Jim Butcher – Die Elementare von Calderon (Codex Alera 1)

Alera ist ein wunderschönes Land, weise regiert vom Ersten Fürsten Gaius Sextus. An den Grenzen wachen die Legionen des Reichs, man hat die Eismenschen, die räuberischen Canim und die wilden Marat-Horden zurückgetrieben. Es herrscht Frieden an den Grenzen, doch nicht im Inneren. Gaius Sextus ist alt und krank, es scheint wenig Liebe zwischen ihm und seiner jüngeren Gemahlin zu herrschen, die erhoffte Geburt eines Sohns und Nachfolgers erscheint nach langen Jahren unwahrscheinlich. Viele Fürsten bereiten sich schon im Stillen auf seine Nachfolge vor, doch einige sägen bereits ungeduldig am Thron des Princeps.

Als Agenten des Ersten Fürsten obliegt es den so genannten Kursoren, solche Verschwörungen aufzudecken. Bereits der erste Auftrag der jungen Kursorin Amara bringt sie in höchste Gefahr. Nicht nur eine abtrünnige Legion mit vielen starken Elementarwirkern bereitet sich auf den Aufstand vor, auch in den Reihen der Kursoren herrscht Verrat. Amara wird gefangen genommen und von ihrem eigenen Ausbilder und Freund, Kursor Fidelias, betrogen. Dieser fühlt sich dem Wohl des Reichs verpflichtet und nicht Gaius Sextus, den er als schwachen Fürsten ablehnt. Für dieses höhere Wohl ist Fidelias zu nahezu jeder Schandtat bereit, wie Amara zu ihrem Entsetzen feststellen muss.

Sie kann aus der Gefangenschaft entkommen und in das Calderon-Tal fliehen, gerät damit jedoch vom Regen in die Traufe. Nicht nur verfolgen sie Fidelias, der legendäre Schwertkämpfer Aldrick ex Gladius und seine Geliebte, die schöne und leicht verrückte Wasserhexe Odiana, sondern bald auch noch die Vorhut einer Kriegshorde der Marat, die von Fidelias aufgestachelt wurden. Er will so den Aleranern die Schwäche von Gaius Sextus zeigen und ihnen einen neuen, starken Fürsten schmackhaft machen.

Tavi, Ziehsohn des Wehrhöfers Bernard, schwebt wie das ganze Calderon-Tal in Lebensgefahr. Eigentlich wollte er nur seine Schafe in den Hof zurückbringen, doch er stößt auf einen Marat-Späher mit seinem Herdentöter, einem riesigen Raubvogel. Onkel Bernards starkem Erdelementar Brutus ist die Bestie zwar nicht gewachsen, doch Bernard wird schwer verwundet. Tavi lenkt die Wut des Marat auf sich und schickt Brutus mit dem verwundeten Bernard zurück zum Bernardhof. Mehr kann er nicht tun, denn er gehört zu den wenigen Aleranern, die über keinen einzigen Elementar gebieten, was besonders im Calderon-Tal, in dem es besonders starke Wirker gibt, einen Makel darstellt. Er stößt auf die erschöpfte Amara und kann ihr von seiner Begegnung mit den Marat berichten. Trotz seiner Findigkeit wird Tavi von den Marat gefangen genommen, aber dank seiner Hilfe gelingt es der verzweifelten Amara, zum Bernardhof zu entkommen. Doch Fidelias ist ihr dicht auf den Fersen, um zu verhindern, dass sie die Legion in der Grenzstadt Kaserna vor dem drohenden Angriff warnt und seinen Plan vereitelt.

_Der Autor und der Codex Alera_

Der |New York Times|-Bestseller-Autor Jim Butcher (* 26. Oktober 1971 in Independence, Missouri) dürfte vielen deutschen Lesern eher durch seine „Dresden Files“ um den schnoddrigen Magier-Detektiv Harry Dresden bekannt sein. Neben dem Schreiben ist Butcher begeisterter Kampfsportler und liebt Live-Rollenspiele.

Kenntnisse der Serie um Harry Dresden sind jedoch nicht nötig, denn der „Codex Alera“ ist ganz anders konzipiert – als klassische High Fantasy – und spielt in einer an das römische Reich angelehnten Welt, deren Markenzeichen die Elementarmagie ist. Fast jeder Aleraner hat beschränkte Macht über einen oder mehrere Elementare der sechs Elemente Feuer, Wasser, Luft, Erde, Holz und Metall. Besonders mächtige Elementarwirker haben meist eine hohe gesellschaftliche Stellung inne.

Die in den USA bereits seit Oktober 2004 laufende Serie war ursprünglich als Trilogie geplant, anhaltender Erfolg und eine sehr positive Resonanz haben sie mittlerweile auf fünf Bände ausgedehnt, der sechste Band |First Lord’s Fury| ist für November 2009 geplant.

Die Titel der amerikanischen Originale lauten:

|Furies of Calderon| (2004)
|Academ’s Fury| (2005)
|Cursor’s Fury| (2006)
|Captain’s Fury| (2007)
|Princeps‘ Fury| (2008)

„Codex Alera 1: Die Elementare von Calderon“ ist die Übersetzung des ersten Bandes, der zweite wurde unter dem Titel „Im Schatten des Fürsten“ für März 2010 angekündigt.

Der Zyklus entstand aus einer veritablen Schnapsidee. Ein Freund stellte Butcher die verrückte Aufgabe, aus zwei ziemlich ausgelutschten Tropen, dem der „verschollenen römischen Legion“ und „Pokémon“, eine funktionierende Geschichte zu machen. So abschreckend und absurd das klingen mag, ich persönlich hätte diesen Zyklus nie gelesen wenn man mir das vorher gesagt hätte, so fantastisch ist was Butcher aus dieser Schnapsidee gemacht hat: Der Codex Alera ist fürwahr ein edles Gesöff, bereits nach dem ersten Band bin ich trunken und mich gelüstet es nach mehr.

_Klassisches Setting und alte Ideen neu kombiniert_

Im Prinzip ist der Schafhirte, in dem so viel mehr Potenzial steckt, ein alter Hut. Tavi wird es weit bringen, so viel sei gesagt, was wohl niemanden verwundern wird. Neu ist dagegen, dass Tavi eben nicht der einfache Mann ist, der besondere Fähigkeiten besitzt. Ganz im Gegenteil, er ist einer der ganz wenigen Aleraner, die über keinen einzigen Elementar gebieten und keinerlei magische Begabung besitzen. Deshalb muss er sich ganz auf seine Finesse verlassen. Er ist ein denkender, intelligenter Held, nicht jemand, der dank seiner besonderen Gaben etwas Besonderes ist.

Die Elementare und die Elementarmagie Aleras sind das innovative Element in dieser Brühe, im Original nennt man sie in Anlehnung an die römischen Rachegöttinnen „Furies“. Und wild sind die Elementare dieser Welt in der Tat, insbesondere jene des Calderon-Tals. Bösartige Windböen können töten, ein Elementarsturm ist etwas, dem man besser nicht ohne eine Handvoll Salz begegnen sollte. Einen angreifenden Wirbelwind ein wenig mit Salz zu bestreuen, löst ihn in Wohlgefallen auf. Ähnlich verhält es sich auch mit den Fähigkeiten der Aleraner. Es gibt sechs Elemente, die klassischen vier Feuer, Wasser, Erde, Luft und die chinesisch inspirierten Elemente Holz und Metall. Jeder Elementar verfügt über spezifische, seinem Element zugehörige Fähigkeiten. Diese werden durch das gegensätzliche Element jedoch ausgehebelt.

Eine Windwirkerin wie Amara hindert man daran, ihren Elementar zu rufen, indem man sie mit Erdschlamm bedeckt, am besten in der Erde eingräbt. Einen Erd- und Holzwirker hingegen bindet man am besten auf ein Eisengestell, so dass seine Füße keinen Erdkontakt mehr haben. Eine Wasserwirkerin legt man am besten trocken, eine Räucherkammer und starke Hitze (Feuer) lähmen sie.

Interessant ist, dass die Fähigkeiten zumindest in diesem Band recht geschlechtsspezifisch vergeben werden. Wasserwirker wie Isana und Odiana sind meistens weiblich, ihre Fähigkeiten liegen im Heilen. Eine mit Wasser gefüllte Wanne ist das perfekte Medium für einen Wasserwirker, der einen Verletzten heilen möchte. Ein angenehmer Nebeneffekt ist, dass Wasserwirker sich dank ihres Elementars über ihre Jahre hinaus jung und hübsch erhalten können. Männer hingegen sind tendenziell Erdwirker und gebieten über stärkende, ausdauernde Elementare. Sie können auch beruhigend wirken und die Zuversicht anwesender Personen steigern – genau das Gegenteil von Feuerwirkern, die Angst und Panik hervorrufen und verstärken können, neben ihrer Fähigkeit, Feuer in brutaler Weise für militärische Zwecke zu nutzen. Holzwirker sind besonders in Wäldern und der Natur gefährlich, Metallwirker sind in der Regel Schmiede oder Schwertkämpfer wie Aldrick ex Gladius. Luftwirker sind militärisch von besonderer Bedeutung für die Legionen des Reichs. Die fliegenden „Ritter Aeris“ sind für Kommunikation, Transport und im Kampf ein unschätzbarer Vorteil gegenüber den zahlreichen Feinden Aleras.

Die wilden Marat besitzen keine vergleichbaren Fähigkeiten, aber sie gehen einen Bund mit den Totemtieren ihres Stammes ein und übernehmen deren Fähigkeiten und Stärken. Ältere Marat-Krieger des Herdentöter-Stammes können beispielsweise sehr hoch springen.

Ein weiteres klassisches, aber verdrehtes Element ist das des Verräters, der ironischerweise auch noch Fidelias (~treu) heißt. Er ist ein Überzeugungstäter, und man kann seine Motive durchaus nachvollziehen. Er hat zwar keine Skrupel, mit bedingungsloser Härte zum Erreichen seiner Ziele vorzugehen, ist aber nicht mitleidlos und grausam – ein sympathischer Antagonist, dessen Fehlgeleitetheit den Leser mehr bekümmert als die Geschichte per se rachsüchtiger und gewaltätiger Bösewichte. Dasselbe trifft auch auf seine Kumpane Aldrick ex Gladius und Odiana zu. Insbesondere die wirre Odiana (~von Odium, Hass), die oft ihre Gegner „sanft zu töten“ verspricht, verstört den Leser. Butcher erzählt uns ihren Hintergrund, und man versteht, warum sie so geworden ist, hat Mitleid mit ihr. Aldrick ist ein Schwertkämpfer ohne Gleichen und bildet mit ihr ein Liebespaar. Auch er hat seine Nemesis, denn es gibt einen Schwertkämpfer, den er noch nicht besiegen konnte.

Auffallend sind die vielen sprechenden Namen, die Andreas Helweg sehr gut übersetzt hat. So heißt die Legionsstadt Kaserna im Original „Garrison“. Der Sklave Faede ist eine phonetische Umschreibung des englischen Namens „Fade“; zwar geht hier der Sinn etwas verloren (Fade ist mehr als nur ein dummer Sklave, er ist untergetaucht, will aus dem Gedächtnis der Leute wortwörtlich verschwinden), ich halte diese Übersetzung trotzdem für eine sehr gelungene Lösung, zudem Butcher häufig mit dem Zaunpfahl winkt, was diesen Charakter angeht. Ohne näher ins Detail gehen zu wollen: Helweg hat für viele Orte und Gegenstände sehr gute deutsche Bezeichnungen gefunden und insgesamt eine wirklich vorzügliche Übersetzung geliefert. Das Buchcover ist zwar nicht das des Originals, trotzdem ist es sehr gut gelungen und könnte sogar eine Szene aus dem Buch darstellen.

_Fazit:_

Jim Butcher erzählt eine klassische High-Fantasy-Geschichte mit einigen innovativen Ideen und dreht gelegentlich Stereotypen um oder erweitert sie und entkommt so der Schwarzweißmalerei, die so oft dieses Subgenre auszeichnet. Mit glaubwürdig motivierten Antagonisten schafft er sich mehr Spielraum, als es üblich ist, wenn Gut und Böse schwarzweißmalerisch unversöhnbar aufeinanderprallen. Die Geschichte liest sich nicht nur wegen der interessanten Charaktere sehr gut; die römisch inspirierte Welt steht an der Grenze zum Mittelalter und besitzt sehr viel Tiefe und Vielfalt. Auch die Clan-Gesellschaft der Marat hat Butcher liebevoll und detailliert beschrieben.

Kritik an der Serie kommt meistens von Butchers eigenen Fans, seinen Harry-Dresden-Lesern. Ganz so innovativ wie in den „Dresden Files“ ist er mit dieser Serie sicherlich nicht, allerdings innovativ genug, um das Genre der High Fantasy neu zu beleben und es auch für Fantasy-Gourmets und -Gourmands erneut schmackhaft zu machen. Ein Vergleich beider Serien führt zwangsläufig zur Enttäuschung, allerdings sollte man es Butcher gönnen und hoch anrechnen, wie vielseitig er zu schreiben versteht.

Ich kann den „Codex Alera“ nur ausdrücklich empfehlen. Mir hat der erste Band ausgezeichnet gefallen, und laut US-Kritiken wird Butcher noch ordentlich nachlegen – der erste Band wird als einer der schwächeren im Gesamtzyklus angesehen. Ungeduldige Naturen können die bereits erschienenen US-Originale lesen; wer auf die deutsche Übersetzung warten will, der kann sich auf die sehr gute Übersetzung durch Andreas Helweg freuen.

Paperback, Klappenbroschur, 608 Seiten
Originaltitel: Codex Alera 01. Furies of Calderon
Originalverlag: Ace, New York 2004
Aus dem Amerikanischen von Andreas Helweg
ISBN-13: 978-3-442-26583-1

Homepage des Autors:
http://www.jim-butcher.com

Übersicht zum Zyklus „Codex Alera“ (englisch):
http://en.wikipedia.org/wiki/Codex__Alera

Homepage des deutschen Verlags:
http://www.blanvalet-verlag.de