Bustamente, Frank / Nickoloff, Michael – Testimony Of Jacob Hollow, The

_Lovecraft again …_

Der Großmeister der Horror-SciFi und Ikone der düsterromantischen Bewegung spannt seine Netze immer weiter über den großen Schauplatz der internationalen Spiellandschaft. Lovecrafts Welt der spirituellen Geheimnisse und übersinnlichen Entdeckungen gehört mittlerweile zu einem der Leitmotive bei der Kreation neuer Strategie-, Brett- und Kartenspiele und brachte den Liebhabern des Genres in den vergangenen Jahren schon einige echte Klassiker des Metiers, unter anderem das hoch gelobte [„Arkham Horror“ 4085 aus der erfolgreichen Schmiede von |Fantasy Flight Games|.

Doch auch kleinere Verlage haben sich an diesen großen Namen herangewagt, jüngst zum Beispiel auch das kleine amerikanische Label |Third World Games|, über welches vor nicht allzu langer Zeit ein viel versprechendes Kartenspiel namens „The Testimony Of Jacob Hollow“ veröffentlicht wurde. Monster, Mythen und unheimliche Begegnungen sind hierbei anzutreffen, und bevor man sich versieht, ist man erneut mitten eingetaucht in den großräumigen Fundus von H. P. Lovecrafts Kosmos.

_Spielidee_

In Castle Bay geschehen seit einiger Zeit unheimliche Dinge. Grässliche Gestalten säumen das Bild der mittlerweile verlassenen Stadt, und die Angst derjenigen, die das Krisengebiet neuerlich zu erforschen begonnen haben, wächst von Minute zu Minute mehr. Jeder hat es nun selber in der Hand, sich den Kreaturen zu stellen, sich auf den Horror merkwürdiger Begegnungen einzulassen und in den abgelegenen Schauplätzen des beschaulichen Örtchens Punkte für erledigte Recherchen zu sammeln, die nicht nur das Überleben, sondern auch den Sieg in diesem Spiel sichern. Doch es ist Obacht geboten; häufig sind die Geschöpfe der Finsternis stärker, als man es zunächst vermutet …

_Spielmaterial_

Das Kartenmaterial zu „The Testimony Of Jacob Hollow“ besteht auch insgesamt 110 Einheiten, unterteilt in 90 Terror-, 14 Ortschafts- und 6 Charakterkarten. Jede dieser Karten zeigt ein besonderes Szenario des Spiels und trägt dank der wundervoll illustrierten Grafiken unheimlich deutlich zur schaurigen Spielatmosphäre bei – was die visuelle Komponente betrifft, haben wir es also schon einmal mit einem absoluten Volltreffer zu tun. Bezogen auf Anschaulichkeit und damit auch auf das sich bietende Gameplay muss gesagt werden, dass recht viele Infos auf den Karten enthalten sind, die erst einmal verarbeitet werden müssen. Gerade in der ersten Spielrunde ist die Vielzahl der abgebildeten Werte noch ein wenig verwirrend, weil man nie so recht weiß, welche Punktzahlen nun in welcher Situation gewertet werden bzw. welche Bedeutung der Karteninhalt nun genau für die Entwicklung des Spiels hat. Zwar folgt dies alles einem logischen Aufbau, jedoch ist dieser definitiv nichts für Einsteiger in Sachen strategisches Kartenspiel.

Dennoch ist das Material weitestgehend gefällig und überzeugt letztendlich auf jeden Fall wegen der feinen Horror-Grafik. Nur inwiefern die pinkfarbenen und leuchtend gelben Würfel damit in Einklang zu bringen sind, ist mir nicht ganz verständlich.

_Der Spielablauf_

In „The Testimony Of Jacob Hollow“ übernimmt jeder Spieler die Rolle eines der sechs Charaktere, die vor der Partie zur Auswahl stehen. All diese Charaktere haben in unterschiedlicher Anordnung die Werte vier und fünf für Lebenskraft respektive Willensstärke und müssen nun Runde für Runde an die entlegenen Orte reisen, entscheiden, ob sie sich den dort befindlichen Monstern stellen und möglicherweise auch kämpfen wollen und auf diese Weise versuchen, die erforderlichen zehn Recherchepunkte zu sammeln.

Zu Beginn des Spiels besitzt jeder Spieler genau fünf Terrorkarten auf der Hand sowie seinen Charakter, der ebenfalls als Karte offen ausliegt. Den Spielern bleibt nun selber überlassen, ob sie einen Ort aufsuchen oder doch nur ziellos vor der Gefahr flüchten und die gegebenen 14 Lokalitäten meiden – Letzteres wäre allerdings extrem kontraproduktiv, da man auf diese Weise arg schnell ins Hintertreffen gerät und die Punkte für Recherche leichtfertig den Gegnern überlasst.

Der Aufbau einer Runde gliedert sich nun in die folgenden Spielphasen:

|1.) Karten nachziehen|

Zu Beginn des Spielzuges zieht man bis zu drei Karten nach, bis man auf ein Maximum von fünf Karten kommt.

|2.) Ortschaften besuchen|

Nun kann man sich entschließen, eine neue Karte vom Ortsstapel zu ziehen und sich dorthin zu begeben oder eine bereits ausliegende Location zu besuchen. Die unterschiedlichen Orte haben dabei ganz verschiedene Eigenschaften. Gemeinsam ist ihnen nur, dass dort Investigationspunkte, also in diesem Sinne Siegpunkte, versteckt sind, die man nach erfolgreich bestandener Begegnung einsammeln darf. Allerdings ist dieser Mechanismus ein wenig komplexer, weil man nicht etwa die eigenen Handkarten während der Begegnungen ausspielen darf, sondern blind vom Nachziehstapel der Terrorkarten zieht, um sein Schicksal zu bestimmen. Auf den Location-Karten sind feste Werte abgebildet, die nun über den so genannten Flip-Modus genau getroffen werden müssen, um Monstern auszuweichen und an diesem Ort einigermaßen sicher zu sein. Beispielsweise ist der ‚Evade‘-Wert für die Flucht bei 1, 2 und 4 festgelegt. Der Spieler, der nun am Zuge ist, zieht (flip) nun eine Karte vom Terror-Stapel und betrachtet den Flip-Wert auf dieser Karte. Ist er identisch mit einer der erforderlichen Ziffern, konnte man erfolgreich entkommen. Ansonsten muss man sich der Begegnung stellen und kämpfen. Auch für Letzteres werden Karten nachgezogen, und zwar für sich selbst als auch für das Monster, das man bekämpft. Wer den Kampf gewinnt, überlebt das Szenario und darf nun schauen, ob er erfolgreich Investigationspunkte bekommen kann. Andernfalls droht eine bittere Konsequenz, möglicherweise auch der Tod und damit das Ende des Spiels. Allerdings dürfen vorzeitig Dahingeschiedene weiterhin ihre verbliebenen Terror-Karten ausspielen und die Gegner noch einmal richtig ärgern.

Investigationspunkte sind das A und O in diesem Spiel und führen schließlich auch zum Sieg. Man wird sie nur erlangen, wenn man sich an gefährliche Orte heranwagt und dort entweder vor dem Bösen flieht oder aber die Begegnungen überlebt. Bei Erfolg zieht man nach besagtem Flip-System eine neue Karte, addiert seine Werte für Willensstärke und vergleicht sie mit dem Target-Wert der Location-Karte. Wird dieser übertroffen, hat man die Ortschaft erstürmt und bekommt die entsprechende Punktzahl, die auf der jeweiligen Karte abgebildet ist.

|3.) Terror-Karten ausspielen|

Die Terror-Karten in der Kartenhand erlauben einige Bonusaktionen. So kann man zum Beispiel weitere Begegnungen für sich als auch für die Kontrahenten initiieren, die eigenen Werte aufstocken, die gegnerischen hingegen manipulieren, hilfreiche Gegenstände einsammeln oder direkt gegen neue Monster antreten. Diesbezüglich gibt es keine Begrenzungen, so dass man nach Wunsch sogar direkt alle Karten spielen kann.

|4.) Karten abwerfen|

Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass man mit der aktuellen Kartenhand nicht gänzlich zufrieden ist und bestimmte Karten in der individuellen Spielsituation von eher geringem Nutzen sind. In diesem Falle darf man nun im letzten Zug bis zu drei Karten abwerfen, um sich dieser Lasten zu entledigen.

_Spielende_

Sobald ein Spieler die erforderliche Anzahl Investigation Points besitzt, ist das Spiel sofort zu Ende. Gewonnen hat man „The Testimony Of Jacob Hollow“ mit insgesamt zehn Punkten – doch dies zu erreichen, ist leichter gesagt als getan.

_Persönlicher Eindruck_

Ein Spiel, das sich mit einem Teil des Lovecraft’schen Mythos auseinandersetzt, sollte natürlich vordergründig auf die Umsetzung des Themengebiets überprüft werden, welche in diesem Fall im Grunde genommen von ähnlicher Relevanz wie das Gameplay ist. Grafische Feinheiten werden bewertet, die Spielatmosphäre im Allgemeinen sowie die generelle Stimmung unter den Spielern, die sich während einer Partie dieses Kartenspiels entwickelt. Doch in dieser Hinsicht braucht sich „The Testimony Of Jacob Hollow“ vor keinem vergleichbaren Titel zu verstecken, denn in wirklich allen Belangen auf thematischer Ebene glänzt dieses flinke Horror-Spiel mit Authentizität und inhaltlicher wie visueller Brillanz. Die Illustrationen sind dabei das definitive Highlight und wohlweislich an die größten illustrierten Werke zum Thema Lovecraft angelehnt – zu denen im Übrigen auch das eingangs angeführte „Arkham Horror“ zählt, welches trotz weitaus üppigerer Gesamtausstattung zumindest in der visuellen Ausstrahlung ganz ähnliche Gänsehaut-Momente erzeugen konnte. Der Transfer des zugrunde liegenden Themenbereichs ist dementsprechend schon alleine die Investition wert.

Die Interaktion des Spiels steht diesen positiven Eindrücken indes in nichts nach. Der Mechanismus, mit dem die Begegnungen und Kampfsituationen simuliert werden, mag zwar letztendlich ein echtes Glücksspiel sein, unterstreicht aber die basische Spannung, die mit wachsender Spieldauer steil emporsteigt. Risikofreude und Abenteuerlust sind gefragt, gleichzeitig aber auch Wagemut und Geschick, denn schließlich muss man auch abwägen, inwiefern die Konkurrenz sich bestimmten Orten und Begegnungen stellt. Allerdings sind die Mittel, das eigene Schicksal zu beeinflussen, verhältnismäßig gering, so dass Strategie und Taktik hier nur minimal den Verlauf des Spiels bestimmen. Und dennoch lässt sich eine leichte Komplexität nicht wegdiskutieren, einerseits natürlich bezogen auf den etwas verwirrenden Aufbau der Karten, andererseits aber auch wegen der Fülle an Entscheidungen, die einem hier abverlangt werden. Denn auch wenn so mancher Entschluss sich eigentlich von selbst versteht, ist noch lange nicht alles selbstverständlich und transparent. Doch gerade deshalb – und nicht ausschließlich wegen der thematischen Umsetzung – lohnt es sich, „The Testimony Of Jacob Hollow“ über unzählige Spielrunden zu erforschen, dabei den eigentliche Witz des Spiels herauszufiltern und sich dennoch ständig von der prickelnden Atmosphäre mitreißen zu lassen. Mich persönlich hat das Spiel zunächst nicht überzeugt, nach genauerer Analyse der Dynamik und wachsender Erfahrung schließlich aber begeistert. Zwar scheinen knapp 20 US$ ein wenig happig für ein Kartenspiel, zumal mangels deutschem Vertrieb eventuell noch hohes Porto hinzukommt – doch wer die Chance bekommt, dieses Spiel irgendwie zu beschaffen, und dazu ein Fable für Lovecraft hat, der sollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen. Und damit sind auch diverse Verlage angesprochen …

http://www.thirdworldgames.com/

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