Vampire, Hexen, Werwölfe, Dämonen – das Genre der Dark Fantasy beherbergt einen bunten Reigen unterschiedlichster Wesen. Cassandra Palmer, die Heldin von Karen Chances Romanen, ist im Grunde zwar menschlich, aber sie besitzt übersinnliche Kräfte, dank denen sie mit Geistern kommunizieren und in Zukunft und Vergangenheit sehen kann. Solche Fähigkeiten sind für machtversessene Leute natürlich sehr attraktiv, was erklärt, wieso die junge Frau seit Jahren auf der Flucht vor ihrem Ziehvater Tony, einem skrupellosen Vampir, ist.
Sie hat es geschafft, sich nach Atlanta abzusetzen und dort ein neues Leben zu beginnen. Sie hat einen Job, einen netten Mitbewohner, doch sie hat nicht vergessen, wie grausam es war, bei Tony aufzuwachsen, der außerdem ihre Eltern auf dem Gewissen hat. Nach diesem Vorfall hat er Cassie mehr oder weniger gefangen gehalten, da er ihre Kräfte für seine Belange benutzen wollte. Eines Tages gelang ihr die Flucht, aber die Angst vor Tony sitzt ihr noch immer im Nacken.
Eines Tages erhält sie eine verschlüsselte Botschaft darüber, dass ihr Ziehvater ihr auf den Fersen ist. Sie beschließt, erneut zu fliehen, aber vorher gerät sie mit ihrem Mitbewohner Tomas in einen Hinterhalt. Mehrere Meistervampire attackieren die beiden, doch wider Erwarten überleben die beiden und Cassie wird zum Vampirsenat gebracht, wo man ihr Schutz anbietet. Natürlich nicht ohne entsprechende Gegenleistung. Sie soll in die Vergangenheit reisen, um dort einen gefährlichen Gegner des Senats auszuschalten. Ehe Cassie sich versieht, steckt sie tief in einem Sumpf aus Intrigen fest und erfährt zudem, dass sie nicht die Person ist, die sie zu sein glaubt …
Karen Chance ist nicht die erste amerikanische Autorin, deren Dark/Urban-Fantasy-Reihe in Deutschland veröffentlicht wird, und das macht es für sie schwierig, eine eigene Nische zu finden. Cassandra Palmer ähnelt in ihrem Wesen und der Art und Weise, wie sie dargestellt wird, dem Stereotyp, das sich bei solchen Veröffentlichungen mittlerweile herauskristallisiert hat. Jung, sexy, frech, Single und mit einer bewegten Vergangenheit, die sie immer wieder einholt – die Protagonistin entspricht diesem Rezept perfekt, auch wenn die Ausgestaltung ihrer Vergangenheit einige originelle Stellen enthält. Das Großwerden als Mensch an einem Vampirhof sorgt beispielsweise für die eine oder andere interessante Episode.
Weitere Pluspunkte sind Cassies Gabe und ihre ‚Beziehung‘ zu dem Geist Billy. Cassie kann, im Gegensatz zu Menschen und Untoten, die Geister sehen. Selbige werden zumeist als ziemlich komisch gezeichnet. Billy ist beispielsweise ein ehemaliger Cowboy und Frauenheld, dem seine Spielsucht zum Verhängnis wurde. Da Atlanta im südlichen Teil von Nordamerika liegt, trifft Cassie außerdem auf eine waschechte Südstaatenlady, deren Auftritt für den einen oder anderen Lacher sorgen wird. Weitere Nebencharaktere sind ganz interessant, lassen aber häufig echte Eigenheiten vermissen. Die Vampire werden als historisch angehauchte Männer mit hohem Verführungspotenzial dargestellt. Die Autorin entscheidet sich folglich nicht für die Variante des modernen Vampirs, sondern orientiert sich an älteren literarischen Vorlagen.
Vampire und Geister sind allerdings nicht die einzigen übernatürlichen Wesen, die zum Zug kommen. Zusätzlich treten auch Elfen, Hexen, Magiere und Werwesen auf. Häufig wirkt ihr Auftritt marginal, und nicht immer bleibt genug Platz, um sie ausreichend einzuführen. Das gelingt Kim Harrison in ihren Büchern über die Erdhexe Rachel Morgan wesentlich besser. Dort hat jedes Wesen seinen Platz, wird entsprechend eingeführt und scheint auch nicht überflüssig zu sein. Karen Chance ist dies nicht gelungen. Die unterschiedlichen Spezies sind teilweise schlecht integriert, was aber mit einem anderen Problem einhergeht. Obwohl beispielsweise Cassies Vergangenheit gut ausgearbeitet ist, schwächelt die Welt, die Chance erschafft, an ein paar Kinderkrankheiten. Einige Punkten wirken unausgereift und ausbaufähig, auch wenn die Autorin sich redliche Mühe gegeben hat.
Ähnlich sieht es bei der Handlung aus. Hier fehlt es ebenfalls an Struktur. Der Aufbau folgt keinem üblichen Spannungsverlauf, sondern setzt die Höhepunkte recht beliebig. Dank ihres tollen Erzählstils kann Chance diesen Fehler wettmachen. Sie schreibt sehr flüssig aus Cassies Perspektive und lässt weder den Humor noch den nötigen Ernst zu kurz kommen. Das Bild von Cassie als zerrissene, aufgrund ihrer Vergangenheit zynisch gewordener Person wird sehr unterhaltsam übertragen. Man kann der Autorin zwar vorwerfen, dass ihr Stil sich nicht wesentlich von dem einer Kim Harrison oder Patricia Briggs unterscheidet, aber solange der Lesespaß stimmt, sollte dies zweitrangig sein.
Die Sprunghaftigkeit bezüglich der Ereignisse, auf die man bei der Handlung trifft, ist dagegen keineswegs eine Bagatelle. Manchmal hat man als Leser das Gefühl, dass man trotz konzentrierten Lesens irgendeine Kleinigkeit, die wichtig wäre, verpasst hat. Das geschieht mehrmals in der Geschichte, zudem fehlen manchmal notwendige Erklärungen. Gerade am Anfang, wenn man sich noch nicht richtig in die Lektüre hineingefunden hat, wirkt das störend. Positiv fällt dagegen auf, dass Chance viele Actionelemente verwendet und diese sehr angenehm erzählt. Sie wirken nicht übertrieben, würzen das Buch aber an den richtigen Stellen.
In der Summe ist „Untot mit Biss“ trotz des reißerischen Titels ein interessantes Buch, in dessen Mittelpunkt eine sympathische Hauptfigur steht. Im Aufbau offenbaren sich einige Schwächen, doch wer an Rachel Morgan oder Mercy Thompson einen Narren gefressen hat, wird sicherlich auch mit Cassie Palmer warm werden.
|Originaltitel: Touch the Dark
Aus dem Amerikanischen von Andreas Brandhorst
Taschenbuch, 397 Seiten
ISBN-13: 978-3-492-29183-5|
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