Christopher, Paul – Luzifers Testament

Es gibt vier offizielle Evangelien. Die vier Evangelien des Matthäus, Markus, Lukas und Johannes wurden von den römischen Kaisern überarbeitet, angepasst und der gläubigen Christenheit präsentiert, die dabei war, die Götterwelt des römischen Reiches abzulösen.

Der eigentliche Grund in der Akzeptanz der Evangelien war natürlich die Motivation, die beiden Glaubensrichtungen friedlich nebeneinander praktizieren zu können. Ein kluger und wichtiger Schachzug, denn alles andere wäre leicht vorhersehbar zu einen frühen Religionskrieg eskaliert.

Es gab und gibt noch andere Zeugnisse aus dem Leben Jesus, z. B. die Apokryphen des Neuen Testaments (griechisch apókryphos: verborgen). Dieser Sammelbegriff bezieht sich auf mehr als einhundert Schriften christlicher Autoren zwischen dem 2. und 4. Jahrhundert. Sie weisen durchaus eine interessante Ähnlichkeit auf und verfügen über grundlegende gemeinsame Merkmale. Trotzdem gehören diese weder zum Kanon des Neuen Testaments noch zu den akzeptierten und zum Lehren geeigneten Schriften der Kirchenväter.

Einige der Schriften haben beispielsweise das alltägliche Leben Jesu näher beschrieben. Vielleicht war dies mit ein Grund, diese nicht der Allgemeinheit zu eröffnen, denn was ist schon eine Gottheit, die menschlich wirkt, mit all ihren Fehlern und in ihrer Sterblichkeit?

Der amerikanische Autor Paul Christopher hat nun mit seinem zweiten bei uns erschienen Roman „Luzifers Testament“ eine nicht unbedingt neue, aber anders interpretierbare Geschichte zu dieser Thematik veröffentlicht.

_Die Geschichte_

Die bekannte Archäologin Finn Ryan besucht das noch immer geheimnisumgebene Ägypten, um nach ihrem erfolgreichen Studium ihren ersten Job bei einer vielversprechenden Ausgrabung anzutreten. Gerüchten und Mutmaßungen zufolge befindet sich hier das Grab eines Apostels. Als wissenschaftliche Zeichnerin sucht sie in der Nähe der lybischen Oase Al-Kufrah nach dem Grab.

Bei einem Routineflug über die Wüste stößt sie zusammen mit dem Piloten Virgil Hilts auf eine unbekannte, geheimnisvolle Höhle. In dieser liegen Leichen noch aus den Zeiten des Zweiten Weltkrieges, die keines natürlichen Todes gestorben sind. Bei einer der Leichen finden sie ein Goldmedaillon, dessen Inschrift auf Luzifer, den Lichtbringer verweist. Diese Inschrift deutet an, dass Jesus die Kreuzigung überlebt bzw. gar nicht erlitten hat, sondern als Eremit inmitten der Wüste weiterlebte und ein eigenes Evangelium verfasste.

Diese Theorie würde die bekannte Geschichte des Neuen Testaments, ja des christlichen Glaubens grundlegend verändern und in Frage stellen. Der Sohn Gottes, der nicht gekreuzigt worden und anschließend von den Toten wiederauferstanden ist, würde alles in Frage stellen, was die Kirche lehrt und lebt, was sie vermittelt und was ihr eine Daseinsberechtigung gibt.

Schnell werden Finn Ryan und Virgil Hilts zu Gejagten und sind auf der Suche nach der Wahrheit gezwungen, einen Weg über den gesamten Globus einzuschlagen. In der karibischen See liegt ein Schiffswrack, das den Schlüssel zu dem verschollenen Evangelium bergen soll. Ein mörderischer Wettlauf mit der Zeit und den anderen Interessenten entbrennt, denn es sind sich alle einig, dass die letzte Botschaft Christi die Geschichte völlig in Frage stellen könnte – eine Gefahr für die Kirche und ihre Machtstellung in der Welt …

_Kritik_

Romane rund um die katholische Kirche und mysteriösen Verschwörungstheorien haben nach den Veröffentlichungen des Trendsetters Dan Brown eine schier endlose Anzahl von Nachahmern auf die Bühne gerufen. Auch Christopher ist mit „Luzifers Testament“ einer dieser Trittbrettfahrer und unterhält den Leser mit seinen Theorien rund um das Leben und noch viel wichtiger dem Überleben Christi auf recht einfallslose Art und Weise.

Paul Christopher verfährt sich mit einer Geschichte um ein „verlorenes“ Evangelium in eine Schnitzeljagd, die die beiden Charaktere rund um die Welt reisen lässt. Leider kommt dabei die eigentliche Geschichte, die sich ja um die Evangelien herum abspielen sollte, völlig zu kurz. Völlig unzureichend recherchiert, findet der Autor keine plausible und vielleicht sogar interessante Theorie, stattdessen wird geschossen, gekämpft und gereist und selbst die Ausarbeitung der Protagonisten bleibt auf der Strecke.

Die beiden Hauptcharaktere Finn und Hilts haben beide kaum eine Vergangenheit, die ihren Figuren literarische und charakterliche Tiefe geben könnte. Viele Fragen stellen sich dem Leser schon auf den ersten Seiten und werden auch im Laufe der Geschichte und Entwicklung nicht zufriedenstellend erklärt. Hilts sollte eigentlich nur eine Nebenfigur sein, aber dessen Geschichte und seine heldenhafte Überlebenskünste bleiben in einem erzählerischen Nebel gefangen. Keine Erleuchtung, nicht mal ein Funken erzählerischen Tiefgangs hat sich mir präsentiert.

Was hätte aus der Idee geboren werden können, dass Jesus nicht gekreuzigt worden ist, sondern sich versteckt hat? Dass er ein eigenes Evangelium verfasst hat? Alles Ideen, die überhaupt nicht weiter verfolgt worden sind. Primär stand wohl das Abenteuer à la „Indiana Jones“ im Vordergrund. Es hätte ein toller Roman werden können, der seine Leser hätte fesseln und dazu motivieren können, selbst ein wenig in den Geschichten und Sagen der Evangelien zu recherchieren.

Was bleibt am Ende übrig? Nichts – der Leser wird nach den knapp 400 Seiten keinen Aha-Effekt erleben. Stattdessen wird er sich fragen, wo die Erklärungen für die haltlosen Theorien abgeblieben sind. Kein Nachwort des Autors, kein Hinweis auf historische Quellen oder Karten, die uns auf der Suche nach dem Sinn hätten zur Hilfe eilen können. Enttäuschend, geht man von dem Hintergrund aus, dass der Autor Paul Christopher Professor für Geschichte ist. Seine Erfahrungen zum Thema Fälscherei und Kunstraub während des Zweiten Weltkrieges hat er zwar im Roman ein wenig verarbeiten können, aber ansonsten hat er nicht gut und ausreichend genug recherchiert.

_Fazit_

Bringt man eine gewisse Erwartungshaltung in Bezug auf die Theorien des verschollenen Evangeliums in die Lektüre ein, kann der Autor seine Leser in keinerlei Hinsicht von seinen Thesen überzeugen. Weder besitzen seine Figuren so etwas wie eine Seele noch wirkt die Story fesselnd und glaubhaft. Zu viele kleine Ungereimtheiten offenbaren sich, zu wenige Theorien werden eingebracht, welche die Geschichte glaubhaft und vor allem abschließend voranbringen. Stattdessen wurde einfach nur Wert auf möglichst viele Actioneinlagen gelegt.

Dieses Feuerwerk hätte sich Paul Christopher ersparen und sein Augenmerk mehr auf die Geschichte selbst richten können, vielleicht wäre dann „Luzifers Testament“ zu empfehlen gewesen.

_Der Autor_

Paul Christopher ist Professor für die Geschichte des 20. Jahrhunderts an einer der großen Universitäten in Amerika. Zur Thematik Fälscherei und Kunstraub u. a. in Europa während des Zweiten Weltkrieges hat er einige wichtige Fachbücher veröffentlicht. Zu diesen Themen hält er weltweit Vorträge und ist Berater der UNO sowie Berater einer auf Kunstraub spezialisierten Sondereinheit der New Yorker Polizei. Zurzeit lebt er in den Vereinigten Staaten und in Europa.

http://www.heyne.de

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