Charles, Maryse (Text) / Charles, Jean-Francois (Zeichnungen) – India Dreams

_Story:_

Böses Erwachen oder Fügung des Schicksals? Als Emily Harryson in den Wirren des Zweiten Weltkrieges von ihrem Freund aus Kindertagen, dem Sohn des Maharadschas Dharam Singh, in London aufgesucht wird, traut sie ihren Augen nicht. Doch die junge Frau hat kein Verlangen nach einer erneuten Konfrontation mit ihrer Vergangenheit in Indien, schließlich verlor sie dort ihre Eltern auf t5ragische und ebenso mysteriöse Weise. Doch das Tagebuch ihrer Mutter Amelia, welches der engagierte Prinz Jarawal mit sich führt, weckt wider alle Vernunft Emilys Interesse und lockt sie schließlich in ihre alte Heimat zurück, nicht wissend, welcher pikanten Spur sie hierbei auf die Schliche kommt.

Zurück in Indien versucht sie schließlich, die Spur ihrer Mutter aufzunehmen und nachzuvollziehen, wohin diese von ihrer Liebschaft zum Maharadscha getrieben wurde. Doch die Hinweise werden schnell wieder vermischt, und während sie an eine echte Familientragödie glaubt, kommen Emily und Jarawal sich immer näher. Doch ähnlich wie bei ihren Eltern soll die Liebe nicht lange anhalten. Emily verschwindet ebenso plötzlich wie Amelia damals, und als der frustrierte Prinz viele Jahre später erfährt, dass sie sich mit dem als homosexuell bekannten Englischlehrer Kenneth Lowther abgesetzt hat, bricht für ihn eine Welt zusammen. Nun ist es an Emilys Tochter Kamala, die Geheimnisse der Vergangenheit aufzudecken. Doch ebenso wie ihre Vorfahren scheint sie ein Händchen für die Tragik zu besitzen …

_Persönlicher Eindruck:_

Es ist ein gewagtes Projekt, an dass sich das belgische Comic-Pärchen Maryse und Jean-Francois Charles herangewagt haben, als sie den Entschluss fassten, in „India Dreams“ ein familiäres Drama, das sich über drei Generationen erstreckt, mit all den historischen und kulturellen Begebenheiten zu verknüpfen und es gleich durch mehrere Zeitzonen zu jagen. Von den Anfängen bis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts führt der Zeitstrang den Leser durch das politisch schwierige Indien, den Zweiten Weltkrieg und allerlei ungehorsame Liebschaften, die untereinander noch einmal reichlich verzwickt konstruiert wurden und die Handlung alsbald zu einer arg komplexen Präsentation nötigen.

Doch die gesteigerten Ansprüche, die die Autorin und der Zeichner verfolgen, bieten ähnlich dem vergleichbaren „War And Dreams“ einen abgerundeten Erzählstrang, der zwar immer wieder zwischen den Ebenen pendelt, hierbei nicht immer mit Transparenz auftrumpft, zum Ende jedoch ein schlüssiges Ganzes bleibt und in seiner Gesamtheit als wirklich berührendes, durch und durch dramatisches Epos seinen Beifall verdient.

Allerdings ist es diesmal nicht ganz so leicht, in die Geschichte hineinzufinden; der Charles-Clan gibt sich bei der Einführung schon außerordentlich sperrig, initiiert Mysteriöses und gibt seinen Charakteren nicht ganz so viel Handlungsspielraum, um ihr wahres Gesicht bereits preiszugeben. Vor allem was die Beschreibung von Amelia, ihrem Geliebten Thomas und ihrer Affäre mit dem Maharadscha betrifft, tappt man lange Zeit im Dunkeln, während man gleichermaßen damit beschäftigt ist, dass Schicksal von Emily nachzuvollziehen und ihre teils komplizierten Entscheidungen zu verstehen. So wandert die Story gelegentlich in einem schwerelosen Raum umher, jederzeit bereit, abzustürzen, andererseits aber auch immer auf der Suche nach der nächsten Treppe, die die Euphorie ob des exotischen Comic-Märchens weiter in die Höhe treiben kann. Es sind erst die Schlussseiten, die Harmonie in das inhaltliche Geschehen bringen und dennoch bewusst nicht alle Fragen beantworten. Nur muss man hier anmerken, dass „India Dreams“ ein womöglich zu rasches Ende findet und sich Maryse und Jean-Francois Charles nicht mehr die kurze Zeit nehmen, das (wenn man denn so will) Finale schmückend auszukleiden.

Doch man will sich keinesfalls beschweren, denn trotz der leichten Kritik ist „India Dreams“ eine wunderbare Schöpfung, ein größtenteils monumentales, vor allem spannendes Epos, das sich bis zur letzten Seite nicht durchschauen lässt und dabei mit so vielen politischen und kulturellen Details geschmückt ist, dass man sich abseits der Handlung auch immer wieder für die liebevolle Aufbereitung des Buchs begeistern mag. Die farbenfrohe Direktcolorierung und das absolut authentische Stimmungsbild, welches selbst in den eher rational abgehandelten Abschnitten niemals sein elegantes Erscheinungsbild einbüßt, tun ihr Übriges dazu und verwandeln diese Kollaboration der beiden Belgier in ein wahrhaftig ergreifendes, wenn auch manchmal schwieriges Comic-Erlebnis!

|Gebundene Ausgabe: 207 Seiten
ISBN-13: 978-3940864031|
http://www.splitter-verlag.eu

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