Cornwell, Bernard – Stonehenge

Bernard Cornwell kennt und schätzt man als Autor von historischen Romanen. Doch dass er sich so weit in die Vergangenheit vorwagt, so tief in die Geheimnisse der frühen Menschheitsgeschichte eintaucht, das kennt man auch von ihm nicht. Denn wie schon der Titel seines Romans „Stonehenge“ vermuten lässt, befasst er sich hier mit einem der beeindruckendsten Beispiele frühester Baukunst. Wie ist dieser Steinkreis entstanden? Und vor allem warum? Wirklich abschließende Antworten wird es auf diese brennenden Fragen wohl nie geben. Allerdings wird eines immer wahr bleiben: Der Anblick von Stonehenge beflügelt die Fantasie. Und wer sollte mehr davon profitieren als ein Schriftsteller?

So ist natürlich klar, dass in diesem Roman alle handelnden Figuren (inklusive der sie treibenden Motive) frei erfunden sind und Cornwell ein Spiel im Sinne „Was wäre, wenn …“ betreibt. Trotzdem hat er natürlich – wie immer – fleißig recherchiert, gerade was Theorien zu Stonehenges Sinn und Zweck und eventuelle Baumethoden angeht. Das ist nur logisch, schließlich braucht er dieses Wissen, um seine fiktive Stonehenge-Theorie aufzustellen.

_Im Zentrum der Geschichte_ stehen drei Brüder: Lengar soll sich als brutaler und diktatorischer Kriegsherr herausstellen, der seinen Vater tötet, um Stammesführer zu werden und der fortan ständig Raubzüge in die umliegende Gegend unternimmt und mit Vorliebe den Erzfeind, die Siedlung Cathallo, überfällt. Saban hingegen gerät nach seinem Vater – ein realistischer, zupackender Mann, der eigentlich nichts anderes will als sein Leben in Frieden zu leben. Am liebsten natürlich mit einer schönen Frau an seiner Seite und einem ganzen Haufen Kinder. Und zu guter Letzt wäre da noch Camaban, der als Kind aus dem Stamm verstoßen wurde, weil er missgestaltet war. Doch so leicht gibt Camaban nicht auf: Er versteckt sich im alten Tempel und diese frühe Zwiesprache mit den Göttern legt den Grundstein für seine steile Karriere als Zauberer. Er geht bei der bekanntesten Zauberin der Gegend in die Lehre, die ihm seinen Klumpfuß richtet (halbwegs). Er reist, um auch die letzten Geheimnisse der Welt zu ergründen und es ist seine Vision, auf der Stonehenge fußt.

Dabei muss diese Vision – wie die Hängenden Steine selbst – von Grandeur geprägt sein. Tatsächlich liegt ihr eine durchaus genau beobachtete astronomische Theorie zugrunde. So hat Camaban durch genaue Himmelsbeobachtung herausgefunden, dass Mond- und Sonnenjahr nicht gleichlang sind. Was sie aber sein sollten, denn Sonne (Slaol) und Mond (Lahanna) sind die wichtigsten Götter der damaligen Menschen. Es geht die Legende, dass Lahanna eigentlich mit Slaol vermählt werden sollte. Doch sie widersetzte sich und darin liegen Krankheit und Tod begründet. Aus seinen Beobachtungen schließt Camaban nun, dass Slaol sich immer weiter von der Erde wegbewegt. Könnte man ihn aber mit einem riesigen, beeindruckenden Tempel zurücklocken – ihn also in seine ursprüngliche Bahn zurückbringen, so kämen Lahanna und Slaol wieder zusammen. Die Welt würde wieder ins Gleichgewicht gelangen und es würde weder Winter noch Tod geben. Eine durchaus detallierte Theorie, die Camaban durch Charisma durchsetzen und mit Sabans Hilfe in die Tat umsetzen kann.

_Es ist interessant_, dass Cornwell sich nicht auf ein zyklisches Zeitverständnis einlässt. Für seine Charaktere sind die ewig wiederkehrenden Dichotomien von Leben und Tod, Werden und Vergehen, Sommer und Winter offensichtlich keine gottgegebenen Regeln. Oder vielleicht ist es auch Camabans fortschreitender Wahnsinn (und Größenwahn), der ihn dazu treibt, diese grundlegenden Gesetze der Welt anzuzweifeln. Faszinierend ist dabei vor allem Cornwells Beschreibung des Gottesglaubens. Denn die Götter sind überall – in Sonne und Mond, im Fluss, im Wald und im Himmel. Alles, was von der Norm abweicht, kann ein Omen sein: Ein aufsteigender Vogel kann Gutes bedeuten, eine Wolke, die sich vor die Sonne schiebt dagegen Unheil verkünden. Um dieses Omen zu interpretieren, gibt es natürlich Priester – oder wie in Camabans Fall Zauberer. Wenn sie glaubwürdig vermitteln können, dass sie in direktem Kontakt mit den Göttern stehen, so winkt ihnen absolute Macht.

Dabei begeht Cornwell nie den Fehler, diese Götter wirklich manifest werden zu lassen. Es sind letztlich eben doch nur Sonne, Mond, Fluss und Wald. Doch die Art, wie Cornwells Charaktere die sie umgebende Natur interpretieren und sie als lebendig und eben auch göttlich auffassen – das ist dem Autor wunderbar und überzeugend gelungen.

Trotzdem wird man mit den Figuren und ihren Motiven nicht so recht warm. Vielleicht liegt es wirklich einfach daran, dass 2500 v. Chr. so enorm lange her ist, dass uns mit den damaligen Lebenswelten wenig verbindet. So ist es zwar beeindruckend zu sehen, wie frühe Menschen aus reinem Glauben ein die Zeit überdauerndes Bauwerk erschaffen, dass uns noch heute fasziniert. Und doch steht dem wirklichen Zauber immer auch die modernde, abgeklärte Draufsicht entgehen, die fragen will: „Ehrlich? Ihr glaubt wirklich, die Sonne ihre Bahn verändern wird, weil ihr Steine aufeinanderschichtet?“

_“Stonehenge“ funktioniert daher_ wunderbar als abstrakte „Was wäre, wenn …“-Studie, aber es funktioniert nicht so gut als Roman, da die Figuren ihre Distanz zum Leser nie ganz aufgeben. Man schaut eben fasziniert wie in einem Museum auf diese Relikte einer lange vergangenen Zeit, aber wirkliches Verständnis, ein echtes Einfühlen, ist fast unmöglich. Somit ist „Stonehenge“ kein ganz großer Wurf, doch für alle, die sich mit der Entstehung der Hängenden Steine beschäftigen wollen, ohne ein Sachbuch zu lesen, gibt es trotzdem eine Leseempfehlung.

|Taschenbuch: 672 Seiten
Originaltitel: Stonehenge
ISBN-13: 978-3499253645|
[www.rowohlt.de]http://www.rowohlt.de

_Bernard Cornwell auf |Buchwurm.info|:_
[„Stonehenge“ 113
[„Die Galgenfrist“ 277
[„Der Bogenschütze“ (Auf der Suche nach dem Heiligen Gral 1) 3606
[„Der Wanderer“ (Auf der Suche nach dem Heiligen Gral 2)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3617
[„Der Erzfeind“ (Auf der Suche nach dem Heiligen Gral 3) 3619
[„Das Zeichen des Sieges“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6223
[„Das brennende Land“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6656

|Sharpe|:
01 [„Sharpes Feuerprobe“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5208
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