Arthur C. Clarke / Stephen Baxter – Sonnensturm (Zeit-Odyssee 2)

Der Todeskuss des Sonnengotts

Man schreibt den 9. Juni 2037. Die UN-Soldatin Bisesa Dutt ist gerade von ihrem Abenteuer in der parallelen Patchwork-Welt |Mir| (in „Die Zeit-Odyssee“) zurückgekehrt, da flackert der Himmel über dem tropisch warmen London unheilvoll auf. Ein überraschend heftiger Sonnenausbruch überschüttet die Erde mit elektromagnetischen Strahlungspartikeln: ein Sonnensturm. Das irdische Magnetfeld gerät schwer ins Schwanken. Der Funkverkehr bricht zusammen, Satelliten versagen ebenso wie Stromnetze. Weltweit.

Da registrieren Wissenschaftler auf dem Mond in der Tiefe der Sonne ein Pulsieren, das sich mit jeder Drehung des Erdsterns steigert und in einem verheerenden Strahlenausbruch gipfeln wird. Das Ende der Welt ist in der Tat nahe: am 20. April 2042. Noch erschreckender ist indes die Entdeckung, dass dieses Pulsieren keineswegs eine natürliche Ursache hat …

„Sonnensturm“ ist die direkte Fortsetzung zu „Die Zeit-Odyssee„. Der Abschlussband der Trilogie trägt den Titel „Wächter„.

Die Autoren

Arthur C. Clarke, geboren 1917 in England, lebt seit den fünfziger Jahren in Sri Lanka. Seine besten und bekanntesten Werke sind „Die letzte Generation“ (Childhood’s End) und „2001 – Odyssee im Weltraum“. Ebenfalls empfehlenswert ist der Startband des RAMA-Zyklus: „Rendezvous mit 31/149“ (Rendezvous with Rama), von dem Morgan Freemans Filmproduktionsfirma seit Jahren eine Verfilmung vorbereitet. Übrigens erfand der Ingenieur Clarke schon 1947 das Konzept eines künstlichen Satelliten.

Sein Landsmann Stephen Baxter, geboren 1957, wuchs in Liverpool auf, studierte Mathematik und Astronomie und widmete sich dann ganz dem Schreiben. Mittlerweile zählt er zu den bedeutendsten Autoren naturwissenschaftlich-technisch orientierter Science-Fiction. Baxter lebt und arbeitet in der englischen Grafschaft Buckinghamshire.

Seine Bücher werden häufig mit den Pionierwerken von Heinlein und Asimov verglichen. Das ist auch ganz in Ordnung, doch hat er keine Sympathien für Heinleins militaristische und libertäre Tendenzen und dessen Neigung zu dozieren. Ich sehe ihn daher vielmehr in der Nähe zu einem anderen Superstar des Genres: zu Arthur C. Clarke. Mit dem Autor von „2001 – Odyssee im Weltraum“ kooperierte Baxter schon mehrmals, so etwa in „Das Licht ferner Tage“. In dieser Tradition popularisiert Baxter Ideen der Science-Fiction und der Naturwissenschaft. Hierzu gehört wohl auch seine Roman-Trilogie über Mammuts und ein Roman mit dem selbsterklärenden Titel „Evolution„.

Aber Baxter war zu Beginn seiner Autorenlaufbahn auch richtig anspruchsvoll. Sein mehrbändiger XEELEE-Zyklus stellt eine eigene Future-History dar, in der eine Galaxien umspannende Alienkultur, die Xeelee, mit den Menschen in Kontakt tritt. Sie treten in „Exultant“ wieder auf, dem zweiten Band seiner Trilogie „Destiny’s Children“.

Handlung

Man schreibt den 9. Juni 2037. Bisesa Dutt ist gerade von ihrem Abenteuer in der Patchwork-Welt |Mir| zurückgekehrt, da flackert der Himmel über dem tropisch warmen London unheilvoll auf. Ein überraschend heftiger Sonnenausbruch überschüttet die Erde mit elektromagnetischen Strahlungspartikeln: ein Sonnensturm. Das irdische Magnetfeld gerät schwer ins Schwanken. Der Funkverkehr bricht zusammen, Satelliten versagen ebenso wie Stromnetze. Weltweit.

Doch Bisesa kann erst einmal gar nichts deswegen unternehmen außer sich um ihre achtjährige Tochter Myra zu kümmern und sich in Brot und Lohn zu halten. Sie ist von der UN-Army beurlaubt. Doch wie stellt sie es an, ihren Vorgesetzten eine so unglaubliche Sache wie die Patchwork-Welt |Mir| und ihre Begegnung mit den Aliens, den „Erstgeborenen“, beizubringen? Vor iihr liegt eine mühselige Arbeit. Immerhin spricht für ihre Story, dass ihr Körper fünf Jahre älter sein müsste, als sie es tatsächlich ist …

Die Verwaltung der Stadt London wendet sich ausgerechnet an die königliche Astronomin Siobhan McGorran, um zu erfahren, was sie unternehmen soll. Siobhan ist völlig überfragt, denn sie hat sich bislang nur mit makrokosmischen Phänomenen wie dem Urknall beschäftigt. Und jetzt soll sie ihrer Heimatstadt sagen, wie sie die Folgen des Sonnensturms bewältigen kann?

Aber Siobhan hat einen guten Ruf (und Job) zu verlieren, fragt ihren Kollegen Toby Pitt um Rat – und fügt sich in ihr Schicksal. Da trifft eine Hiobsbotschaft vom Mond ein. Der Astrophysiker Eugene Mangles sagt voraus, dass es in naher Zukunft einen weiteren Sonnensturm geben werde. Siobhan fliegt hin und lässt sich unterrichten, was es damit auf sich hat.

Folgendes lässt sich Eugene aus der Nase ziehen und für Normalsterbliche übersetzen: In der Sonne vollzieht sich eine verhängnisvolle Entwicklung, die dazu führen wird, dass es einen weiteren Sonnensturm geben wird. Dieser Sonnensturm wird das Ende des Lebens auf der Erde bedeuten, einfach ausgedrückt. Und zwar genau am 20. April 2042.

Dieses Datum wird selbstverständlich supergeheim gehalten, denn schon eine kleine Panik könnte verheerende Folgen für die Wirtschaft der Erde haben. Natürlich muss Siobhan als Vermittlerin zwischen Wissenschaft und Verwaltung die Regierenden darüber aufklären – und auch an ihre eigene Tochter Perdita denken. Wie aber ließe sich das Ende der Welt unter einem Sturm aus harter Strahlung, Licht und Materie verhindern?

Jemand hat eine geniale Idee. Man kann einen Schild bauen, der sich an einem Punkt schwerkraftmäßigen Gleichgewichts zwischen Erde und Sonne „aufhängen“ lässt, um mit seinem Material – superdünner Metallfolie – das verheerende Licht und einen Großteil der Materie abzuhalten. Der Schild müsste einen Durchmesser so groß wie die Erde haben: 13.000 Kilometer. Doch wer soll ihn bauen, und geht das überhaupt so schnell, dass er bis zum D-Day fertig wird? Die Chinesen sagen von Anfang „nein“ zur Teilnahme an diesem Riesenprojekt, scheinen aber irgendetwas Eigenes vorzuhaben. Die restliche Welt einigt sich unter Führung der USA und der eurasischen Union.

Endlich gelingt es Bisesa Dutt, einen Termin bei Siobhan zu erhalten. Bisesa ist nämlich von den „Erstgeborenen“ eine optische Vision des D-Day zuteil geworden: eine Sonnenfinsternis an genau diesem Tag. Wie konnten die Außerirdischen davon wissen? Die Antwort liegt auf der Hand: Sie haben das katastrophale Sonnenereignis selbst in Gang gesetzt.

Siobhan reagiert sofort und lässt Eugene nach einem Ereignis zu einem Zeitpunkt in der Vergangenheit suchen, als ein Himmelskörper die Sonne traf. Er wird im Jahr 4 nach Christus fündig. Ein Planet von mehrfacher Jupitergröße müsste in die Sonne eingeschlagen sein und deren Kern erreicht haben. Die in Gang gesetzten Veränderungen würden jetzt, über 2000 Erdjahre später, zur Katastrophe führen. Doch der Clou kommt erst noch. Dieser Planet fiel nicht in die Sonne – er wurde geschossen: der Stern von Bethlehem …

Was bezwecken die „Erstgeborenen“ mit dem Tod der Menschheit, den der „Sonnenkiller“ auslösen wird? Wird es gelingen, den Schild rechtzeitig fertig zu stellen und falls ja, wird das filigrane Gebilde dem Sturm standhalten und das Schlimmste verhindern?

Mein Eindruck

Arthur C. Clarkes Werk musste offensichtlich beim dieses Romans als Steinbruch herhalten. Wie das Nachwort der Autoren andeutet, hat man zwar auf wissenschaftliche Vorarbeiten zurückgegriffen, aber etliche Ideen hat Clarke schon in Romanen und Erzählungen verbraten. Den Massetreiber (ein Kozept von 1950) aus Kap. 19 findet man in seinen Mondromanen wie z. B. „Erdlicht“ und den Sternenaufzug Skylift in seinem Roman „Fountains of Paradise“ aus dem Jahr 1979. Dass der Stern von Bethlehem in Wahrheit eine Art Supernova war, liest man schon in seiner alten Geschichte „The Star“, die erstmals im November 1955 abgedruckt wurde.

Dass man Sonnenlicht mit Hilfe riesiger Spiegel in der Erdumlaufbahn zur Erde hin- statt weglenken könnte, schlug der Deutsche Hermann Oberth 1929 in seinem Buch „Wege zur Raumschiffahrt“ vor. Die Autoren verbeugen sich quasi vor diesem Pionier. In den 1970er und und nach dem Jahr 2000 erfolgten offenbar weitere Überlegungen, was mit dem unerschöpflichen Energiefluss von unserem Zentralgestirn anzufangen wäre.

Dass die russische Raumfahrt heliozentrisch denkt und arbeitet, ist eine für mich überraschende Neuigkeit, aber offenbar hat schon der Vater der Kosmonautik, Ziolkowski, in diesen Bahnen gedacht. Wie man sich das vorzustellen hat, erläutern die Autoren in einem kurzen gesonderten Kapitel. Dass die Chinesen weder an russischen noch an amerikanischen Anstrengungen teilnehmen würden, wie sie es ihm Buch tun, erscheint auch heute schon wahrscheinlich. Die Taikonauten unternehmen Raumflüge innerhalb eines geheim gehaltenen Raumfahrtprogramms. Über dessen Ziele kann man nur spekulieren, und das erlauben sich die Autoren: Die Chinamänner planen die Kolonisierung des Mars.

Die Vorstellung von „Erstgeborenen“ ist eine direkte Übernahme aus „2001 – Odyssee im Weltraum“. Die dortigen Monolithen sind eine Kombination aus Wach- und Sendeposten („The Sentinel“, 1950, heißt die ursprüngliche Story) und Dimensionstor, was in Clarkes Fortsetzungsroman „2010“ noch deutlicher dargestellt wird. In „Die Zeit-Odyssee“ reist die Hauptfigur nicht zum Jupiter (im Film) oder Saturn (im Buch), sondern zu einer Parallelwelt namens Mir. „Sonnensturm“ bildet die direkte Fortsetzung dazu, und die Soldatin Bisesa Dutt ist das Bindeglied.

Ideenliteratur

Arthur C. Clarke war nie für mitreißende Action in seinen Werken bekannt. Er ist von Haus aus Ingenieur (Satelliten, Masseschleudern usw.) und ein Mann, der Ideen in Prosaform gießen kann. Daher sind auch seine Figuren oftmals relativ blutleer, weil sie pure Ideenträger sind. Stephen Baxter konnte bislang zwar ebenfalls mit großen Ideenromanen („Ring“, „Flux“, der gesamte Xeelee-Zyklus) auf sich aufmerksam machen, doch seit einem halben Dutzend Jahren konzentriert er sich auf Actionaspekte seiner Romane und gibt sich Mühe, seine Figuren mit Leben oder doch wenigstens einer eigenen Geschichte zu erfüllen.

Katastrophenroman

Siobhan McGorran, ihr Freund Bud Tooke, Bisesa Dutt, ihre Tochter sowie ein halbes Dutzend weiterer Figuren – selbst auf Luna und Mars – treiben die Handlung voran. Die Katastrophe des Sonnensturm erfordert gute 70 Seiten, um sie angemessen zu schildern. Sie dauert immerhin rund 24 Stunden an, mit einem Nachschlag. Wir stehen aber nicht als unbeteiligte Zuschauer in weiter Entfernung – sind ja keine „Erstgeborenen“ – , sondern sind ganz dicht dran am Erleben dieser Hauptfiguren. Wir lesen Szenen aus der Mitte der zusammenbrechenden Londoner Schutzkuppel, aus dem Zentrum des schwächer werdenden Sonnenspiegels, erleben die sich zuspitzende Lage auf dem fernen Mars.

Sense of wonder

Und mit diesen Figuren nehmen wir teil an den Wundern, die sich dennoch ereignen. Denn „hier wächst das Rettende auch“, wie Hölderlin sagt. Auf dem Mars gibt es aufgrund des schmelzenden Wassereises den ersten Frühling seit einer Milliarde Jahren. Und selbst das Wasser in den Saturnringen und auf den Jupitermonden schmilzt. Und die drei Künstlichen Intelligenzen, die den Menschen geholfen haben, unternehmen eine heroische Anstrengung, ihre Schützlinge zu retten – und einen Ausflug zu einem anderen Stern.

Die Übersetzung

Martin Gilbert ist eine sehr gut lesbare Übertragung des Originals gelungen. Er schreckt auch vor umgangssprachlichen Ausdrücken („doof“, „Umptata“ usw.) nicht zurück, was auf ein ausgeprägtes Sprachgefühl schließen lässt. Allerdings haben sich auch ein paar Druck- und Flüchtigkeitsfehler eingeschlichen. Auf Seite 313 ist vom Sternbild „Opiuchus“ die Rede. Erstens heißt es korrekt „Ophiuchus“ und zweitens hätte man den lateinisch-griechischen Namen übersetzen können.

Auf Seite 333 findet sich ein Beispiel für einen Flüchtigkeitsfehler: ein unvollständiger Satz. „… Palast, der nur für ein paar Jahrzehnte bewohnt und dann für Jahrhunderte im Dschungel vergessen worden.“ Preisfrage: Welches wichtige Wörtchen fehlt am Schluss dieses Satzes?

Unterm Strich

Der Roman lässt sich für SF-Kenner sehr leicht lesen und bietet selbst dem technisch-wissenschaftlichen Laien nur wenig Verständnisschwierigkeiten. Das bedeutet nicht, dass die Autoren nur Pippifax-Konzepte aufgreifen und darstellen. Ganz im Gegenteil. Die Beschreibung der ungeheuren chemischen und elektromagnetischen Abläufe im Innern der Sonne ist anspruchsvoll, aber notwendig für das Verständnis, warum der Sonnensturm überhaupt und dann ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt entstehen kann.

Wenn Eugene Mangels mit seinem Kauderwelsch loslegt, fällt man ihm gleich ins Wort und zwingt ihn, sich allgemeinverständlich auszudrücken. Oder sein Freund Michail Martynov „übersetzt“. Die Abläufe werden häufig bildhaft dargestellt und können im Gedächtnis haften bleiben. Man könnte in fünf bis zehn Jahren einen schönen Katastrophenfilm daraus machen.

Ich habe den Roman gerne gelesen und kann ihn auch SF-Einsteigern empfehlen. Wer aber Hard-SF-Kost à la Benford, Bear und Brin gewöhnt ist, wird sich reichlich unterfordert fühlen. Zum Glück schreiben die genannten Herrschaften immer noch. Für Nachschub ist also gesorgt.

Taschenbuch: 415 Seiten
Originaltitel: Sunstorm, 2005
Aus dem Englischen übersetzt von Martin Gilbert
ISBN-13: 9783453521254

www.heyne.de

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