Bourgeon, Francois – Blinde Passagiere (Reisende im Wind 1)

_|Reisende im Wind|:_

Band 1: _“Blinde Passagiere“_
Band 2: „Das Gefangenenschiff“
Band 3: „Handel mit schwarzer Ware“
Band 4: „Die Stunde der Schlange“
Band 5: „Gefährliche Fracht“
Band 6.1: „Das Mädchen von Bois-Caiman“ Teil 1/2
Band 6.2: „Das Mädchen von Bois-Caiman“ Teil 2/2

Die Aufbereitung von Klassikern der franko-belgischen Comic-Historie gehört inzwischen zu den Spezialitäten des Splitter-Verlags. Insofern muss wohl nicht mehr besonders hervorgehoben werden, dass die themenspezifisch auf diesen Bereich spezialisierte Firma immerzu ein feines Händchen bei der Auswahl wirklich lohnenswerter Comics beweist. Dennoch kommt man nicht umher, ein besonderes Lob für die Neuauflage der bereits 1981 erstveröffentlichten, fünfteiligen Serie „Reisende im Wind“ auszusprechen. Anlässlich der gerade erst aufgelegten Fortsetzung, die unter den Ziffern 6.1 respektive 6.2 ebenfalls ins Verlagsprogramm gefunden haben, wird nun das Original in einer sehr schicken Aufmachung erneut zugänglich gemacht – und damit ein wirklich brillantes Kultwerk! Den Auftakt macht nun „Blinde Passagiere“, das ruhmreiche Debüt dieser Serie.

_Story:_

Ihre ganze Jugend hat die junge Adelige Isabeau de Marnaye damit zugebracht, die Folgen eines widerlichen Verrats auszubaden. Eher im Scherz hat sie damals mit ihrer besten Freundin Agnes aufgrund ihrer verheerenden Ähnlichkeit die Rollen getauscht, wurde infolgedessen jedoch alsbald in ein Kloster gebracht, wo Isabeau, die nun als Agnes aufwachsen musste, unter strengster Aufsicht gezüchtigt und erzogen wurde. Jahre später kommt es auf dem Schiff des leiblichen Bruders Benoit zu einem Wiedersehen der beiden vermeintlichen Freundinnen. Agnes ist inzwischen voll und ganz auf Isabeau angewiesen, die ihrerseits immer noch nach Rache sinnt und ihre verlorene Jugend nicht ungesühnt lassen möchte. Als der bretonische Matrose Hoel jedoch in ihr Leben tritt, ändern sich für Isabeau die Prioritäten. Sie rettet das Leben des zu Tode verurteilten Schiffsjungen und schließt mit ihm einen Pakt, von Bord der Fregatte zu fliehen. Doch als die Franzosen auf hoher See in ein Gefecht mit den englischen Feinden geraten, gerät der Plan Isabeaus durch mehrere grausame Zwischenfälle aus den Fugen …

_Persönlicher Eindruck:_

Keine Frage, das Alter des Originals ist in der Neufassung von „Reisende im Wind“ nicht zu verleugnen, strahlt aber auch einen ganz besonderen Charme aus, von dem die Reihe schon mit Beginn der Handlung zu profitieren weiß. Die liebevollen Details in den Zeichnungen sind hier zunächst ausschlaggebend, die relativ direkten Dialoge das nächste Element, welches aus einer anderen Comic-Generation stammt, hier jedoch unter Beweis stellt, wie zeitlos es bei der entsprechenden Qualität ist – und diesbezüglich muss man sich bei Bourgeons Klassiker keine Sorgen machen!

Die Story entwickelt sich derweil sehr temporeich und offeriert relativ bald ihre zunächst noch unvorhersehbare Tiefe. Es geht um weitaus mehr als um das Treiben an Bord eines französischen Nobelschiffes, was der Autor bei der Individualisierung seiner Charaktere ebenfalls zu einem sehr frühen Zeitpunkt herausstellt. Dabei ist es nicht nur Isabeau, die hier zu ihrem Recht kommt und ausführlich in die Geschichte eingeflochten wird, sondern auch ihre Kontrahenten wie etwa der naive, aber selten gutgesinnte Benoit, der noch gar nicht ahnt, welchen Hintergrund das freche Luder mit sich bringt, welches das Schiff inkognito unterwandert hat. Und dies ist nur einer von vielen Konflikten, auf denen die Story basiert, und von denen sie nachhaltig zehrt.

Unterdessen blüht „Blinde Passagiere“ von Seite zu Seite mehr auf; die Handlung kreiert mehrere kooperierende Stränge, während die Figuren mit Leidenschaft und sehr individuellen Ideen geformt werden. Vor allem die offenkundige Anti-Heldin Isabeau entwickelt hierbei eine ganz besondere Ausstrahlung, die man als unkonventionell bezeichnen könnte, die vor allem aber in ihrer weiteren Geschichte undurchdringlich wirkt – und somit einer Serie einen dezent mysteriösen Touch verpasst, die eigentlich gar nicht in diese Richtung zielen mag.

Diese Vielschichtigkeit auf Ebene der Persönlichkeiten und Story ist das große Plus dieser Serie, zwischenzeitlich abgelöst vom geschickten Spannungsaufbau, der sich hier ganz flink von Höhepunkt zu Höhepunkt hangelt und schlussendlich in einen fiesen Cliffhanger mündet. Auffällig ist zudem, dass relativ viel Content in die 48 Seiten eingebaut wurde. Die Ereignisse überschlagen sich regelrecht, haben kurzzeitig auch mal einen Hang zur Hektik, bleiben aber dennoch im angenehmen Maße kompakt und nachvollziehbar.

Dennoch: Die Art und Weise, wie Vergangenheit und Gegenwart kombiniert und in Zusammenhang gebracht werden, ist bemerkenswert und schließlich das letzte größere Bonbon, das ausschließlich auf diesen Auftaktband gemünzt ist. Ob die weiteren Episoden dieses Niveau werden halten können, ist indes noch nicht erwiesen. Aber bei einer so straighten Arbeitsweise bzw. der erwähnten Zeitlosigkeit von Inhalt und Aufmachung braucht man sich darum eigentlich keine Sorgen machen. So ein überragender Blender kann „Blinde Passagiere“ nämlich nicht sein – geschweige denn ein Einzelfall!

|Graphic Novel: 47 Seiten
Originaltitel: Les passagers du vent – La fille sous la dunette
ISBN-13: 978-3868690743|
[www.splitter-verlag.eu]http://www.splitter-verlag.eu

Schreibe einen Kommentar