Cook, Thomas H. – Verhör, Das

Mit „Das Verhör“ hat sich Thomas H. Cook in die absolute Meisterklasse des abgründig düsteren Psychothrillers eingeschrieben, und wer gern Krimis mit dem freundlichen Prädikat „entspannende Unterhaltung“ liest, sollte besser die Finger davon lassen. Eine Ewigkeit ist das her, dass ich einen Krimi tatsächlich(!) nicht mehr aus der Hand legen konnte, z. B. als ich vor Jahren diese Schwäche für Danny Upshaw entwickelte. Danny Upshaw, der direkt aus James Ellroys L.A. der 50er kam (vgl.: „Blutschatten“), ist eine dieser Figuren, die man nicht vergessen kann, ebenso wenig wie die unbehaglichen, ja peinlichen Momente, die mit einer derartigen Lektüre einhergehen: Wenn man nämlich spät nachts anstatt endlich zu schlafen ins Dunkle hineinhorcht und plötzlich unzählige verdächtig knarrende Geräusche im stillen Haus wahrzunehmen glaubt.

Thomas H. Cooks Psychothriller „Das Verhör“ spielt ebenfalls in den 50er Jahren und ist ebenso fesselnd, so cool und düster beängstigend wie ein Ellroy – mit der Garantie, dass Cooks Figuren einen nicht so schnell wieder loslassen werden.

Es sind nur noch 12 Stunden, die der Polizei bleiben, um den Hauptverdächtigen, Albert Jay Smalls, des Mordes an einem achtjährigen Mädchen zu überführen. Gelingt es ihnen in diesen wenigen Stunden nicht, Smalls in einem letzten Verhör zu einem Geständnis zu bewegen, ist der völlig verwahrloste Obdachlose wieder ein freier Mann. Ein Bürger, der sich wieder im Park herumtreiben wird und der mit seiner Vorliebe für kleine Mädchen vielleicht jetzt schon sein nächstes Opfer in Gedanken vor sich sieht. Dem Polizeichef persönlich liegt viel an der Aufklärung des Falles, und so setzt er in dieser letzten Nacht seine besten Leute auf Smalls an, dem, sollte er im regulären Verhör die Tat nicht gestehen, ein Verhör der anderen Art droht. Doch zunächst versucht das eingespielte Team Norman Cohen und Jack Pierce den verschüchterten, schweigenden Verdächtigen, dem seine Schuld auf die Stirn geschrieben zu sein scheint, unter Druck zu setzen. Als dieser in einem unbedachten Moment ein Detail aus seiner Jugend preisgibt, verfolgt Pierce die Spur, die ihn in Smalls Vergangenheit führt, während Cohen das Verhör allein fortsetzt. Ein verzweifelter Wettlauf gegen die Zeit beginnt, bei dem nicht nur der Verdächtige bedrohlich nah an die Grenzen der nervlichen und körperlichen Belastbarkeit stoßen wird.

„Das Verhör“ ist (wie z. B. auch der gleichnamige Film mit Romy Schneider und Lino Ventura – ein Klassiker, der Cook als Vorbild gedient haben mag) ein großartig subtil gezeichnetes Psycho-Kammerspiel. Durch Rückblenden, Nebenschauplätze und einhergehende Handlungsstränge wird es jedoch aufgelockert, so dass die Action durchaus nicht zu kurz kommt. Dennoch sind es die finsteren Strömungen der Seele, die Abgründe der Psyche, die Cook nie aus den Augen verliert. Unterschwellig brodeln sie in jeder der Figuren, und dem Autor gelingt es exzellent, immer wieder das eine Thema der „Fehler und Irrtümer“ in zahlreichen Variationen an seinen ebenso unterschiedlichen wie überaus realistischen Charakteren durchzuspielen. Nach dem zwölfstündigen Verhörmarathon hat sich die ganz persönliche Verzweiflung fast jeder Figur offenbart. Ein Seelenstriptease, der immer neue Fragen aufwirft und der gerade, weil er lediglich mögliche Antworten und Erklärungen aufzeigen kann, im Laufe der Handlung immer spannender wird. Wie grausam und clever aber Cook seine Handlungsstränge wirklich verwoben hat, wird erst auf der letzten Seite deutlich, das ist absolut famos! Der Stil ist eigentlich leicht zu durchschauen: Eine einzige Suggestion ist es, der man sich jedoch nicht entziehen kann und die eine ungeheuer dunkle Atmosphäre schafft. Das Verhör ist äußerst beunruhigend, beklemmend. Es ist aber auch sehr urban, verdammt sexy. Ein absolutes Muss.

© _Anna Veronica Wutschel_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

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