Cornwell, Bernard – Fort, Das

Wenn es um englische Militärgeschichte ist, dann ist Bernard Cornwell in der Regel der Autor, an den man sich vertrauensvoll wenden kann. Er scheint sich in allen Jahrhunderten zu Hause zu fühlen, recherchiert äußerst genau und ist trotzdem in der Lage, seine Romane so mitreißend zu gestalten, dass ein heutiger Leser sich genüsslich in vergangene Zeiten fallen lassen kann. In „Das Fort“ weicht Cornwell jedoch derart von gewohnten schriftstellerischen Pfaden ab, dass man als Leser seine liebe Müh hat, bei der Stange zu bleiben.

Natürlich widmet er sich wieder einem historisch verbürgten Stoff, diesmal allerdings auf dem nordamerikanischen Kontinent zur Zeit des Unabhängigkeitskrieges. „Das Fort“ beschreibt die fast vergessene – da für das amerikanische Heer reichlich peinliche – Penobscot-Expedition. Dort landet im Sommer 1779 ein kleiner englischer Truppenverband, um an der Küste ein englisches Fort (Fort George) zu errichten und damit den englischen Anspruch auf Massachusetts zu betonen. Das können die Amerikaner (Cornwell nennt sie gern „die Aufständischen“) natürlich nicht so auf sich sitzen lassen und so schicken sie eine geradezu riesige Marineflotte los, die die Engländer vertreiben soll. Eigentlich keine unmögliche Aufgabe, denn die Amerikaner sind zahlenmäßig überlegen und das neue Fort George ist gerademal kniehoch und kann somit mit Leichtigkeit überrannt werden. Doch Cornwells Roman käme nicht mit über 600 Seiten daher, wenn die Amerikaner ihre Vorteile zu nutzen wüssten.

Zunächst sieht es für die Aufständischen ganz gut aus. Sie schaffen es, die Küste zu erobern und können so das erste Scharmützel für sich entscheiden. Doch der Befehlshaber der Amerikaner, General Lovell, weiß diesen anfänglichen Schwung und Enthusiasmus nicht zu nutzen. Anstatt sofort einen Angriff auf das immer noch mickrige Fort zu führen, lässt er halten und Gräben ausheben. Dort verschanzen sich die Amerikaner und können sich nicht so recht zu einem weiteren Angriff entschließen. Lovell hätte gern einen gleichzeitigen Angriff zu Wasser und an Land, doch der Befehlshaber der Marine weigert sich vehement gegen diese – wie er meint – unnötige Gefährdung der Schiffe. Gleichzeitig hat Lovell Schwierigkeiten, die Moral seiner Leute aufrecht zu erhalten, denn der größte Teil seiner Truppen besteht aus Miliz – viele der Männer wurden in den Dienst gepresst und tun sich somit nicht mit Heldentaten hervor. All dies gibt den Engländern genug Zeit, ihre Befestung stetig zu erweitern, bis sie tatsächlich als Fort bezeichnet werden kann.

Während der englische Befehlshaber, General McLean, um seine prekäre Lage weiß und bereits plant, wie er sich möglichst ohne große Verluste im Falle eines Angriffs ergeben kann, vertrödeln die Amerikaner wertvolle Zeit mit Diskussionen, wie und warum ein Angriff momentan nicht zum Erfolg führen kann. Schließlich warten sie sogar so lange ab, bis Verstärkung für die Engländer eintrifft … Und hier wendet sich das Blatt dann unwiderruflich.

_“Das Fort“ ist ein klassischer Cornwell_ insoweit, als jede Seite die penible Recherche des Autors atmet. Auch ohne das (sehr aufschlussreiche) Nachwort gelesen zu haben, begreift man bald, dass Cornwell in Vorbereitung auf „Das Fort“ Unmengen an alten Akten, Befehlen, Briefen und Berichten gewälzt haben muss. Herausgekommen ist eine detailreiche Beschreibung der Penobscot-Expedition, allerdings leider auch nicht mehr als das. Denn Cornwell lässt eine spannende Handlung vermissen und entscheidet sich lieber dafür, ein fast objektives Geschichtsbuch zu schreiben.

Die Erzählperspektive wechselt regelmäßig. Mal befindet man sich im Lager der Amerikaner, mal im Lager der Engländer – somit überlässt es Cornwell dem Leser, sich für eine Seite zu entscheiden. Leider führt das auch dazu, dass man mit keiner der historischen Figuren wirklich warm wird. Sicher, ein paar Namen tauchen immer wieder auf und man erfährt zwangsläufig etwas mehr über sie. Doch schließlich sind auch sie nur Figuren auf Cornwells Schachbrett und so bewegt er sie mit Kalkül und ohne jede Emotion. Es gibt also keinen “Helden”, keinen Protagonisten, der den Leser durch die Handlung führen würde. Am ehesten fällt diese Rolle vielleicht dem jungen John Moore zu, der hier seine erste wirkliche Schlacht schlägt. Doch auch ihm widmet Cornwell nicht genügend Platz, um ihn tatsächlich als Protagonisten bezeichnen zu können. Dadurch bleibt bei der Lektüre immer eine gewisse Distanz bestehen, die Cornwell nicht überbrücken kann (oder will). Das führt nicht unbedingt zu Langeweile – das wäre ein zu starkes Wort, schließlich passiert einiges auf diesen 600 Seiten. Doch weder Handlung noch Charaktere berühren je wirklich.

_Sicher, „Das Fort“ fiktionalisiert_ eine historische verbürgte Militäraktion, doch dem Leser erscheint diese Fiktionalisierung minimal. Daher kann man sich nie ganz des Eindrucks erwehren, Cornwell hätte hier ein besonders umfassendes und detailverliebtes Geschichtsbuch geschrieben. Und dieses soll ja in erster Linie ja Fakten vermitteln. Von Unterhaltung ist da keine Rede. Gerade wenn man das umfangreiche Nachwort liest, wird klar, dass es Cornwells vorangiges Motiv war, ein fast vergessenes Stück Geschichte wieder ans Tageslicht zu holen und einige Mythen durch Fakten zu ersetzen. Das gelingt ihm sicherlich. Doch ein wirklich packendes Buch ist dabei nicht herausgekommen.

|Gebunden: 608 Seiten
Originaltitel: The Fort
ISBN-13: 978-3805250276|
[Verlagshomepage]http://www.rowohlt.de/sixcms/list.php?page=ro_fl_verlagsseiten&sv[title]=Wunderlich