Crisse, Didier (Autor) / Meglia, Carlos (Zeichner) – Canari 1: Die goldenen Tränen

_Story_

Wayne wächst als Waise auf und verbringt die meiste Zeit am Strand auf seinem Surfbrett. Das Rätsel um seine Herkunft hat er nie lösen können, und er kann sich auch kaum vorstellen, dass sich dies noch einmal ändern wird. Eines Tages erhält er einen Brief mit einer Einladung an die Küste Mexikos, um dort auch seinem Hobby nachzugehen. Und so landet der junge Mann an einem Ort, der ihn geradezu magisch angezogen hat, ohne zu wissen, was tatsächlich hinter dieser Einladung steckt.

Canari gehört einem strenggläubigen Aztekenstamm an. Eines Tages sammelt sie mit ihren Geschwistern am See Wasser, das später verkauft werden soll. Dabei verliert sie ihren kleinen Bruder Xaotil auf dem Rückweg. Trotz langer Suche finden sie ihn nicht, entdecken dafür aber einen heiligen Tempel, in dem das jüngste Mädchen der Familie einen goldenen Armreif anprobiert, diesen danach aber nicht mehr ablegen kann. Die Rückkehr zur Familie wird für die verbliebenen Geschwister zur Qual. Canaris Vater macht seine älteste Tochter für das Verschwinden des Jungen verantwortlich und ist entsetzt über das entnommene Armband. Er belegt Canari mit der Aufgabe, Xaotil noch bis zum nächsten Tag aufzuspüren und gleichzeitig den goldenen Gegenstand zurückzubringen. Sollten die Götter nämlich erfahren, dass einer ihrer kostbarsten Schätze geraubt wurde, stehen dem Volk schreckliche Tage und ein Leben in Ungnade bevor.

_Meine Meinung_

Mit „Canari“ veröffentlicht der kleine Bielefelder |Splitter|-Verlag dieser Tage die neue Serie des renommierten Comic-Gespanns Didier Crisse (Text) und Carlos Meglia (Zeichnungen). Erzählt wird hier die Geschichte eines jungen Azteken-Mädchens, welches bereits in frühester Jugend eine große Verantwortung auf seinen Schultern tragen muss, dieser aber nur bedingt gewachsen ist. So soll sie unter anderem ihre jüngeren Geschwister in ihre Obhut nehmen und sie bei den regelmäßigen Wanderungen zum Fluss beschützen. Doch Canari ist überfordert und kann sich gegen den Willen ihrer Brüder und Schwestern nicht durchsetzen. Eines Tages lässt sich darauf ein, den Rückweg durch den Fluss zu schwimmen, ohne sich dabei der Gefahren bewusst zu werden. Ihr Bruder Xaotil verschwindet währenddessen und taucht auch nach intensiver, nächtlicher Suche nicht mehr auf. Nun muss sich die Aztekin ihrer Verantwortung stellen und ihr Versäumnis wieder gut machen. Genau diese eine Nacht bleibt ihr, um Xaotil aufzuspüren, denn am nächsten Tag steht eine besondere, religiöse Zeremonie an. Canari verschwendet keine Zeit und trifft alsbald auf Personen und Dinge, von deren Existenz sie nicht mal etwas erahnt hätte.

Derweil in einem scheinbar gänzlich anderen Zeitalter: Der junge, wagemutige Wayne sucht am Abend vor seinem nächsten Surftag eine beliebte Kneipe auf. Als er sich dabei eine kleine Auszeit vor der Tür des Gasthofs genehmigt, trifft er eine ältere Dame, die ihn über seine Ursprünge und den Beweggrund für sein Kommen ausfragt. Dies findet selbst Wayne merkwürdig, denn es scheint so, als würde die Alte die Antworten schon kennen. Erst einige Zeit später realisiert Wayne, dass seine Anreise keinem Zufall unterliegt.

Über den Inhalt ist grob betrachtet schon alles gesagt, nicht aber über seinen Aufbau. Der ist nämlich zu Beginn ein wenig verwirrend. Crisse startet die Story mit der Ankunft von Wayne und einigen Freunden in Mexiko. Dann aber wechselt er ohne Vorandeutung gänzlich überraschend in die Welt von Canari, stellt die Namensgeberin adäquat vor und beschreibt schließlich ihre Geschichte, die gleichzeitig den Hauptteil des Plots ausmacht. Inwiefern hier ein Zusammenhang mit dem Schicksal von Wayne besteht bzw. was aus ihm mittlerweile geworden ist, erfährt man leider erst auf der letzten Seite, auf der die Story mit einem feinen Cliffhanger beendet wird. Um grundsätzlich etwas Verwirrung zu vermeiden, wäre es hingegen sicher besser gewesen, man hätte einzelne Verbindungen oder zumindest fließendere Übergänge entworfen, damit der Leser in der ansonsten recht leicht verständlichen Erzählung nicht den Überblick verliert. Damit wäre auch schon der nächste Punkt angesprochen, nämlich die sehr transparente, außer in besagten Punkten vollkommen schlüssige Handlung, die selbst zu einem späteren Zeitpunkt, an dem sich mit einem Mal mehrere bis dahin unbekannte Personen in den Plot einfügen, nicht in Nebensächlichkeiten verliert. Strikt und stringent entwickelt sich diese Geschichte, bis eben zum Wechsel auf der letzten Seite, der offenkundig so etwas wie die erste Verbindung zwischen den beiden Handlungseinheiten darstellt.

Was die Zeichnungen angeht, ist „Canari“ auch ein echter Leckerbissen, der mich stilistisch ein wenig an die „Asterix“-Comics erinnert, dabei aber erstens bunter, zweitens detailverliebter und drittens weicher gezeichnet ist als die Werke der französischen Konkurrenz. Eine echte Augenweide sind – im wahrsten Sinne des Wortes – die Augen der Titelheldin Canari geworden. Sobald diese geöffnet sind, verliert man sich in den entsprechenden Zeichnungen und gewinnt die Hauptdarstellerin richtiggehend lieb. Doch auch die Illustrationen aus dem düsteren Wald sind eine echte Pracht und speziell am Schluss sehr schön anzusehen, ganz besonders die tragenden Personen.

Im Gesamtpaket überzeugt „Canari“ dann auch voll und ganz. Die Geschichte ist einladend und wegen der vielen mysteriösen Inhalte mit einer garantierten Spannungskurve ausgestattet. Weiterhin hat Zeichner Carlos Meglia bei der Kombination von Zeichnungen und Farbgebung einen sehr überzeugenden Job abgeliefert und (das möchte ich noch einmal betonen) in „Canari“ mit seinen vielen stilistischen Eigenheiten mehrere Charaktere erschaffen, die eine eigenständige, ansprechende Handschrift tragen. Bleibt zuletzt die äußere Aufmachung, das i-Tüpfelchen dieses Hardcover-Bandes, über die man wirklich nur positive Worte verlieren darf. Vom Cover über das Layout ist die Geschichte mit dem Untertitel „Die goldenen Tränen“ auf höchstem Niveau dargestellt und entspricht auch inhaltlich allen Erwartungen, die vom gelungenen Äußeren bereits geschürt wurden. Kurzum: Diese Serie scheint, ausgehend von diesem ersten Teil, ein echter Gewinn für die Comic-Szene zu sein. Mir fällt spontan kein Punkt ein, über den ich mich bei diesem schönen Comic beklagen könnte – außer der Tatsache, dass die Fortsetzung noch nicht vorrätig ist. Aber erst einmal sollte man sich ja auch am ersten Band von „Canari“ laben. Dies alleine bringt ja auch schon ausreichend Freude mit sich!

http://www.splitter-verlag.de/

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