Marc Canter / Jason Porath – It\’s (not) so easy – Guns N\‘ Roses: Der steinige Weg zum Erfolg

Die finale Doku für Fans: ein Fest fürs Auge, ein Füllhorn an Infos

Marc Canter begleitete seinen Freund Saul Hudson, später bekannt als Gitarrist Slash, von der Highschool bis zum Olymp der Erfolgs. Er wurde Zeuge der Anfänge des Erfolgs von Guns N‘ Roses und der Entstehung ihres legendären Albums „Appetite for Destruction“. Canters Fotos und Tonaufnahmen fingen private Momente der Band ein und hielten fest, wie sich GNR in ihren Anfängen auf der Bühne durchkämpfte. Erinnerungsstücke wie Flyer, Kartenabrisse, Setlists, Presseberichte und handgeschriebene Songtexte runden die Texte, Fotos und Grafiken ab. In Interviews kommen die Bandmitglieder und Personen, die ihnen damals nahestanden, zu Wort.

Die Mitwirkenden

Marc Canter begleitete seinen Jugendfreund Saul Huson alias Slash sowie die Band von Anfang an, indem er sie dokumentierte: Ton, Video, Fotos von jedem Gig zwischen 1982 und 1987, Flyer zu Konzerten und vieles mehr – der Grundstock für diesen Fotoband. Canter ist im Hauptberuf Besitzer und Betreiber des in der Rock-’n‘-Roll-Welt berühmten Restaurants „Canter’s Deli“ in L.A. Er begleitete GNR vor allem bis zum Bestseller-Album „Appetite for Destruction“.

Jack Lues trug zusätzliches Fotomaterial bei,
Jason Porath die Interviews und Zwischentexte. Er ist Autor des Buches „Mugshots“ (wörtlich: Verbrecherfotos), einer fotojournalistischen Dokumentation über ehemals drogenabhängige Hollywood-Künstler. Als Drebuchautor und Regisseur arbeitete er für Non-Profit-Organisationen, Wirtschaftsunternehmen und TV-Sender, darunter Discovery Channel, Learning Channel, National Geographic Television, BBC, Ford, Volunteers of America und die Special Olympics.

Die Band

Saul Hudson / Slash: Gitarre
Bill Bailey / Axl Rose: Gesang
Izzy Stradlin: Gitarrist, gehörte bis 1991 zu Guns N‘ Roses
Duff MacKagan: Bass, gehörte bis 1998 zur Band
Steven Adler: Drums, bis er bei den Aufnahmen zu „Use your Illusion“ durch Matt Sorum ersetzt wurde

Die Genesis von Guns N‘ Roses:

– Slash gründete die Bands Tidus Sloan und Roadcrew, spielte bei London, Klass und Black Sheep, bevor er GNR beitrat.

– Axl Rose gründete die Bands Rapidfire und Rose, die dann zu Hollywood Rose, New Hollywood Rose, LA Guns und schließlich am 6.6.1985 GNR wurde, als Slash und Duff seiner Band beitraten.

– Izzy Stradlin spielte ab 1983 bei Naughty Women, The Atoms und Shire, bevor er Hollywood Rose beitrat. Spielte Oktober 1984 kurzzeitig bei London.

– Duff MacKagan spielte 1980-84 in Seattle bei The Vains, The Fastbacks, The Fartz und 10 Minute Warning, bevor er nach L.A. zog und Slashs Band Roadcrew beitrat.

– Steven Adler spielte kurz bei Roadcrew, bevor er Axl Roses Band Hollywood Rose beitrat.

Inhalte

Nach der Vorstellung dieser und anderer „Hauptdarsteller“ folgt das umfangreiche Inhaltsverzeichnis. Dem Fan bietet es durch ROTEN FETTDRUCK bereits den ersten Wegweiser auf die Tracks, die ihn am meisten interessieren, nämlich die auf „Appetite for Destruction“, der angeblich besten LP von GNR. Im Grunde ist das gesamte Buch ein umfangreiches Making-of dieser einen Platte, die nicht nur für GNR eine neue Ära einläutete.

|Der 1. Teil: Genesis (1981 bis 6.6.1985)|

Begleitet von umfangreichem Bildmaterial (mehr dazu unter „Mein Eindruck“), schildert der erste der drei Buchteile mit dem Titel „Anything Goes“ die Entstehungsgeschichte der Besetzung für die LP-Aufnahme. Wie sich schon oben aus den Hauptdarstellern und ihren diversen Bands ablesen lässt, ist diese Genesis verschlungen, verwickelt, von Rückschlägen und zahlreichen Wechseln gekennzeichnet. Man könnte, etwas unfair, sagen, dass GNR entstand, als sich Axl Rose und Slash zusammentaten.

|Der 2. Teil: Rise to Fame (28.6.-5.4.1986)|

Wie in allen drei Teilen, verzeichnet das extrem hilfreiche Inhaltsverzeichnis sämtliche wichtigen Auftritte der Band auf ihrem Weg zu Ruhm & Reichtum. Der zweite Teil sieht die Band endlich auf dem aufsteigenden Ast. Zwischen Juni 85 und dem November schaffen sie es das erste Mal, das Haus auszuverkaufen, ja, es kam sogar zu einer Schließung des ROXY wg. Überfüllung. Der stets streitbare Frontman Axl Rose legt sich mehrfach mit der Lokalpresse an, die heiß umkämpft ist, weil eine gute Konzertkritik über Aufstieg und Untergang einer Band entscheiden kann.

Neben der andauernden engen Beziehung zu den Stripperinnen der Stadt taucht erstmals eine ungewohnte Hörergruppe auf: Anzugträger. Es sind Scouts der Plattenfirmen. Erstmals wird auch Tom Zutaut, A&R-Manager der Plattenfirma Geffen Records, Zeuge eines ausverkauften Konzerts. Allerdings nicht, wie vom Inhaltsverzeichnis behauptet auf Seite 208, sondern erst auf Seite 215. So viel also zur Genauigkeit des Inhaltsverzeichnis.

|Der 3. Teil: Fame (26.4.1986-16.8.1988)|

Wir kommen auf die Zielgerade. Aber es wird eine immens schwere Geburt, das erste von sechs geplanten Alben, die Tom Zutaut mit den Jungs produzieren will. Und weil sich so viele Schwierigkeiten ergeben, kriegt Geffen Records langsam kalte Füße. Nur ein allerletzter Ruf von Zutaut an den Chef David Geffen höchstselbst rettet die Platte, die kurz vorm Scheitern steht (S. 330). Die Spannung steigt ins Unermessliche.

Der Grund für die Verzögerung ist das Insistieren der Band, allen voran Axl Rose, auf einen ganz bestimmten Sound, der auf der LP umgesetzt werden soll. Dieser Wunsch lässt zahlreiche Musikproduzenten, also bessere Aufnahmeleiter, schon in der Testphase ausscheiden. Und selbst wenn einer mal was aufnimmt, fliegt er wieder raus, wenn das Ergebnis nicht den Vorstellungen der Band entspricht. Erst als diese sich auf den Sound der britischen Rockgruppe UFO aus den Siebzigern und auf einem ganz bestimmten Konzert festlegt, kommt Bewegung in die Aufnahmen. Es gibt in den USA und Großbritannien tatsächlich noch einen einzigen Menschen, der diesen Sound reproduzieren kann! Der Mann hieß Mike Clink. Abgemischt wurde die Platte von Steve Thompson und Mark Barbiero – ohne die Hilfe eines einzigen Computers!

Ein Leckerbissen für Fans ist die Episode mit Adriana Smith. Die süße Freundin von Axl Rose, die im Buch x-fach abgelichtet auftaucht, wurde dafür gebraucht, einen ganz bestimmten Klang auf „Rocket Queen“ beizutragen: Stöhnen beim Orgasmus. Die Geschichte auf Seite 325 über diese eine Aufnahmesession dürfte zu den Episoden gehören, die jedem Leser (egal ob weiblich oder männlich) in Erinnerung bleiben werden.

Der Rest ist Geschichte. Mike Clink rechnete von Anfang an mit zwei Millionen verkauften Alben. Zutaut war optimistischer. Er tippte auf immerhin fünf Millionen. Aber es gab einen großen Haken: MTV wollte das Video zu „Welcome to the Jungle“ ums Verrecken nicht spielen! Erst durch Geffens Intervention (s.o., S.330 und 333) spielte MTV das Video nachts um zwei. Es wurde ein Hit (S. 335), die erste Million LPs ging praktisch über Nacht weg, und die LP hat sich bis heute mehrere zehn Millionen Mal verkauft.

BONUSMATERIAL

Das letzte Bild des Buches auf Seite 348 zeigt eine Eintrittskarte von GNR für ihre Tournee zu „Use Your Illusion“ aus dem Jahr 1991. Der Disclaimer mit seinen vielfältigen Verboten ist ein Zeichen dafür, dass die Band nun im Big Business angekommen war.

Mein Eindruck

|Die Texte|

Ein Phänomen wie GNR aus nur einer Perspektive darzustellen, wäre ziemlich vermessen – in jedem Fall aber stark verkürzend und somit entstellend. Daher hat Jason Porath, der Texter, die multiperspektivische Darstellung gewählt, die dazu führt, dass eine unglaubliche Fülle von Personen zu Wort kommt. Das spiegelt aber lediglich die Situation im richtigen Leben wider.

Jedes Zitat wird mit dem Namen des Zitatgebers versehen, der fett gedruckt vorangestellt wird. Alle diese Leute selbst zu identifizieren, gehört mit zu den Aufgaben des Lesers. Zum Glück sind die meisten in einem gesonderten Porträt vorgestellt, was dazu führt, dass es eine große Anzahl von Textkästen gibt. Diese sind manchmal interessanter als die Hauptstrecke, welche meist in einer Aneinanderreihung von Zitaten besteht.

Zu den Standardtexten bei den über 50 dokumentierten Konzerten gehören Zitate aus den Stage Announcements und Axl Roses fiesen Kommentaren auf die Lokalpresse, aber auch Bitten um Nachsicht, dass wieder mal ein Verstärker ausgefallen sei usw. Diese Texte bilden eine Einheit mit den dazugehörigen Konzertfotos und den Dokumenten wie etwa Plakaten, Eintrittskarten, Presseberichte und handgeschriebene Songtexte. Auf diese Weise lässt sich das Buch als Sequenz von Live-Auftritten lesen bzw. erleben, wenn die entsprechende Musik dazu läuft.

|Die Fotos|

Am 16. August 1988 spielten GNR im Giants Stadium zusammen mit Bands, da ganz oben angekommen waren: mit Aerosmith, ihrem vielfach gecoverten Vorbild, aber auch mit Deep Purple, den Rock-Dinosauriern, die den Boden für laute Gruppen wie GNR bereitet hatten. Dies war das Zeichen, dass GNR im Olymp angekommen waren.

Dieses Ereignis wurde wie so viele weitere von Marc Canter, dem Amateurfotografen, Restaurantbesitzer und ständigen Bandbegleiter, in Fotos festgehalten. Auch die frühesten Bilder von Anfang der achtziger Jahre stammen von ihm. Die Qualität ist durchweg sehr genießbar, denn schließlich will niemand etwas für verwaschene oder unscharfe Bilder zahlen.

|Das Artwork (Grafiken etc.)|

Das dritte Element sind Grafiken, wie man sie in einer Musikdoku weniger erwarten würde. Die Zeichnungen stammen in der Regel von Saul Hudson alias Slash, der sie entweder für seine Roadcrew, für ein Plakat oder für Freunde wie Canter anfertigte. Sie sind meist ziemlich frech, entsprechen aber genau dem Stil von GNR.

Wertvoll sind auch die Grafiken mit Übersichten, sowohl von den Klubs in L.A. als auch die Entstehungsgeschichte von GNR, die den Werdegang und das Zusammenkommen der verschiedenen Vorläuferbands optisch sinnfällig aufbereitet.

Unterm Strich

Bis heute ist „Appetite for Destruction“ eines der meistverkauften und –gespielten Rock-Alben aller Zeiten. Es wurde 30 Millionen Mal über die Ladentheke geschoben. Dabei ist sein Sound für die Zeit des Stadionsrocks ziemlich ungewöhnlich. Es klingt (mit voller Absicht), als würde die Band lediglich einen Klub von, sagen wir mal, 500 Sitzen beschallen wollen. Das rührt daher, dass es keinen oder kaum Hall gibt, wie er damals bei Plattenaufnahmen üblich bzw. |de rigeur| war.

Ein Song wie „Paradise City“ mit seinem volksliedhaften Refrain lässt sich eben am besten in einem Klub mitsingen. Dennoch klingen die Instrumente und der Gesang deutlich voneinander unterscheidbar, was beispielsweise Slashs Gitarre eine starke Präsenz verleiht. Dieser Sound hat zahlreichen Band als Vorbild gedient. Heute, da der Sound von Stadionrock mega-out ist (außer bei Classic-Rock-Sendern), klingt dieser Sound, der eigentlich aus den Siebzigern stammt, wieder modern bzw. zeitlos. Dabei war „Appetite“ eines der letzten Rock-Alben, das ohne Hilfe eines Rechenknechts abgemischt wurden. Alle diese Details findet der Fan im Buch erwähnt.

Jawoll, dieses Buch ist eindeutig nix für Einsteiger, sondern für bereits bekehrte Anhänger der Band. Das sichtbarste Anzeichen dafür ist, dass es an keiner einzigen Stelle im Buch die Tracklist dieser LP gibt. Es wird einfach als bekannt vorausgesetzt, dass beispielsweise „Sweet Child O’Mine“ das letzte Stück der zweiten Seite ist – gut versteckt vom A&R-Man Tom Zutaut himself. (Er erklärt auch genau die Gründe dafür.)

„Mit diesem Buch möchte ich erreichen, dass jeder, der die Band mag – und sogar die, die die Band nicht mögen – sehen kann, wie eine der größten Platten, die je gemacht worden sind, entstanden ist. Ich möchte, dass jeder, der das Buch gelesen hat, das Gefühl hat, dass er selbst dabei gewesen ist und direkt neben mir stand“, schreibt Marc Canter im Vorwort zu „It’s (Not) So Easy“. Das ist ihm gelungen. Wer also den steinigen Weg der Band zur ersten LP und der Ankunft im Rock-Olymp hautnah nachvollziehen möchte, dürfte an diesem Buch kaum vorbeikommen. Und dabei hat er auch noch jede Menge Spaß.

Paperback: 348 Seiten
Originaltitel: Reckless Road – Guns N‘ Roses and the Making of Appetite for Destruction, 2007
Aus dem US-Englischen von Simone Blass
ISBN-13: 978-3-86543-361-9

http://www.bosworth.de

Siehe ergänzend dazu auch Swen Reuters Rezension zum Buch.