_Inhalt_
Es gibt Träume, die bestimmte Menschengruppen verbinden. Man muss nicht über sie reden, aber sie sind da. Und dann, eines Tages, wenn jemand sie erwähnt, strahlen die Gesichter der Ähnlichdenkenden auf, und die allgemeine Antwort ist: Das habe ich immer schon gewollt.
Ein solcher Traum vieler Bücherwürmer ist eine Buchhandlung, in der man nicht nach guten, anrührenden, lebensverändernden Büchern suchen muss, weil das ganze Sortiment nur solche Perlen umfasst. Ivan Georg, seines Zeichens idealistischer Buchhändler, und Francesca Aldo-Valbelli, betuchte Bibliophile, wagen es, diesen Traum in die Realität umzusetzen. Die Bücher werden von einem streng geheim gehaltenen Komitee ausgewählt, das sich aus großen Schriftstellern zusammensetzt.
Die Reaktionen auf das neue Geschäft „Der gute Roman“ in Paris sind zwiespältig: Die Freunde guter Bücher kommen gern, kaufen viel, verlieren sich lesend zwischen den Regalen und den Realitäten, bis man sie sanft in die Wirklichkeit zurückholt und auf den Ladenschluss hinweist. Aber wie üblich gibt es auch die Gegenstimmen: Wer sich denn erdreiste, gute Bücher von anderen zu unterscheiden? Warum sei dieses oder jenes Buch nicht im Bestand? Was seien das überhaupt für Menschen, die dieses elitär-faschistische Denken in die Buchwelt brächten?
Die Idealisten sehen sich plötzlich von einer Welle wilder Diffamierungen und persönlicher Anfeindungen überrollt, mit der sie nicht gerechnet hatten, und dann werden einzelne Komiteemitglieder physisch angegriffen. Wer hat ein Interesse daran, Buchliebhabern zu schaden? Der belesene und daher in diesem Fall sehr eifrige Kommissar Heffner taucht ein in eine Welt aus Worten, Schein und Sein …
_Kritik_
Kennt ihr diese Art Bücher, bei deren Lektüre ihr euch erst wieder in der Wirklichkeit zurechtfinden müsst, wenn ihr mitten im Lesen aufschaut, weil ihr ganz weit fort getragen wart? Das hier ist eines davon. Wer ein gutes Buch liebt und um seine Macht weiß, begrüßt den Einfall der spezialisierten Buchhandlung natürlich jubelnd, und der Kampf, der um sie tobt, geht entsprechend unter die Haut. Aber oh, das ist ja nur der Anfang! Die Charaktere sind aufs filigranste geschnitzt – man ist sofort befreundet mit dem für seine Ideale lebenden Ivan und mit der ätherisch-traurigen Francesca, die in behutsamer Weise und mit unglaublich schönen Bildern beschrieben werden. Wie die Lebensgeschichten sich auf den Punkt hinbewegen, an dem letztendlich die Anschläge geschehen und die Polizei eingeschaltet wird, ist trotz aller Stille und Unaufgeregtheit herzzerreißend spannend gemacht.
Die Büchervernarrtheit der Autorin spricht aus jeder Seite; man nimmt Anregungen über Anregungen mit, und wenn ein bestimmtes Buch mit den wärmsten Tönen bedacht wird, setzt man es sofort auf die geistige Liste. Das war in diesem Falle für mich besonders spannend, als es sich häufig um französische Bücher handelt, von denen ich nur wenige kenne. Die angesprochenen internationalen Klassiker allerdings lassen vermuten, dass es sich auch bei den erwähnten Franzosen um wirkliche Kleinode handelt.
Aber Geschichte, Charaktere, wundervoller Stil und Anregungen sind nur die Einzelteile dessen, was „Der Zauber der ersten Seite“ ausmacht: Es berührt Geist und Herz, erfüllt mit Energie, macht traurig und glücklich, kurz: Es schneidet in dein Leben ein. Es ist eines dieser Bücher, zu dem man greifen kann, wenn man sich ansonsten den Strick nähme, von seiner Wirkung – wenn auch nicht vom Inhalt her – ist es direkt neben Alice Walkers „Im Tempel meines Herzens“ anzusiedeln. Es ist ein |gutes| Buch: Das Gute ist darin, und Güte strömt heraus, und es hebt empor und dämpft und tröstet, alles auf einmal. Es umschmeichelt den gesamten Menschen. Es ist ein so liebevolles Stück Literatur, dass mir wirklich und tatsächlich die passenden Worte fehlen. Man kann ihm nicht gerecht werden, indem man es zu beschreiben versucht.
_Fazit_
„Der Zauber der ersten Seite“ schoss binnen kürzester Frist in meine Ewigen Favoriten. Ich werde es hundertmal verschenken, aber ich werde nie zulassen, dass ich kein Exemplar besitze. Es ist eines der wundervollsten Bücher, die ich in den letzten Jahren gelesen habe, und ich werde es wieder lesen, bis ich es auswendig kann. Als ich es zugeklappt habe, hatte ich das Gefühl, ein lieber Freund sei eben weggegangen. Laurence Cossé ist eine Magierin an der Feder, und sie muss einen beeindruckend schönen Geist haben. Lesen, Leute, lest es – vor der Lektüre dieses Buches ist euer Leben ärmer als danach!
|Gebundene Ausgabe: 464 Seiten
Originaltitel: Au bon roman (2009)
Aus dem Französischen von Doris Heinemann
ISBN-13: 978-3809025900|
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