Auf einer Mangroveninsel vor der Küste Floridas findet ein Fischer die grässlich zugerichtete Leiche einer jungen Frau. Ein Meeresräuber scheint sie gepackt und umgebracht zu haben, doch Lieutenant Horatio Caine und sein CSI-Team von der Miami-Dade Police finden schnell heraus, dass hier raffinierter Mord die eigentliche Todesursache war.
Die kunstvolle Inszenierung der Tat weckt in dem erfahrenen Kriminalisten die Sorge, dass sich hier ein Serienkiller ‚warmläuft‘. In der Tat werden kurz darauf die Leichen eines Ehepaars aus dem Wasser gefischt. Der Ehemann war dem Mörder nur im Weg und wurde kurzerhand erschossen. Die Frau sitzt ausgeweidet am Steuer eines fünfzig Jahre alten Oldtimers, der auf offener See versenkt wurde.
Wie befürchtet, nehmen Gewaltintensität und Tempo der Bluttaten zu. Die Ermittlungen sind für die CSI-Spezialisten dieses Mal besonders schwierig, da sich die Tatorte unter Wasser befinden, in dem sich mögliche Indizien buchstäblich auflösen. Womöglich wird dem Killer die eigene Obsession zum Verhängnis; er hat sich das Kostüm eines bekannten B-Movie-Monsters nachschneidern lassen, das er bei seinen Attacken trägt. Die wenigen Spuren zusammenzutragen und auszuwerten, dauert indes seine Zeit – Zeit, die der Täter zur Vorbereitung einer neuen, noch bizarreren Mordtat nutzen kann …
_Die Stadt des gelebten Irrsinns_
Die „Miami“-Variante des erfolgreichen „CSI“-Franchises ist für einen gewissen Hang zu absurden Plots bekannt. Das kommt nicht von ungefähr, denn das reale Miami ist gleichzeitig Schmelztiegel und Vulkankrater für seine ethnisch und sozial oft sehr unterschiedlichen Bewohner. Hoch ist das Lebenstempo, gering die moralische Integrität vieler Glücksritter und Berufskrimineller, die von der tropischen Metropole magisch angezogen werden. Für die „CSI Miami“-Fernsehserie wird die Realität noch einmal dramatisiert und auf die Spitze getrieben. Das Ergebnis kann sich sehen lassen.
Zum Geschäft gehört die Beschickung des Buchmarktes mit so genannte „tie-ins“, Romanen zur Serie. Die sind Teil fast jedes Film- und Fernseh-Franchises, wo sie in der Regel ein stiefmütterliches Dasein führen. Drittklassige Lohnautoren produzieren sie wie am Fließband, denn die Ware ist verderblich: Mit dem Ende einer TV-Serie endet in der Regel auch das Interesse an „tie-ins“.
Das „CSI“-Franchise mied den Bodensatz erfreulicherweise von Anfang an. Man heuerte ‚richtige‘ Schriftsteller an, die hohes Schreibtempo mit handwerklichem Geschick plus Talent verbinden: Max Allan Collins, Stuart Kaminsky und nunmehr Donn Cortez. Während die beiden ersten Verfasser auf eine eindrucksvolle Karriere zurückblicken können, ist Cortez noch relativer Neuling.
_Neuer Besen kehrt sehr gut_
Überraschung: Im Trio der „CSI“-Autoren ist er mit Abstand der Beste. So aberwitzig sein Plot vom mordenden Fischmenschen auch sein mag, er entwickelt ihn zu einer Story, wie wir sie gern im Fernsehen sehen würden. „Tödliche Brandung“ ist „CSI Miami“ vom Feinsten. Die Story wird rasant erzählt und weist gut getimte Höhepunkte auf. Wer glaubt, die mühsame Suche nach Spuren an Tatorten oder die umfangreichen Laboruntersuchungen ließen sich nur dank vieler Schnitte, erstaunlicher Tricktechnik und fetziger Musik ertragen, irrt: Cortez baut sie ins Geschehen ein, ohne dass dieses dadurch an Intensität verlöre.
Parallel dazu ‚arbeitet‘ er mit den bekannten Charakteren. Vor allem Horatio Caine wirkt in der TV-Serie zurückhaltend, ja kühl und oft abweisend. Hin und wieder lässt Darsteller David Caruso den wahren Caine durchscheinen, der wesentlich vielschichtiger ist, als er bereit ist zuzugeben. Cortez nutzt ’sein‘ Medium, um dem schweigsamen Caine quasi in den Schädel zu blicken. Der spricht wenig, aber denkt viel. Plötzlich wirkt er wesentlich menschlicher, ohne als Figur an Interesse zu verlieren.
Ähnlich ist es mit den anderen Beamten des „CSI“-Teams. Sie sind zwar eindeutige Nebendarsteller, die im Schatten Caines/Carusos stehen, verfügen aber ebenfalls über persönliches Profil und diverse Geheimnisse, mit denen der Verfasser sie geschickt zum Leben erweckt, ohne sie in Widerspruch zur Charakterisierung zu bringen, die das Fernsehen vorgibt – eine echte Herausforderung, die sich „Tie-in“-Autoren gern sparen und sich auf reine Handlung beschränken.
Cortez nutzt die Freiheit des Romans aus, um Winkel des „CSI“-Kosmos‘ zu betreten, die das prüde US-Fernsehen meiden muss. Hier ist es u. a. Calleigh Duquesnes Ausflug in Miamis Sadomaso-Szene – eine Szene, die Cortez als Teil einer kriminalistischen Untersuchung und der Konfrontation mit emotionalen Neuland ohne die sonst üblichen ‚ulkigen‘ Anspielungen & Schweinigeleien beschreibt.
Auch die Grausamkeit, mit der in „Tödliche Brandung“ Menschen zu Tode kommen, ist ein Gutteil ausgeprägter. Wer die TV-Serie kennt, wird sich über diese Aussage wundern, da dort Leichen in allen Stadien der Zerstörung oder Verwesung präsentiert werden. Cortez hat indes einen Weg gefunden, noch einen Gang höher zu schalten. Allerdings sind die von ihm geschilderten Scheußlichkeit kein Selbstzweck, sondern Teil der Handlung, die es nun einmal in sich hat.
_Die Imagination wird ‚reale‘ Vorlage_
„Gilly“, die „Kreatur aus der Tiefe“, erkennt der Filmfreund sogleich als ‚Kopie‘ des berühmten „Kiemenmanns“ aus dem phantastischen B-Movie-Klassiker „Creature from the Black Lagoon“ (dt. „Der Schrecken vom Amazonas“), den Regisseur Jack Arnold (1916-1992) 1954 zwar in Florida, aber nicht in der späteren Reichweite des CSI-Teams inszenierte.
Dass der Mörder sich dieses Kostüm wählte, ist ebenso perfide wie vielsagend, lebt doch der Film von der zwar verschlüsselten, für die 1950er Jahre jedoch sehr expliziten sexuellen Spannung zwischen dem Wesen und der schönen Frau, die es begehrt.
_Der Autor_
Donn Cortez ist das Pseudonym des kanadisches Schriftstellers Don H. DeBrandt, der unter seinem Geburtsnamen Science-Fiction und Horror schreibt. „The Quicksilver Screen“, sein Romandebüt von 1992, wurde vom renommierten SF-Magazin „Locus“ als Geheimtipp gehandelt. DeBrandt schrieb außerdem für „Marvel Comics“, wo er an Reihen wie „Spiderman 2099“ und „2099 Unlimited“ mitarbeitete.
Seit 2006 verfasst DeBrandt, der im kanadischen Vancouver lebt und arbeitet, Romane zur TV-Serie „CSI: Miami“. Über seine Werke informieren die Websites:
http://www.donncortez.com
http://www.sfwa.org/members/DeBrandt
|Originaltitel: CSI: Miami, Riptide
Aus dem Amerikanischen von Frauke Meier
303 Seiten
ISBN-13: 978-3-8025-3623-6|
http://www.vgs.de