Cain, Chelsea – Furie

Archie Sheridans erster Fall begann vor zehn Jahren. Als die ersten Leichen gefunden wurden, alle schrecklich verstümmelt, wurde die Vermutung schnell zur erschreckenden Erkenntnis, dass es sich hier um einen Serienkiller handeln musste.

Für Portland wurde die Mordserie zu einem Alptraum. Die Ermittler können keine Muster erkennen, zu unterschiedlich sind die Opfer in ihrer sozialen Herkunft, ihrem Alter, ihrer Rasse und ihrer Vergangenheit. Nach welchen Details sucht sich der Mörder seine potenziellen Opfer aus?

Überall im Land findet man Opfer und die Polizei, zunehmend unter Druck gesetzt, bildet um Archie Sheridan herum die Sonderkommission „Beauty Killer“. Profiler des FBI und die Soko fahnden fieberhaft nach dem Täter, um der Mordserie ein Ende zu machen, doch erst nach zehn Jahren weiß Archie, wer der Täter ist: Die Psychologin Gretchen Lowell, die ebenfalls ein Mitglied der Soko-Einheit „Beauty Killer“ war, betäubt und entführt Archie und foltert diesen über zehn Tage hinweg. Gretchen Lowell bricht den Ermittler physisch wie auch psychisch, unter unvorstellbaren Qualen; immer rettet die Psychopathin Archie am Rande des Todes, nur um ihn erneut zu foltern.

Letztlich ist es aber Gretchen selbst, die sich mit einem Telefonanruf den Behörden stellt und damit Archies Leben rettet. Doch nach diesen qualvollen Tagen in Gretchens Keller ist sein Leben ein Trümmerhaufen. Seine Frau Debbie und seine Kinder verliert Archie, er ist nicht mehr der Gleiche. Gretchen hat etwas in ihm getötet und zugleich geweckt. Selbst zwei Jahre nach der Verhaftung der Psychopathin Gretchen besucht Sheridan jeden Sonntag seine Peinigerin im Gefängnis unter strengster Aufsicht und Sicherheitsvorkehrungen. Gretchen spielt mit dem Mann, den sie liebt und hasst, und gibt Archie immer wieder zur „Belohnung“ Hinweise darauf, wo sich weitere Opfer befinden und was sie mit ihnen gemacht hat, bevor sie diese grausam getötet hat – ein makaberes Katz-und-Maus-Spiel mit der schönen und faszinierenden Serienmörderin.

Als in Portland jugendliche Mädchen verschwinden und wenig später tot aufgefunden werden, entscheidet sich Archie Sheridan, zu seiner alten Einheit zurückzukehren, um den Serientäter schnellstens zu finden. Archie übernimmt die Leitung seiner Soko, und obwohl er noch immer unter seelischen Qualen leidet, sind Arbeit und Ablenkung vielleicht die beste Therapie für ihn. Die Zeit drängt; drei Leichen junger Mädchen hat man schon ermordet aufgefunden, und ein viertes wurde gerade erst direkt vor der Highschool entführt.

Archies Team ist fast das gleiche wie vor zwei Jahren. Nur die junge Journalistin Susan Ward als ständige Vertreterin der Presse soll die Ermittlungen begleiten. Sie wittert eine große Story, die sie schnell berühmt machen könnte, denn neben den Ermittlungen soll sie ebenso eine Story über Archie schreiben und in seiner Vergangenheit graben.

Im Laufe der Ermittlungen an ihrer alten Highschool und der ersten Begegnung mit der Inhaftierten wird aber ebenso ein Teil ihrer eigenen Vergangenheit ans Licht gebracht, und das macht sie angreifbar und zum Mittelpunkt von Gretchens grausamen Plänen …

_Kritik_

Man könnte meinen, dass Gretchen Lowell verwandt ist mit Dr. Hannibal Lecter, doch Gretchen ist grausamer, intelligenter und raffinierter. Sie tötet, weil sie es aufregend findet, weil sie Gefallen daran findet und so meint, ihr Leben intensiver zu gestalten. Die Qualen ihrer Opfer, deren Ängste und auch das letzte Fünkchen Hoffnung auf Rettung kostet sie vergnügt und genüsslich aus. Ihre Form von Sadismus und Brutalität ist einzigartig.

Perfide spielt die Serienmörderin nicht nur mit ihren „Patienten“. Als wunderschöne und intelligente Soziopathin verführt und manipuliert Gretchen. Nur bei Archie bringt sie ein gewisses Maß an Mitgefühl und Verständnis auf. Sie fühlt sich hingezogen zu dem Mann, der sie jagt, und nennt ihn gerne „Liebling“.

Die Autorin Chelsea Cain hat mit den Figuren Gretchen und Archi zwei sehr unterschiedliche Protagonisten geschaffen, die eine fatale Abhängigkeit aneinander kettet. „Furie“ ist ein explosiver Thriller, der schon nach den ersten Seiten zeigt, wohin es geht. Es gibt satte Gewaltszenen; gerade in den Rückblenden, in denen Gretchen Archie foltert, ihm Nägel in den Brustkorb hämmert oder ihm bei vollem Bewusstsein die Milz herausoperiert, um sie Archies Partner Henry Sobol als Lebenszeichen zukommen zu lassen, sind drastisch erzählt. Doch Gretchen wirkt auf uns dabei faszinierend als Person, in ähnlich morbider Weise wie die Darstellung eines Dr. Lecter.

In den Rückblenden lässt Chelsea Cain Archie Sheridan die Folter aus seiner Perspektive erzählen, und damit umgeht die Autorin die Haupthandlung und bewirkt den Effekt, dass sich der Roman immer spannender entwickelt. „Furie“ ist dabei in drei Teilen aufgebaut. Die Ermittlungen der Soko, die das Ziel verfolgt, das Treiben des Serienmörders zu stoppen, sind inhaltlich detailliert und sehr fesselnd erzählt. Die Journalisten Susan Ward, ein Paradiesvogel im Nachrichtengeschäft, als Zentrum des zweiten Handlungsstranges wirkt anfangs in sich verloren, sehr unsicher, aber immer mit dem Ziel vor Augen, mit ihrer Arbeit über Archie erfolgreich zu sein und damit Aufmerksamkeit und Annerkennung zu erhalten. Den dritten Teil bilden die Rückblenden, in denen Gretchen den Ton angibt und das brutale Martyrium Archies erzählt wird. Auch wenn dieser Part inhaltlich am wenigsten Raum einnimmt, so wird sich der Leser mit absoluter Sicherheit primär daran erinnern. Exemplarisch für den Roman sind die Begriffe Obsession und Kontrolle, um die es sich in allen Haupt- und Nebenhandlungen dreht.

Doch es gibt noch etwas, das ausgesprochen faszinierend erzählt wird: Manipulation aus dem Gefängnis heraus. Selbst aus der Zelle spielt Gretchen mit ihren Schachfiguren auf ihrem Spielfeld und ist jedem immer einen Zug voraus. Das weiß und akzeptiert Archie, denn nur so kann er sich selbst und andere retten.

„Furie“ ist ein klassischer Thriller der Moderne, der es mit anderen ähnlichen Romanen absolut aufnehmen kann. Das Tempo ist durchschnittlich, die Gewalt und das Zusammenspiel Gretchens und Archies in ihrer Darstellung indes nicht ohne. Inhaltlich spannend und vielseitig, gibt es nur wenig auszusetzen. Die Ermittlungsarbeit und Fahndung nach dem neuen Serienkiller wirkt ab und an etwas träge, doch da die verschiedenen Handlungsstränge abwechseln, lässt sich das wohl verschmerzen.

Der Leser wird dabei, wie es manchmal bei Thrillern, aber eher bei Kriminalromanen der Fall ist, mitermitteln können. Nach und nach tauchen gleich mehrere Tatverdächtige auf. Die Lösung dieses Rätsels offenbart sich allerdings erst am Ende – jedenfalls glaubt man das, aber Gretchen ist immer für eine Überraschung gut und lässt ihre Marionetten sich gern etwas verwirren.

Archie Sheridan als zweiter Hauptcharakter ist schwer zu analysieren. Im Grunde ist er tot, in Gretchens Keller gestorben und ähnlich wie Frankensteins Monster aus zahlreichen Bruchstücken zusammengesetzt. Seine Verlorenheit und seine tiefe Verletztheit münden in eine Traurigkeit, die man mitfühlen kann. Anders verhält es sich mit seiner obsessiven Abhängigkeit gegenüber seiner Peinigerin: ein Psychogramm, das faszinierend auf den Leser wirkt und das dieser durchaus nachvollziehen kann.

_Fazit_

Chelsea Cains „Furie“ ist ihr Thrillerdebüt, und ein grandioses obendrein. Wenn die „Furie“ losgelassen wird, so gibt es kein Halten mehr. Das Böse ist und bleibt vielschichtig und faszinierend und hat in der Person Gretchens sein Werkzeug gefunden.

Ich kann die Lektüre sehr empfehlen. Das „Stockholm-Syndrom“, unter dem Archie leidet, ist für sich genommen zwar keine neue Romanidee, dafür aber die Figur Gretchens in diesem Spiel, die süchtig nach mehr machen kann. Der mittlerweile dritte Roman [„Gretchen“ 5872 erschien folgerichtig im Oktober 2009 bei |Limes|.

Hochspannung ist hier garantiert, denn nicht zuletzt hat Chelsea Cain ihre Tochter darum gebeten, den Roman erst zu lesen, wenn sie erwachsen ist. Der Leser wird am Ende feststellen, dass sie hiermit Recht hat.

_Die Autorin_

Chelsea Cain, geboren 1972, verbrachte ihre Kindheit auf einer Farm in Iowa. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalismus und arbeitet als freie Autorin. Nach einigen preisgekrönten Jugendbüchern ist „Furie“ ihr Debüt im Thrillergenre, mit dem sie auf Anhieb die „New York Times“-Bestsellerliste eroberte. Chelsea Cain lebt mit ihrer Familie in Portland, Oregon.

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