Colfer, Eoin – Cosmo Hill: Der Supernaturalist

Wenn man den Autor Eoin Colfer mit einem seiner Werke verbindet, dann ist es zwangsläufig seine „Artemis Fowl“-Reihe, die den irischen Schriftsteller über Nacht zum Bestsellerautor gemacht hat. Wer über den Rand des „Artemis Fowl“-Universums hinausblickt, wird darüber hinaus aber noch andere Romanserien und Einzeltitel aus der Feder des Iren finden, die unbegründeterweise in dessen Schatten stehen. Denn sie kopieren „Artemis Fowl“ nicht, sondern gehen in eine ganz andere Richtung: mal mehr zur Kriminalgeschichte, mal zur Science-Fiction. Dem letzteren Genre ist „Cosmo Hill“ zuzuordnen, der 2004 im Original als „The Supernaturalist“ erschienen ist. Weltraumschlachten oder Außerirdische finden sich im Buch allerdings nicht. Vielmehr geht es um eine düstere Zukunftsvision, in der Anleihen beim Cyberpunk mit einem jugendlichen Abenteuerroman gekoppelt werden.

_Inhalt_

Die Handlung spielt in der Millionenmetropole Satellite City. Der Name ist Programm, denn ein Satellit, von den Straßen aus nicht zu erkennen, steuert einen Großteil des alltäglichen Lebens. Darüber hinaus bestimmen Wolkenkratzer und flimmernde Werbetafeln das Stadtbild. Doch das ist mehr Schein als Sein. Das wird umso deutlicher, je weiter man sich vom Stadtzentrum entfernt und in die heruntergekommenen Außenbezirke gelangt. Hier kontrollieren Jugendbanden die heruntergekommenen Viertel, und wer sich nicht in die Gangs einfügt, darf kaum darauf hoffen, bei einem Überfall oder Angriff auf offener Straße Unterstützung zu erhalten.

Das Leben ist hart und unpersönlich. Wer nicht egoistisch denkt, kommt nicht weit, doch ist es immer gut, auf ein paar wahre Freunde zählen zu können. Nur diese sind rar gesät. Cosmo Hill muss diese soziale Kälte am eigenen Leib erfahren. Er ist ein Sponsorloser, ein Waisenkind, dessen Eltern ihn in einer Kiste in Satellite City zurückgelassen haben, bevor sie die Stadt verließen. Bei ihrem Wunsch nach einem neuen Leben hatte Cosmo keinen Platz. So wächst der Junge im Clarissa-Frayne-Heim auf, einem Heim für Waisenkinder. Von Fürsorge und Erziehung kann aber keine Rede sein. Das Heim finanziert sich nämlich durch Produkttests und verdient nicht schlecht daran, die Kinder als Versuchskaninchen zu missbrauchen. Wer sich gegen den Missbrauch nicht auflehnt, bekommt immerhin geregelte Mahlzeiten und hat ein Dach über dem Kopf. Das reicht den meisten Waisen, um stillzuhalten. Cosmo hat, mittlerweile 14 Jahre alt, allerdings genug von auf der Haut ätzenden Kosmetikprodukten und Nahrungsmitteln, die innere Blutungen hervorrufen. Um noch seinen nächsten Geburtstag mitzuerleben, fasst er den Plan, bei der nächsten Gelegenheit die Flucht zu ergreifen. Und er hat Glück, denn diese ergibt sich schon bald.

Bei einem routinemäßigen Transport mehrerer Sponsorlosen durch Satellite City versagt plötzlich die automatische Steuerung des Wagens. Die Verbindung zum Satellit ist unterbrochen, das Chaos vorprogrammiert. Der Bus mit den Kindern kommt von der Straße ab und kracht mitten in einen Häuserblock. Obwohl durch den Unfall verletzt, zögert Cosmo nicht lange und sucht zusammen mit seinem Freund Ziplock das Weite. Dicht auf ihren Fersen ist jedoch der Aufseher Redwood, der sich die Flucht zweier Kinder nicht erlauben kann. Mittels elektronischer Sensoren, die in der Haut der Sponsorlosen stecken, verfolgt er die Kinder. Doch eine waghalsige Aktion über den Dächern der Stadt und ein damit verbundener Kurzschluss der Peilsender bringt die ersehnte Freiheit. Allerdings nur für Cosmo, denn sein Freund stirbt bei der waghalsigen Aktion.

Viel Zeit zum Trauern bleibt Cosmo nicht. Während er, erschöpft und mittlerweile noch stärker verletzt, ein eigenartiges blaues Wesen auf seinen Körper erscheinen sieht, das an seinen Wunden zu saugen beginnt, taucht eine Gruppe Jugendlicher auf, die das Wesen vertreibt und, während Cosmo verwirrt von dem blauen Wesen spricht, sich seiner annimmt. Wenig später stellen sich seine Retter vor: Stefan, der achtzehnjährige Anführer, die südländische Mona und der kleinwüchsige Dito, der mit den Folgen eines misslungenen Experiments leben muss. Die drei nennen sich die Supernaturalisten, und was sie verbindet, ist die Gabe des Sehens, denn nur sie können die blauen Wesen wahrnehmen – für alle anderen Menschen sind diese unsichtbar. In jeder Nacht streifen diese Parasiten durch die Straßen und saugen Verletzten oder Kranken ihre Lebensenergie aus. Die Supernaturalisten konnten Cosmo vor diesen Parasiten mit Elektroschockern retten, und da Cosmo das Wesen auch sehen konnte, darf er sich von nun an zu dem kleinen Kreis der Auserwählten zählen.

So sieht sich Cosmo jeden Abend mit heiklen Aufträgen konfrontiert, bei denen die Supernaturalisten zum Wohle der Bürger die Parasiten jagen. Leider dankt es ihnen keiner; vielmehr werden sie als wahnsinnige Jugendliche tituliert, die sinnlos durch die Gegend ballern. Und eine weitere Tatsache schmälert die Motivation ihrer aufopferungsvollen Taten: Egal, wie viele sie von den Parasiten auch vernichten, es kommen immer mehr. Bei einem fast routinemäßigen Einsatz eskaliert die Situation schließlich. Die Supernaturalisten geraten in die Fänge der |Myishi Corporation|, eines skrupellosen Unternehmens, das seine eigene Spezialpolizei unterhält. Cosmo und Stefan können mit Ellen Faustino, der Leiterin einer Unterabteilung, verhandeln und Wissenswertes über die Parasiten in Erfahrung bringen. Doch sie bemerken erst zu spät, dass ihnen Ellen Faustino keineswegs nur aus Nächstenliebe hilft, sondern auf ihren eigenen Vorteil pocht. Und dieser sieht keinen Fortbestand der Supernaturalisten vor.

_Bewertung_

Obwohl, vor allem ausgelöst durch eine Besprechung in der |Times|, „Cosmo Hill“ als Mischung zwischen [„Blade Runner“ 1663 und „Oliver Twist“ bezeichnet wird, ist eine literarische Kategorisierung zu eng gefasst. Zu wenig wird dabei nämlich bedacht, mit welch grandiosen Ideen Eoin Colfer hier vorgegangen ist. Ohne Frage findet sich eine Vielzahl von Verweisen auf die erwähnten Referenzen, vor allem die düsteren Cyberpunk-Elementen lassen Ridley Scotts filmisches Meisterwerk während der Lektüre vor den Augen entstehen. Doch Colfer geht keineswegs so vor, die besten Szenen zu kopieren und neu zu verwerten. Vielmehr liefert er einen eigenständigen, beachtenswerten Beitrag, indem er mit Satellite City eine moderne Form der stilisierten Mega-Großstadt erschaffen hat, eine Stadt, wie sie aus heutiger Sicht und unter Berücksichtigung aktueller Entwicklungen theoretisch denkbar wäre. Facetten des Überwachungsstaats, Umweltprobleme, die Macht riesiger Konzerne und Schwierigkeiten einer generell gefühlslosen und kalten Gesellschaft kommen im Roman immer wieder zum Vorschein. Das vermittelt ein schauerliches, aber plastisches Bild der Welt von „Cosmo Hill“.

Trotz allem ist der Roman aber ein Jugendbuch, weil er sich eine leichte Sprache bewahrt und auch für die junge Generation flüssig zu lesen ist. Zudem vermeidet Eoin Colfer den moralischen Zeigefinger und überlässt es dem Leser zu entscheiden, welche Schlüsse er ziehen will. In Nebensätzen gibt er zwar seine Ansichten zu verstehen, wer möchte, kann den Roman aber problemlos als spannende Unterhaltungslektüre lesen. Denn die leichte Sprache und die äußerst sympathisch und glaubhaft dargestellten Hauptfiguren, die trotz ihrer nicht immer ganz sauberen Methoden liebenswert rüberkommen, bieten eine hervorragende Identifikationsbasis. Das ergibt unterm Strich ein kurzweiliges Lesevergnügen in einer grandios umgesetzten düsteren Zukunft, über die jeder selbst urteilen kann.

_Eoin Colfers „Cosmo Hill“_ hat alles, was ein guter Roman benötigt: Eine durchdachte Handlung, überraschende Wendungen, plastische Charaktere und einen Hintergrund, der zum Denken anregt, die Geschichte aber nicht überlagert. Ein Roman für Jung und Alt, der mit gut 300 Seiten lediglich etwas zu kurz geraten ist. Bleibt zu hoffen, dass der Nachfolgeband etwas dicker wird. Dass Eoin Colfer nach Satellite City zurückkehren wird, hat er nämlich bereits verlauten lassen.

|Originaltitel: The Supernaturalist
Aus dem Englischen von Karl-Heinz Ebnet
352 Seiten, gebunden|
http://www.cosmo-hill.de
http://www.ullsteinbuchverlage.de

_Eoin Colfer auf |Buchwurm.info|:_

[„Artemis Fowl“ 172
[„Artemis Fowl – Die Verschwörung“ 180
[„Artemis Fowl – Der Geheimcode“ 569
[„Artemis Fowl – Die Rache“ 1279
[„Artemis Fowl – Die verlorene Kolonie“ 4025
[„Artemis Fowl – Die Akte“ 3135
[„Fletcher Moon, Privatdetektiv“ 4463
[„Meg Finn und die Liste der vier Wünsche“ 742

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