen hat. Nun fühlt sich Dean tatsächlich reichlich nackt.

Nicht nackt genug, findet Brill – ein NSA-Hubschrauber steuert immer noch direkt auf sie zu. Er verschwindet und überlässt es Dean, sich durch eine wilde Flucht durch das Hotel seinen Häschern zu entziehen. Erst die vollständige Entkleidung und ein Feuer scheinen ihn zu retten. Vorerst. Denn Reynolds zieht nun andere Saiten auf, und es ist Rachel Banks, die das als Erste ausbaden muss …

Mein Eindruck

Der Roman wurde von M. C. Bolin nach dem Drehbuch verfasst, das David Marconi, Aaron Sorkin, Henry Bean und Tony Gilroy für den Filmproduzenten Jerry Bruckheimer („Bad Boys 1 + 2“) geschrieben haben. Bolin hat praktisch nichts hinzugefügt, außer ein paar Szenen hier und da, die es nicht in die Endfassung des Films geschafft hatten. So spricht der Schurke Reynolds einmal in einer Bibelstunde, wo er sich über Satan und die Natur des Bösen auslässt. Darüber sollte er eigentlich bestens Bescheid wissen, aber er wird erst noch eines Besseren belehrt.

Er ist es nämlich selbst, der die Bürger ihrer Privatsphäre beraubt und dabei jedes entsprechende Gesetz bricht, das diese schützen soll. Reynolds zeichnet sich durch die permanente Selbstgerechtigkeit aus, mit der die US-amerikanischen Behörden und Regierungen gegen ihre „Feinde“ – was jeden einschließt, der andere Interessen vertritt – vorgegangen sind.

Solidarität

Bestes Beispiel ist Brill selbst. Er ist ein Abtrünniger der NSA. 1978 half er den Iranern unter dem Schah, die afghanischen Widerstandskämpfer gegen die russischen Invasoren zu unterstützen – erst mit Know-how als „Berater“, dann natürlich auch mit Technik, schließlich via Charlie Wilson mit Anti-Hubschrauber-Raketen. So wurden aus Kameltreibern und Opiumbauern schließlich schlagkräftige Mudschaheddin. Doch nach der Stürmung der US-Botschaft in Teheran durch muslimische Fundamentalisten (siehe „Argo“ von Ben Affleck) anno 1979 war Unterstützung nicht mehr angesagt und Brill setzte sich ab. Sein Kollege Banks, der Vater von Rachel, blieb hingegen und kam wohl um. So wurde Rachel Banks Brills Ziehtochter.

Diese Hintergrundgeschichte ist sehr wichtig, um Rachels und Brills Haltung gegenüber dem „Idioten“ Bobby Dean zu verstehen. Durch seine Ahnungslosigkeit in Sachen Spionage und Überwachung gefährdet er sie durch jeden seiner Kontakte. Brill ist noch schwerer zu finden als Rachel. Während dies Brill schützt, muss Rachel dran glauben. Der Täter ist unschwer im Dunstkreis von NSA-Vizechef Reynolds zu finden. Brill hat solidarisch gehandelt, ebenso Rachel. Doch was diese Hilfe wert ist, muss Dean erst noch lernen – im Kampf gegen eine mächtige Behörde, die über sämtliche elektronische Mittel verfügt, die ihr 1998 zur Verfügung standen.

Rechts überholt

Im Zeitalter der Cyberkriege wirkt der Actionthriller inzwischen altbacken und völlig überholt. Die US-Regierungen seit george W. Bush haben inzwischen mit den Würmern Stuxnet, Flame und Duqu drei elektronische Waffen entwickeln lassen und real eingesetzt. (Darüber wurde bereits ein Buch veröffentlicht. Ich verrate also kein Staatsgeheimnis.) Deren Einsatz hat demonstriert, dass kein elektronisch gesteuertes Gerät der Welt mehr vor ihnen sicher ist. Sobald alle Geräte über das Internet vernetzt sind, sind auch alle angreifbar.

Das eigentlich Interessante ist die Kluft zwischen der Existenz totaler Überwachung und ihrer verdrängten Wahrnehmung. Während die Privatsphäre im Verschwinden begriffen ist, wiegen sich viele der Verbraucher und Internet-User noch im falschen Glauben, ihre Eingaben wären sicher vor unbefugtem Zugriff. Andererseits ist dies eine verständliche psychologische Reaktion: Wir könnten es einfach nicht aushalten, würde uns das Auge des Bösen auf Schritt und Tritt beobachten (ähnlich wie Saurons Auge), sondern würden uns lieber umbringen.

Untergang und Ende

Ebeneso typisch wie ironisch ist auch Reynolds‘ Untergang und Ende. Dean führt ihn in Pinteros Restaurant. Dort fordert Reynolds das Band, das Zavitz als Kopie angefertigt hat. Doch Pintero versteht unter „Band“ das Überwachungsvideo, das Dean ihm gezeigt hat. Und das will er unter keinen Umständen herausrücken (wie er daran gekommen ist, wird nicht erklärt). Die Ironie: Obwohl jeder der beiden Kontrahenten ein anderes Objekt meint, meinen sie doch im Grunde beide das Gleiche: Belastungsmaterial.

In Reynolds‘ Verwirrung und Unverständnis über Pinteros Reaktion zeigt sich seine ganze Weltfremdheit. In der realen Welt sind die Verhältnisse längst nicht so eindeutig wie in der der Geheimdienste. Hier gibt es weder schwarz noch weiß, weder gut noch böse, alle sind Opfer und Täter in einem. Doch diese Erkenntnis wird Reynolds nie zuteil, denn einer seiner „Jungs“ eröffnet ungefragt das Feuer. Dann „bricht die Hölle los“, wie es so schön heißt. Und das FBI kommt wieder mal zu spät.

Unterschiede zum Film

Im Unterschied zum Film fehlen die beiden letzten Szenen. Die eine zeigt die beiden Handlanger, die sich Reynolds für diese Geheimoperation geholt hat, gegenüber den Ermittlern des FBI in der Klemme. „Aber nein, wir dachten die ganze Zeit, es handle sich um eine Trainingseinheit.“ Selten hat man Jack Black so unschuldig dreingucken sehen.

Eine weitere Szene fehlt im Buch. Brill schickt Dean einen Gruß aus der Karibik. Im Buch wird dies durch Bilder von Brills Katze ersetzt: Bilder einer Überwachungskamera…

Die Übersetzung

Die deutsche Übersetzung ist denkbar anspruchslos, was Sprachstil, Psychologie und Rechtschreibung angeht. Wörter werden wiederholt, Buchstaben ausgelassen usw. Spätestens auf S. 107 wurde es mir zu viel, als „bedacht“ statt „bedeckt“ geschrieben wurde. Der Kragen platzte mir, als der Roman „Brave New World“ einem gewissen George Orwell („1984“) zugeschrieben wurde – dabei stammt das bekannte Buch von Aldous Huxley. Die Doppelung „Das schaffe ich nicht nicht“ auf S. 128 sprach mir dann aus dem Herzen.

Die paar Fotos, die den Mittelteil zieren, kennt jeder zur Genüge aus dem Film mit Will Smith, Jon Voight und Gene Hackman.

Unterm Strich

Die Romanfassung gibt zu 99 Prozent genau jene Szenen wieder, die wir zur Genüge vom Film kennen und schon x Mal gesehen haben. Das Ärgerliche ist jedoch, dass das Buch voller Fehler ist und dem Drehbuch rein gar nichts hinzufügt. Genauso gut hätte der unbekannte Autor (s. o.) das Drehbuch abschreiben können – was er oder sie wohl auch für einen Hungerlohn getan hat. So gesehen ist das Buch völlig überflüssig und nur als Teil der Marketingkampagne des Disney-Studios zu verstehen.

Ich habe es in wenigen Stunden gelesen und dann in die Ecke gefeuert. Reine Zeitverschwendung.

Originaltitel: Enemy of the State (1998)
Taschenbuch: 144 Seiten
Aus dem US-Englischen von Heinz Zwack
ISBN-13: 978-3612276568
http://www.ullsteinbuchverlage.de