Das große Rätselraten darf beginnen … Einmal mehr hat ein deutscher Autor beschlossen, unter Pseudonym zu schreiben. Dieses Mal handelt es sich um Alice Braga (zugleich der Name einer Schauspielerin, die in „City of God“ und „I Am Legend“ zu sehen war), hinter der sich eine bekannte deutsche Schriftstellerin historischer Romane verbirgt. Mit „Das Dorf der Unsterblichen“ bewegt sie sich nicht besonders weit weg von ihren Wurzeln. Der Roman spielt zur Zeit der Inquisition, begibt sich aber gleichzeitig aufs Terrain der Dark Fantasy, wenn auch in der Light-Version. Nicht umsonst ist das Buch der Auftakt von „Die Chronik der Unsterblichen“, die sich, wie der Titel schon sagt, auch über andere Jahrhunderte erstrecken soll.
Es ist das Jahr 1503, und Alessando Varese, ein junger Inquisitor, wird nach Oberitalien gesandt, um den Vorgängen in dem Dorf Ascolte auf den Grund zu gehen. Man sagt, dass dort Ketzer leben, und als er dort ankommt, findet er das Götzenbild einer Wolfsmutter vor. Ob das ein erster Beweis ist? Wenig später entdeckt Alessandro in den Kirchenbüchern, dass in fast hundert Jahren nur ein Mitglied des Dorfes gestorben ist. Der verängstigte, knorrige Geistliche Virgilio weigert sich, Weiteres zu diesem Thema preiszugeben, doch Alessandro kommt dem Unwesen im Dorf bald auf die Spur – allerdings anders, als er es sich erhofft hat.
Valeria, eine junge Dorfbewohnerin, deren Zauber Alessandro sich nicht entziehen kann, beißt den Inquisitor, woraufhin sich dieser in einen Werwolf verwandelt. Valeria möchte, dass Alessandro, der ein anderes Mädchen auf dem Dorf als Ketzerin auf den Scheiterhaufen gebracht hat, spürt, was es heißt, einer von ihnen zu sein. Doch er geht ziemlich ungewöhnlich damit um, denn er probiert, diese „Krankheit“ wissenschaftlich zu erforschen, und stößt dabei auf Dinge, die ihn den Kopf kosten könnten …
Obwohl als historischer Roman betitelt, ist „Das Dorf der Unsterblichen“ eher ein seichtes Gemisch aus historischer und fantastischer Literatur. Für ein historisches Werk ist das Buch nicht detailliert genug; das 16. Jahrhundert wird in seiner Besonderheit nur sehr oberflächlich geschildert. Damalige Bräuche, Sitten und charakteristische Eigenschaften kommen kaum zum Tragen, so dass Fans solcher Bücher nur wenig Freude daran haben werden. Über den Anteil fantastischer Literatur lässt sich streiten. Der Hardcore-Fan wird vermutlich die Vielfalt vermissen, denn die Werwölfe sind die einzigen „magischen“ Wesen, und auch sie sind nicht besonders fantastisch dargestellt. Sie weisen so gut wie keine magischen Kräfte auf und benehmen sich auch sonst in einem sehr normalen Rahmen. Also doch mehr Historien- als Fantasyroman? So einfach lässt sich diese Frage nicht beantworten. Das hängt sicherlich davon ab, was man von diesem Buch erwartet.
Die Handlung kann einiges am zweifelhaften Ambiente wiedergutmachen. Sie läuft langsam an und wirkt im ersten Teil zunächst etwas behäbig und uninteressant. Die Autorin schafft es aber, mit der Zeit immer mehr überraschende Wendungen einzubauen und diese konsequent zu Ende zu führen. Dadurch wird die Geschichte spannender und von der Vorhersehbarkeit der ersten Seiten ist nichts mehr zu spüren. Leider wirken dabei einige Ereignisse konstruiert, insgesamt überrascht „Das Dorf der Unsterblichen“ aber durchaus. Der Anfang lädt nicht gerade zum Weiterlesen ein, doch Braga schafft die Wende, so dass man den zweiten Teil des Buches stellenweise gierig verschlingt.
Was für die historischen Einzelheiten gilt, gilt auch für die Charaktere. Sie sind gestrichelt gezeichnet, doch es fehlt an den Farben. Zum einen hätte ein wenig mehr Geist des 16. Jahrhunderts nicht geschadet, zum anderen fehlt es an grundlegender Persönlichkeit. Valerias verschlagene Züge und Alessandros Wissensdurst und Experimentierfreude sind Eigenschaften, die sehr stark herausstechen und dementsprechend gut dargestellt werden. Zwei oder drei Charakterzüge machen aber noch lange keinen Menschen aus, und leider begeht die Autorin den Fehler, ihre Figuren nicht weiter zu vertiefen.
In der Summe ist dieses unauffällig und nüchtern geschriebene Buch zwar interessant, aber kein großer Wurf. Störend ist vor allem die mangelnde Tiefe bei Personen und dem historischen Hintergrund. Die Geschichte wird für den Leser dadurch nicht greifbar, so dass er nach Zuschlagen des Buches mehr oder minder schon wieder vergessen hat, was „Das Dorf der Unsterblichen“ eigentlich ausgemacht hat. Fans der momentan grassierenden Dark-Fantasy-Welle sollten sich ebenfalls lieber anderweitig bedienen, denn die Geschichte versprüht nur wenig untoten Charme. Der erste Band von „Die Chronik der Wölfe“ ist etwas Nettes für Zwischendurch, aber satt wird man davon nicht.
|Taschenbuch, 412 Seiten
ISBN-13: 978-3-499-24729-3|
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