Cook, Dawn – erste Wahrheit, Die (Truth 1)

_Alissa ist ein einfaches Bauernmädchen_ aus den Hügeln. Zumindest glaubte sie das, bis zu dem Tag, an dem ihre Mutter sie regelrecht aus dem Haus wirft. Widerwillig macht Alissa sich auf den Weg zu jener sagenhaften Feste, von der ihr Vater so viel erzählt hat, die ihrer Überzeugung nach aber nur eine Legende ist.

Strell dagegen ist auf dem Weg nach Osten, zurück in die Wüsten des Tieflandes, wo seine Familie lebt. Oder besser, wo seine Familie lebte, ehe alle ihre Mitglieder in einer Naturkatastrophe umkamen. Als Strell davon erfährt, macht er auf dem Absatz kehrt und flüchtet zurück in die Richtung, aus der er gekommen ist.

… wo er nach kurzer Zeit auf ein junges Bauernmädchen trifft, das ebenfalls nach Westen wandert. Zankend und grollend und nicht ohne Schwierigkeiten raufen sie sich zu so etwas Ähnlichem wie einem Gespann zusammen. Aber ob diese Verbindung einer ernsthaften Belastung standhält …?

_Der erste Band_ aus Dawn Cooks Truth-Zyklus wird allein von vier Personen getragen. Da wäre zunächst Alissa: jung, stur, jähzornig und absolut sicher, dass es keine Magie auf der Welt gibt. Ihr einziger Freund ist ein kleiner Buntfalke, denn die Menschen in ihrer Umgebung lehnen sie ab, weil sie ein Halbblut ist. Sie hängt sehr an ihrer Mutter, von der sie viele Fertigkeiten gelernt hat, die sonst nur von Tiefländern beherrscht werden.

Strell ist ein solcher Tiefländer, ein wenig mit Vorurteilen behaftet, aber im Grunde gutmütig, anpassungsfähig und humorvoll. Ungewöhnlicherweise hat er nicht das Handwerk seiner Familie erlernt und ist Töpfer geworden, sondern seine Eltern haben ihn auf die Reise geschickt, zusammen mit der kostbaren Flöte seines Großvaters, um Barde zu werden. Tatsächlich ist Strell nicht nur musikalisch begabt, sondern auch ein sehr guter Geschichtenerzähler und Schauspieler.

Bailic, den letzten Bewohner der Feste, kann Strell allerdings nur teilweise täuschen. Bailic ist nicht nur wahnsinnig, er ist außerdem schlau, hinterlistig und skrupellos. Die beiden jungen Leute, die da so unerwartet vor den Toren der Feste erschienen sind, betrachtet er halb als amüsantes Spielzeug, halb als Mittel zum Zweck, denn Bailic sucht ein verborgenes Buch, und einer der beiden Besucher besitzt verborgene Magie. Magie, die Bailic an das ersehnte Ziel führen könnte …

Schade für Bailic, dass er unter der Feste einen Gefangenen sitzen hat, dessen Macht die Bailics bei weitem übersteigt. Trotz des Bannes, der das Gefängnis versiegelt, mischt sich dieser Gefangene nur allzu eifrig in die Ereignisse ein, soweit seine Möglichkeiten dies gestatten. Die sind zwar äußerst begrenzt, aber immer noch besser als nichts …

_Tatsächlich ist es so_, das diese vier Figuren vollkommen ausreichen, um die gesamte Geschichte auszufüllen. Zwar sind der Typus des irren Bösewichts mit der Machtgier und dem verletzten Stolz sowie des mächtigen Magiermeisters und weisen Lehrers nicht gerade neu, der Autorin ist es jedoch gelungen, sie ein Stück aus dem reinen Typus herauszuheben und mit einem eigenen Profil auszustatten. Bailic bleibt durch seine frühere Verbindung mit Alissas Vater ein Funke Menschlichkeit erhalten, während der Magier einen gewissen Sinn für Humor sein Eigen nennt, der ihn zu mehr macht als einem trockenen Gelehrten. Den Rest gleichen Alissa und Strell und ihr Geplänkel problemlos aus.

Ein großer Teil der Handlung lebt von diesem Geplänkel. Denn während ihrer Wanderung bis zur Feste sind Strell und Alissa allein miteinander. Die Autorin nutzt diese Zeit ausgiebig für den Entwurf ihrer Welt. Nicht, dass sie dabei übermäßig ins Detail gegangen wäre. Aber in den Gesprächen und auch Gedanken der beiden entwickelt sich mit der Zeit ein deutliches Bild zweier unterschiedlicher Kulturen, die sich gegenseitig mit Verachtung begegnen, aber dennoch aufeinander angewiesen sind.

Ackerbau und Viehzucht sind in der Wüste nicht möglich, deshalb sind die Tiefländer gezwungen, bei den Hochländern Lebensmittel einzutauschen. Als Tauschware bieten sie ihre Handwerkserzeugnisse an. Ihre Kultur beruht auf Kunstfertigkeit und Verhandlungsgeschick. Wer diese nicht besitzt, genießt nicht nur wenig Ansehen, er leidet schlicht Hunger. Selbst Heiraten dienen dem Erhalt des eigenen Handwerks.

Im Hochland dagegen ist man vollauf damit beschäftigt, Lebensmittel zu erzeugen. In den Bergen gibt es keine Rohstoffe, die man handwerklich verarbeiten könnte, deshalb sind die Hochländer davon abhängig, dass ihre Ernten groß genug ausfallen, um das, was sie zum Leben brauchen, aber nicht selbst herstellen können – wie zum Beispiel Stoffe oder Töpferwaren – bei den Tiefländern einzutauschen.

Die kulturellen Unterschiede führen zu ständigen Reibereien. So gilt es bei den Tiefländern als absolut schamlos, seine nackten Füße zu zeigen, während die Bauern häufig barfuß laufen. Die Hochländer schneiden sich das Haar aus praktischen Erwägungen kurz, im Tiefland dagegen zeigt die Haarlänge den Status eines Menschen an. Nicht einmal Bettler würden ihr Haar so weit abschneiden … Die Missverständnisse, Streitereien und komischen Situationen, die sich daraus ergeben, sind ausgesprochen lebensnah und unterhaltsam.

Ein Teil davon rettet sich bis in den zweiten Abschnitt der Handlung, als Alissa und Strell die Feste erreichen, tritt aber verstärkt in den Hintergrund. Ein großer Teil der Stimmung wird jetzt von Bailic getragen, der sich ein wenig wie die Hexe im Knusperhäuschen verhält. Er versucht, freundlich zu erscheinen, während Alissa und Strell versuchen, ihre Herkunft zu verheimlichen. Beide Seiten wissen, dass die andere lügt. Und so schleichen sie umeinander herum und belauern sich gegenseitig.

Die Autorin hat es hierbei meisterhaft verstanden, das Ganze auszubalancieren. Bailic ist nicht dumm, dementsprechend findet er schnell heraus, weshalb die beiden zur Feste gekommen sind. Wer von beiden nun die eigentliche Gefahr für ihn ist, bereitet ihm allerdings einiges Kopfzerbrechen. Und tatsächlich ist es so, dass Strell und Alissa hauptsächlich durch Glück und Zufälle der frühzeitigen Entdeckung der Wahrheit durch Bailic entgehen. Und natürlich durch ein wenig Nachhilfe von Nutzlos, wie sich der Gefangene Bailics selbst nennt. Der Leser ist sich nur zu bewusst, dass alles nur eine Frage der Zeit ist.

_Ich muss sagen, ich war wirklich verblüfft_, mit welch geringen Mitteln es diesem Buch gelungen ist, mich zu fesseln. Keine komplexe Handlung mit mehreren Ortswechseln, verschiedenen Zeitebenen oder einer Flut von Parteien, die alle gegeneinander intrigieren. Nur diese beiden Stränge aus Licht und Schatten, aus der Annäherung zweier Kulturen mit all ihren Hindernissen und dem Katz-und-Maus-Spiel mit einem bösartigen Gegner.

Erstaunlich ist auch, mit welch geringem Aufwand die Autorin ihre Welt und ihre Figuren zum Leben erweckt hat. Keine geschliffenen Dialoge, kein intensive Stimmungsmalerei, kaum Details. Dawn Cook schreibt in einem sehr natürlichen, ungezwungenen Stil, nichts wirkt bemüht oder gekünstelt. Die Bedrohung durch Bailic wirkt dadurch nur umso echter und intensiver. Hier waren keine verwirrenden Haken oder überraschenden Wendungen nötig, um Spannung aufzubauen.

Ich fragte mich lediglich, wie es kam, dass Bailic sämtliche Bewohner der Feste nach und nach loswerden konnte, ohne auch nur den geringsten Verdacht zu erwecken. Aber diese Kleinigkeit sei im Hinblick auf den Rest gerne verziehen.

_Dawn Cook_ lebt in den USA und hat nach ihrem Studium in unterschiedlichen Berufen gearbeitet. Seit dem Debüt ihrer |Truth Series| arbeitet sie als Schriftstellerin. Die Bände ihres ersten Zyklus sind bereits alle auf Deutsch erhältlich. Die Autorin schreibt derweil an ihrem zweiten Zyklus |Princess Series|, von dem bisher zwei Bände auf Englisch erschienen sind.

|Originaltitel: The First Truth (Truth 1)
Originalverlag: Ace, 2002
Aus dem Amerikanischen von Katharina Volk
Klappenbroschur, 480 Seiten|
http://www.blanvalet-verlag.de
http://www.dawncook.com

Schreibe einen Kommentar