Chesterton, Gilbert Keith – Father Browns Einfalt (Teil 1)

Wer sich mit der Evolution der Detektivgeschichte befasst, kommt an dem Namen G. K. Chesterton kaum vorbei. Zwar war der englische Autor (1874-1936) auch als Essayist, Romancier, Poet und Zeitungsmacher tätig, doch das breite Publikum kennt und schätzt vor allem seine 52 Kurzgeschichten um den Kriminalfälle lösenden Geistlichen Father Brown. Steinbach Sprechende Bücher hat sich nun vorgenommen, diese Kurzgeschichten mit Michael Schwarzmaier als Sprecher auch für krimibegeisterte Hörer erfahrbar zu machen. Der erste Band Kurzgeschichten, „Einfalt“, ist bereits in vier Teilen als Doppel-CD erschienen. Die restlichen Geschichten werden hoffentlich nach und nach folgen.

|“Einfalt 1″| bietet auf zwei CDs die ersten drei Geschichten um Father Brown. Den Auftakt bildet das „Blaue Kreuz“, in dem der Hörer sich zunächst im falschen Film wähnt. Tatsächlich übersieht man den titelgebenden Protagonisten zunächst, die Geschichte wird nämlich aus der Perspektive des französischen Polizeichefs Valentin erzählt. Dieser wird dem Hörer ganz unbescheiden als der größte Kriminologe seiner Zeit vorgestellt – unzählige Fälle hat er schon gelöst und ebenso viele Verbrecher dingfest gemacht. Doch einer ist ihm bisher immer wieder durch die Lappen gegangen: Hercule Flambeau ist ein Meisterdieb, aber auch jemand, der seiner Profession mit Originalität und einem gewissen anachronistischen Charme nachgeht. Und genau dieser Flambeau soll sich in London aufhalten. Valentin ist fest entschlossen, ihn nun endlich in die Finger zu bekommen.

Augen und Ohren des Polizeichefs entgeht nichts und tatsächlich verfolgt er scharfsinnig Spuren, wo andere Zufälle vermuten würden. Denn als er in einem Café feststellt, dass Zucker und Salz vertauscht wurden, führt ihn das (und die eilends herbeigerufene Verstärkung von der Londoner Polizei) tatsächlich auf die Spur Flambeaus. Doch wer hat die Spur ausgelegt? Sicherlich nicht der Verbrecher selbst!

Und hier kommt dann endlich die Titelfigur ins Spiel. Denn es ist kein Geringerer als Father Brown, den Flambeau bestehlen wollte, da der Geistliche ein wertvolles silbernes Kreuz bei sich trug. Doch stellt er sich als viel gewitzter heraus, als der Meisterdieb angenommen hatte …

|“Das blaue Kreuz“| ist eine pfiffige und schlau konstruierte Geschichte. Nicht nur taucht der „Held“ erst ganz am Schluss auf, auch ist er überhaupt nicht so, wie man sich einen Detektiv in der Regel vorstellen würde. Father Brown ist eben das – ein Geistlicher: Kurz und rund, in abgetragener Kleidung und mit unscheinbarem Äußerem. Er gibt sich stets bescheiden, eine Tatsache, die Figuren in seinem Umfeld wiederholt dazu verleitet, ihn entweder vollkommen zu ignorieren oder für naiv und einfältig zu halten. Auch Flambeau macht in „Das blaue Kreuz“ diesen Fehler und wird ihn bitter bereuen. Denn von einem einfachen Priester übers Ohr gehauen worden zu sein, kratzt sicherlich am Ego eines Berufsverbrechers! Derart überrumpelt von Father Browns kriminellen Tricks und Kniffen, entfährt ihm dann auch die verzweifelt ungläubig Frage, wie denn Father Brown all diese Dinge wissen kann. Ganz einfach, meint der Katholik: Wenn man sich tagein, tagaus in der Beichte mit den Niederungen der menschlichen Seele befassen muss, lernt man so einiges. Und man lernt eben auch, wie man einen Dieb so richtig auflaufen lässt!

Auch Valentin zeigt sich beeindruckt, offensichtlich genug, um den Kontakt mit Father Brown aufrecht zu erhalten. Die zweite Geschichte spielt nämlich in Paris, in Valentins Privathaus und auch Father Brown ist anwesend. Gerade noch musste Valentin eine Hinrichtung abnicken und das führt dazu, dass er sich zu seiner eigenen Party verspätet. Zu Hause wartet nämlich eine kleine Gesellschaft auf ihn, um mit ihm zu Abend zu essen, doch das Ereignis wird jäh gestört, als sich im Garten eine enthauptete Leiche findet. Das ist nun ein Problem, denn der Garten liegt hinter dem Haus und ist von Mauern umgeben. Der einzige Zugang führt also durch das Haus, was die Vermutung nahelegt, dass einer der Anwesenden den Mord begangen haben muss. Und überhaupt: Der Ermordete war gar nicht eingeladen. Wie ist also er dort hingelangt? Fragen über Fragen und auch hier wird es Father Brown sein und nicht der hochdekorierte Polizeichef Valentin, der den Fall löst.

|“Der verborgene Garten“| bietet eine interessante Variation des Locked-Room-Puzzle, einem Subgenre der Detektivgeschichte, in dem ein Verbrechen unter unmöglichen Umständen stattfindet, in der Regel eben in einem geschlossenen Raum. Gleichzeitig beschränkt dies die Zahl der Tatverdächtigen – es kommen eben nur jene Personen infrage, die bei Valentin zum Abendessen eingeladen waren. Und tatsächlich hält sich die Abendgesellschaft lange damit auf, verschiedene Personen zu verdächtigen, nur um den Verdacht dann wieder zu verwerfen. Schlussendlich stellt sich – natürlich – heraus, dass die unverdächtigste Person den Mord begangen hat. Dabei ist die Auflösung durchaus elegant und gewitzt, einzig das Motiv des Mörders steht auf reichlich wackligen Füßen.

In der letzten Geschichte, |“Die sonderbaren Schritte“|, droht dann die absurde Komik von Chestertons Gesellschaftskritik gar die eigentliche Kriminalgeschichte zu überlagern. Tatsächlich ist das Verbrechen eher ein Nebenschauplatz – ein geschickt entwendetes Silberbesteck. Viel mehr Aufmerksamkeit schenkt Chesterton seinem Setting und den darin handelnden Personen. Beim Setting handelt es sich um das Vernon Hotel, ein ziemlich exklusiver Laden, der einfach nur deshalb so exklusiv ist, weil das Restaurant derart winzig ist, dass man nie einen Platz bekommt. Und bei den Personen handelt es sich um die Zwölf Wahren Fischer, einen Club von Gentlemen, die jedes Jahr einmal im Vernon Hotel zu speisen pflegen und dabei allerlei skurrile Rituale vollführt. Chesterton nimmt sich viel Zeit für die Beschreibung der Lebensferne dieser gehobenen Stände, denn schlussendlich wird die Enthüllung des Verbrechens darauf fußen, dass für einen echten Blaublüter ein simpler Kellner eben wirklich und wahrhaftig unsichtbar ist. Und so entlarvt Father Brown am Ende nicht nur das Verbrechen um das gestohlene Silberbesteck, sondern eben auch die Abgründe menschlichen Verhaltens mit all seinen Borniertheiten und Vorurteilen. Das ist so amüsant, dass man darüber glatt vergisst, dass es hier um das Aufdecken eines Diebstahls geht.

_Steinbach Sprechende Bücher_ hat sich mit dem Father-Brown-Projekt wirklich eine große Aufgabe aufgeladen, doch schon die erste Doppel-CD verspricht 2,5 Stunden wahrstes Hörvergnügen mit einem unwahrscheinlichen Detektiv und seinem meisterhaften Erfinder. Und wer nach dem Genuss der Doppel-CD immer noch nicht genug hat, für den hält Steinbach Sprechende Bücher eine wirklich gut gemachte Webseite zum Thema Chesterton und Father Brown bereit, die viele Hintergrundinfos zum Beispiel auch zur neuen Übersetzung bietet. Ein Besuch ist auf jeden Fall zu empfehlen!

|2 Audio-CDs
Spieldauer: 157 Minuten
Gelesen von Michael Schwarzmaier
ISBN-13: 978-3-86974-010-2|
[www.sprechendebuecher.de]http://www.sprechendebuecher.de/titel.php?id=632
[www.father-brown.de]http://www.father-brown.de

_Gilbert Keith Chesterton bei |Buchwurm.info|:_
[„Father Brown“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2362
[„Der Mann, der zu viel wusste“ (Lesung)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4166
[Pater Brown – Edition 4″ (Lesung)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5813