Den TATORT kennt heute selbst jedes Kind. Kaum ein Format kann auf eine längere und erfolgreichere Geschichte im deutschen Fernsehen zurück blicken als die legendäre Krimi-Serie der ARD. Nun zündete man eine weitere Stufe der Vermarktung. Die beliebtesten Kommissare bzw. Ermittlungsteams gehen nun auch in Buchform auf Verbrecherjagd. Als Vorlage dienen – derzeit zumindest – bereits im TV ausgestrahlte Fälle. Die jeweils etwa 160 Seiten starken Bücher erscheinen seit Ende September 2009 als Broschur bei |Emons| und kosten 8,95 Euro pro Band. „Aus der Traum“ ist der erste gemeinsame Fall des neuen Saarbrücker Duos Kappl/Deininger und gehört zur ersten Tranche der Veröffentlichungen.
_ Zur Story_
Nach dem Ausscheiden von Max Palu hofft Stefan Deininger, die Rolle der ewigen zweiten Geige abzulegen und aus dem Schatten seines alten Chefs treten zu können. Endlich als Hauptkommissar die Leitung der Saarbrücker Mordkommission, das „K1“, übernehmen – die diesbezügliche Ernennung scheint nur reine Formsache. Deininger weiß schließlich, wie die Dinge an der Saar immer gehandhabt werden. Doch was er nicht ahnt: Die Planstelle wurde bereits an jemand anderen vergeben. HK Franz Kappl nämlich, der sich von Bayern hierher hat versetzen lassen, platzt auch passender Weise gleich in die Geburtstagsfeier, bei welcher auch auf Deiningers vermeintlichen Beförderung und Amtsübernahme angestoßen werden soll. Pustekuchen.
Der sonst eher phlegmatische „Stefansche“ schäumt. Ausgerechnet ein Bayer! Als dann Kollegin Kathi, auf die er ein Auge geworfen hat, von drei Kugeln tödlich getroffen in ihrer Wohnung aufgefunden wird, scheint sich endgültig alles gegen ihn verschworen zu haben. Zumal sich recht schnell herausstellt, dass die junge Polizistin zwei Gesichter hatte. Kappl bemüht sich derweil, die Eiszeit zwischen ihnen abzumildern, stößt aber zumeist auf Nickeligkeit und Starrsinn. Außer mit Deininger kämpft er nicht minder mit der hiesigen Mentalität und Gepflogenheiten. Überhaupt scheint das gesamte Saarbrücker K1 seinen Ansichten bezüglich moderner Ermittlungsmethoden gegenüber grundsätzlich erst einmal skeptisch eingestellt zu sein. Ein leichter Start sieht sicher anders aus.
_Eindrücke_
Der Saarbrücker Tatort war schon immer etwas – nennen wir es mal wertungsfrei „eigenwillig“. An der Figur, welche ihm bis dato genau dieses Gesicht verschafft hat, schieden sich Geister, die einen mochten den zuweilen schrägen Vogel Max Palu (übrigens: zwar gesprochen „Palü“, jedoch – wie im Roman mehrfach irrtümlich – ohne Umlaut geschrieben). Nun ist jener allerdings raus aus dem Polizeidienst und sein langjähriger, stets etwas pennälerhaft wirkender Assistent steht parat, die Fackel weiter zu tragen. Kein leichtes Erbe. Und doch: Endlich gewinnt der sonst so farblose Deininger wesentlich mehr Kontur und Biss. Im TV wird das allein schon mit geänderter Haar- und Barttracht signalisiert.
Im Buch geht das aus nachvollziehbaren Gründen natürlich schlecht. Da muss das geschriebene Wort visuelle Eindrücke sowie Gestik und Mimik kompensieren. Das haut hier auch ganz gut hin. Es werden die Begleitumstände humorig kurz angerissen und verdeutlicht, was Deininger so antreibt und in welchem Dilemma er steckt. Humor ist ein gutes Stichwort. Hüben wie drüben lebt der „neue“ Saarbrücker Tatort in erster Linie von der selbstironischen Darstellung der saarländischen Lebensart, Kultur und Sprache – wobei der weltoffene, Tuba spielende Bayer mit seinen amerikanischen Ermittlungsmethoden logischerweise das volle Kontrastprogramm bietet.
Herzerfrischend sind dann die zunächst großen, dann aber immer kleiner werdenden Hahnenkämpfe der beiden MoKo-Leithammel. Dazwischen stehen die Figuren, welche man zum Teil ebenfalls – und glücklicherweise – mitgenommen hat: Spurensicherer Horst Jordan und Innendienst-Urgestein Gerda Braun. Erfüllte sie unter Palu noch fast ausschließlich den Part des mundartlichen comical-relief, so bekommt sie neuerdings wesentlich mehr aktive Funktionen zugesprochen. Ebenfalls neu dabei ist die junge Gerichtsmedizinerin Dr. Resa Singh, auf welche Kappl sofort ein Auge geworfen hat. Diese Sympathie wird auch erwidert, selbstredend wiederum erst einmal zum Leidwesen Deiningers.
Bei soviel Charakteraufbau und Figurenmodifikation für’s neue Team gerät der eigentliche Fall schon fast zur Nebensache. Wobei dieser durchaus nicht leicht zu knacken ist, einige dubiose Gestalten, unerwartete Wendungen und Querverbindungen parat hält, mit denen man so nicht gerechnet hat. Und hinterher war’s vielleicht doch jemand ganz anderes? Es bleibt auf jeden Fall bis zum Ende hin spannend. Das Einzige, was man nicht ganz vom Drehbuch in die Textform retten konnte, ist die versöhnliche Schluss-Pointe. Während diese den Zuschauer im Fernsehen recht unerwartet trifft, kündigt sie sich hier schon vorher an bzw. hat eine leicht alterierende Grundstimmung. Nicht immer ist ein Buch der Verfilmung überlegen.
_Fazit_
Wer die Saarbrücker Tatorte bislang nicht mochte, wird überrascht sein. Das neue, zumeist junge Team ist gefällig, hat selbstironischen Witz und versprüht Esprit. „Eigenwillig“ ist man immer noch, nun aber definitiv im positiven Sinne. Martin Conrath hat die Umsetzung zum Roman in nahezu allen Disziplinen exzellent hinbekommen – die Story macht sicher auch Leuten Freude, welche die TV-Folge (noch) nicht kennen. Man darf hoffen, dass das unterhaltsame Duo Kappl/Deininger, nach einigen sehr sehenswerten Episoden im Fernsehen, bald auch vermehrt den Weg in die Bücherregale finden wird.
|Begleitbuch zur gleichnamigen ARD-Serie „Tatort“
Nach einem Drehbuch von Fred und Léonie-Claire Breinersdorfer
ISBN: 978-3-89705-661-9
176 Seiten, Broschur|
http://www.emons-verlag.de/
_TATORT beim Buchwurm:_
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