Barbara Büchner – Der Pestarzt

Wien, 1898. Gründerzeit, Aufbruchzeit. Die Pest gilt in Mitteleuropa als Schrecken der Vergangenheit, lange noch nicht besiegt, aber doch zurückgedrängt in weniger zivilisierte Länder. Aus einem dieser fernen Länder jedoch, aus Indien, bringt ein ehrgeiziges Ärzte-Team den Pesterreger mit nach Wien, um ihn dort zu erforschen. Doch nicht nur die Information über das brisante Unterfangen sickert nach außen, auch der Erreger lässt sich nicht vollständig isolieren. Die Pest bricht aus. Mitten in Wien.

Dr. Müller, der Pestspezialist, ein furchtloser und gläubiger Arzt, fühlt sich immun gegen die Seuche und pflegt aufopfernd seine Patienten. Ein äußerst spannendes Buch, mit viel Zeit- und Lokalkolorit. Das Denkmal für den tatsächlich gelebten Dr. Hermann Müller ist in Wien zu besichtigen.

Ein historischer Roman, der Menschen in Grenzsituationen zeigt und danach fragt, worauf es letzten Endes ankommt.

_Autorenporträt:_

Barbara Büchner, geboren 1950 in Wien. Seit 1972 als freie Journalistin und Schriftstellerin tätig. 1985 Ausbildung zur Dokumentarin. Ihr Hobby: künstlerische Grafik. Zahlreiche Publikationen: Kurzgeschichten, Kriminalgeschichten, Romane und Jugendbücher. 1977 Verleihung des Staatspreises für journalistische Leistungen im Interesse der Jugend durch das Bundesministerium für Unterricht und Kunst, Wien. Für „Abenteuer Bethel – Das Recht auf Leben“ wurde die Autorin in die Ehrenliste zum Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis aufgenommen, ebenso in die Ehrenliste zum Katholischen Kinderbuchpreis 1993.

_Rezension:_

Es wundert bei Barbara Büchner nicht, dass man von den ersten Sätzen an von der Autorin in das Wiener Leben des Sommers 1898 gezogen wird. Ihr lebendiger und dennoch filigraner Stil ermöglicht dem Leser einen sofortigen Einstieg in die Handlung, in deren Verlauf auch wieder die Büchnerische Detailtreue, die sie auszeichnet, offensichtlich wird. Ihr Werk „Der Pestarzt“ entstand nach einer wahren Begebenheit, die der Assistenzarzt Dr. Severin Schilder in seiner Chronik |Die Wiener Laboratoriumspestfälle des Jahres 1898| schilderte.

Die siebzehn Pesttage nehmen die Haupthandlung des Romans ein, nach den einführenden Schilderungen des Sommers 1898, die einen Einblick in das Leben und soziale Umfeld der Charaktere bietet. Da sind der |Internist Dozent Dr. Hermann Müller und sein Bruder Otto|, Polizeikommissar, beides Junggesellen im heiratsfähigen Alter. Dr. Müller, der Pestarzt, ist die zentrale Figur des Geschehens, um die sich alles rankt und die Geschicke der Menschen, die mit ihm in Kontakt kommen, verknüpft. Er ist der rote Faden.

Nach seinem dreimonatigen Aufenthalt in Indien kehrt der Arzt in mehrfachem Sinne beeindruckt zurück. Von Kultur, Land, Leuten – und der dort aufgetretenen Pest. Ihm bietet sich die Gelegenheit, diese Seuche zu studieren, was er sofort in Angriff nimmt, denn er hat sich auf die Fahnen geschrieben, diese heimtückische Krankheit zu erforschen.

Barbara Büchner schafft als Einstieg beinahe spielerisch den schmalen Grat zwischen den Rückblicken auf die Zeit des Arztes in Indien in dem Arthur Road Hospital mit seinem Krematorium, das vierundzwanzig Stunden im Einsatz war und den fettigen Rauch der schmorenden Leichen in den Himmelt steigen ließ, und der wienerischen Biergartenatmosphäre und den Verkuppelungsversuchen der Eltern der beiden heiratsunwilligen Brüder. Doch Müller denkt nicht daran, eine Frau an sich zu binden, er will sich völlig seiner Arbeit und seinen Forschungen widmen.

Da ist noch |Albine Pecha|, ein junges, hübsches und eitles Ding, das eine Anstellung bei einem wohlhabenden Gutsbesitzer in Irland als dessen Hauswirtschafterin antreten soll. Einzige Bedingung: Sie muss zuvor einen Kursus in Krankenpflege absolvieren. So führt Albines Weg in das Wiener Allgemeine Krankenhaus (AKH) und somit nimmt das Schicksal für sie seinen Lauf.

|Oberschwester Johanna Hochecker| zeigt sich nicht erfreut, als sie Albine als Lernschwester zugeteilt bekommt. Für die strenge Krankenwärterin mit dem Raubvogelgesicht ist die junge Frau nur ein kokettes Zimperlieschen, dem sie barsch begegnet.

Eine interessante Rolle spielt auch der |Journalist Anton Stieglitz| (eine fiktive Figur des Romans), ein schmächtiger junger Mann mit vorzeitig verwelkten Zügen, denen man durchwachte Nächte und ein ungesundes Leben ansieht, und der für die gesamte Welt der Medizin eine Art Hassliebe empfindet, da ihn diese fasziniert und schon früh den Wunsch in ihm wach werden ließ, selbst Arzt zu werden. Aber nach zwei Semestern Studiums musste sich Stieglitz eingestehen, dass er unfähig ist, ein guter Arzt zu werden, und so wandte er sich dem Journalismus zu, hält aber fortan ein stetiges Augenmerk auf alle medizinischen Institutionen, besonders das AKH. Daher pflegt er auch Kontakte zu Informanten aus jenem Bereich.

So auch zu |Franz Barisch|, einem Labordiener des AKH mit mächtigen Schultern, schwarzen Locken und einem Backenbart, der Stieglitz verrät, dass er die Laborratten und Pestbazillen, die Dr. Müller aus Indien mitgebracht hat, in dem Pathologischen Institut betreue. Aufgrund dieser Information wittert Stieglitz die Story seinen Lebens – und er soll Recht behalten.

Assistenzarzt |Dr. Severin Schilder| versieht seinen Dienst im Kaiser-Franz-Joseph-Spital, dem modernsten Krankenhaus Wiens, an dem über hundert Nonnen vom Orden der Dienerinnen des Heiligen Herzen Jesu ihren Krankenpflegerdienst verrichten.

Am 10.09.1898 wird Kaiserin Elisabeth ermordet. Am Südbahnhof in Wien, wo der Sonderzug mit dem Leichnam der Kaiserin eintreffen soll, hat sich eine Gruppe von Prominenten und vier Ärzten versammelt: |Dr. Rudolf Pöch| und drei andere ältere Mediziner, die Dr. Müller seinen Erfolg neiden und in Pöch den Eindruck erwecken, dass sie Müller und seine Bakteriologen für Leute halten, die die tödlichen Pesterreger nicht entdeckt, sondern überhaupt erst produziert hatten.

Pöch empfindet für seinen Lehrer Dr. Müller, mit dem er zusammen in Indien war, eine schwärmerische Liebe, sowohl auf persönlicher als auch beruflicher Ebene. So bietet er Müller an, ihn auf dessen nächster geplanter Forschungsreise nach Indien zu begleiten. Doch es kommt alles ganz anders!

Das Unheil nimmt seinen Anfang, als dem Labordiener Barisch eine der weißen Versuchsratten entwischt, nachdem sie ihn kräftig in den Finger gebissen hatte. Da Barisch Alkohol zu sich genommen hat, will er den Vorfall vertuschen, weil er sich nicht die doppelten Blöße geben will: seine Aufgabe nicht zu erfüllen und der Trunksucht anheim gefallen zu sein. So fängt er das Tier wieder ein, das kurz darauf verendet, und verbirgt die Bisswunde an der Hand.

Doch Barisch fühlt sich seit dem Rattenbiss schlapp und kränklich. Seine Frau Marie ruft besorgt den Hausarzt, als bei ihrem Mann Schüttelfrost und Fieber auftreten. Auch Dr. Müller, in dessen Diensten Barisch steht, wird informiert und diagnostiziert eine Lungenentzündung, was sich als fataler Fehler herausstellen soll.

Barisch wird in das AKH und das dortige Isolierzimmer gebracht, in dem er von den Wärterinnen Hochecker und Pecha gepflegt wird. Schon bald stellt sich heraus, dass Barisch an der Beulenpest erkrankt ist … Fortan sind auch alle Personen gefährdet, die mit ihm in Berührung gekommen sind. Auch Dr. Müller und die beiden Krankenschwestern.

Gelingt es ihnen, dem schwarzen Tod zu entgehen? Wer kam noch mit Barisch in Kontakt, und wer hat sich noch infiziert? Ist es möglich, die Krankheitsfälle nach deren Verlegung in das Kaiser-Franz-Joseph-Spital des Professor Nothnagel vor der Wiener Bevölkerung zu vertuschen? Und kann die Pest, bevor sie sich ausbreitet, im Keim erstickt werden?

Im Laufe des Romans wird eine weitere Stärke der Autorin deutlich: Ihre Recherchen sind wieder einmal exzellent. So bietet sie nicht nur einen Einblick in das Wiener Gesellschaftsleben dieser Zeit, sondern informiert auch über den Stand der Medizin und die Forschungsarbeiten, was zum Ende des Buches in den Fakten und Anmerkungen über die Pest noch einmal verdeutlicht wird.

_Damit komme ich zu der Aufmachung des Buches:_ Das kleine, durch sein Format sehr gut in der Hand liegende Hardcover bietet ein sehr angenehmes Papier (nicht reinweiß, aber auch nicht holzlastig), auch die Schriftgröße ist ansprechend – augenfreundlich, aber nicht seitenschindend. Als Szenentrenner wurde ein schön verschnörkeltes Motiv und keine lieblosen Sternchen gesetzt. Einziger klitzekleiner Negativpunkt: Der Klappentext lässt Blocksatz vermissen, was optisch nicht sehr ansprechend ist.

_Fazit:_ Barbara Büchner legt wieder einmal ein äußerst gelungenes Werk vor, in dem nichts zu kurz kommt: erzählerische Dichte, Lokal- und Zeitkolorit, historischer Bezug sowie detaillierte und dennoch kurzweilige Unterhaltung. |Dieses Buch hat eine breite Leserschaft verdient!|

Taschenbuch: 288 Seiten
www.brendow-verlag.de