Booth, Martin – The American

_Inhalt_

Signor Farfalla ist in dem kleinen italienischen Bergdorf wohlbekannt und wohlgelitten. Der nette, etwas distanzierte, ältere englische Herr malt Schmetterlinge – daher der klangvolle Spitzname – und trifft sich zu friedlichen Diskussionen bei Pfirsichen, Armagnac und Schinken mit dem Priester. Er ist etwas eigen, aber man lässt ihm seinen Frieden, freut sich, wenn er auftaucht und denkt kaum weiter über ihn nach, wenn er es nicht tut.

Was nicht allgemein bekannt ist: Signor Farfalla baut Waffen für Attentate, auf hochkünstlerische Art und Weise. Er ist der Beste auf diesem Gebiet, sehr teuer und sehr präzise. Er kennt keine Wurzeln und keine Heimat, und Frieden kennt er auch nicht. Nach Jahrzehnten der Wachsamkeit traut er niemandem; den Luxus von Freunden, von Vertrauten kann er sich nicht leisten. Und doch, langsam kommt er in die Jahre. Geld hat er genug, um sich an seinem Lebensabend jede Annehmlichkeit zu gönnen, und dieses kleine Bergdörfchen in Italien ist ihm ans Herz gewachsen. Die Menschen sind einfach und freundlich, das Essen sehr gut, der Wein superb. Eine der jungen Damen, die er hin und wieder zu bezahlen pflegt, beginnt von Liebe zu sprechen – Falle oder Wink des Schicksals, dass es an der Zeit ist, sich zur Ruhe zu setzen?

Signor Farfalla weiß es nicht, doch er beschließt, dass der gegenwärtige Auftrag sein letzter sein soll. Und dann taucht plötzlich jemand auf, den er den „Schattenbewohner“ nennt – einer aus der Welt, in der er lebt, ein Verstohlener, ein Heimlicher – und heftet sich an seine Fersen …

_Kritik_

Signor Farfalla zieht den Leser tief in seinen Bann mit vielen Introspektionen und Geheimnissen, mit Philosophieren und weisen Worten, ehe er seine dunkle Seite offenbart. Er kann das Leben im Kleinen genießen, kann dankbar sein für Augenblicke, einen besonderen Wein oder Käse, einen besonders entzückenden Schmetterling, eine Blumenwiese. Er ist eine facettenreiche Figur, der man immer zustimmen möchte, weil sie so viele wundervolle Dinge denkt und sagt, bis dann plötzlich dieser eine kleine Defekt in seinem ethischen Bewusstsein hervortritt, der es ihm erlaubt, Präzisionswaffen zu entwerfen, die ausschließlich für das Töten von Menschen gedacht sind.

Martin Booth pflegt einen wundervollen Stil, der es dem Leser erlaubt, durch die Seiten hindurch direkt auf die kleine Piazza zu blicken, auf der Signor Farfalla sitzt, seinen Espresso trinkt, Zeitung liest und dabei scharf die Gegend im Blick hält, nie entspannt, immer auf der Hut. Die Kluft zwischen der Beschaulichkeit des italienischen Bergdörfchens und dem Waffenbauer, der immer in Habachtstellung ist, wenngleich er es nach außen hin nicht zeigt, erzeugt atemlose Spannung. Gleichzeitig hat man trotz seines menschenverachtenden Jobs ein tiefes Mitleid mit dem alternden Mann, der sich nach Ruhe und Frieden sehnt, aber doch längst verlernt hat, wie man diese Dinge zulässt und fühlt.

„The American“ ist eine klassische Geschichte von der Vergangenheit, die zurückkommt, um dich zu jagen. Aber die Umsetzung ist brillant, grandios, geht unter die Haut. Durch die Unmittelbarkeit, mit der der Leser vom Ich-Erzähler alles erfährt, was geschieht, hat man dem Protagonisten längst sein Herz geöffnet, ehe dieser seine Abgründe offenbart, und ist der eigenen Sympathie ihm gegenüber hilflos ausgeliefert. Es ist ein perfektes psychologisches Spiel.

_Fazit_

Martin Booth war offensichtlich ein Meister seines Fachs. Leider ist er 2004 einem Krebsleiden erlegen; dieser Roman stammt aus dem Jahre 1991 und trug ursprünglich den Titel „A Very Private Gentleman“. Jetzt wurde er gerade unter dem Namen „The American“ verfilmt und soll mit George Clooney in der Hauptrolle hervorragend besetzt sein. Wenn ich aber einen Tipp abgeben dürfte: Lest lieber den Roman. Oder geht ruhig ins Kino, aber lest den Roman trotzdem. Was genau nämlich in des wortgewandten Signor Farfallas Inneren alles vor sich geht, das kann auch der beste George Clooney nicht mimisch wiedergeben.

Dieser Roman ist schlicht ein Meisterwerk, und es wäre traurig für euch, wenn ihr ihn versehentlich nicht läset. Es ist eine Bereicherung für den deutschen Markt, dass nun endlich eine Übersetzung vorliegt.

|Taschenbuch: 400 Seiten
Originaltitel: A Very Private Gentleman
Aus dem Englischen von Giovanni und Ditte Bandini
ISBN-13: 9783499255151|
[www.rowohlt.de]http://www.rowohlt.de

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