Daschkowa, Polina – falsche Engel, Der

Polina Daschkowa gehört zu den bekanntesten russischen Autorinnen. Ihr neuestes Buch „Der falsche Engel“ ist typisch Daschkowa – und doch wieder nicht. Auf der einen Seite hat man wie gehabt eine verwobene Handlung, viele Personen, deren ungewohnte Namen man sich nur schwer einprägen kann, und ein nicht besonders positiv dargestelltes Russland. Auf der anderen Seite hat man zugleich eines der besten Bücher der Russin in Händen.

Der verwöhnte Unternehmersohn Stas, der einfach nicht erwachsen werden will, wird aus seinem Luxusleben aufgeschreckt, als er eines Tages beobachtet, wie vermummte Männer sein Auto in die Luft zu sprengen versuchen. Es scheint, als ob jemand hinter ihm her ist. Nur wer? Er kann sich das nicht erklären und dann wird auch noch sein Chauffeur erschossen. Seine Eltern haben Angst um ihn und da sein Vater Wladimir nur wenig von der Miliz hält, beauftragt er seinen Freund Raiski, sich um seinen Sohn zu kümmern.

Er kann natürlich nicht ahnen, dass Raiski auf zwei Hochzeiten tanzt: Er beschützt nicht nur Stas, sondern benutzt ihn auch oder zumindest sein Gesicht. Raiski lässt Major Sergej Longinow mittels plastischer Chirurgie zu einem Ebenbild von Stas operieren. Sergej soll für eine Weile Stas‘ Leben führen, um einen persönlichen Rachefeldzug für Raiski zu führen, während der echte Stas im „Urlaub“ ist. Doch worauf zielt Raiski ab? Und an wem will er sich rächen?

„Der falsche Engel“ verbindet viele verschiedene Handlungsstränge, die schließlich in einem gewaltigen Knoten enden. Irgendwie hängt alles zusammen, jede Person hat eine Aufgabe in der Geschichte. Das sorgt, vor allem dank Daschkowas spannender und erdiger Erzählweise, für eine Menge Spannung. Die Handlung an und für sich ist zwar an einigen Stellen etwas zu verworren, schlägt sich aber in Anbetracht der Masse von Ereignissen erstaunlich gut. Die russische Autorin schafft es tatsächlich, aus einer Menge loser Enden, die anfangs unabhängig voneinander scheinen, ein dicht gewebtes Netz von Geschichten zu spinnen. Dabei schlägt sie ein flottes, aber nicht rasantes Erzähltempo an und hält sich nicht an Kleinigkeiten auf. Sie sorgt vielleicht nicht von der ersten bis zur letzten Seite für Hochspannung, aber eine gewisse unterschwellige Spannung ist stets vorhanden und macht das Buch lesenswert.

Im Mittelpunkt der Geschichte stehen, wie so oft bei Polina Daschkowa, Kriminelle, unbescholtene Bürger, die plötzlich mit dem Verbrechen in Berührung kommen, und vor allem Menschen, die alle eine dunkle Seite haben. Was an „Der falsche Engel“ besonders gefällt, ist die Tatsache, dass die Autorin, anders als in beispielsweise [„Keiner wird weinen“, 4224 völlig darauf verzichtet, ihre Figuren beinahe lächerlich überzeichnet darzustellen. Stas ist zwar ein Muttersöhnchen, wie es im Buche steht, aber dieses Mal gibt es keine dickliche, unverheiratete und deshalb frustrierte Russin. Vielmehr setzt Daschkowa auf ernste, tiefgründige Charaktere. Das tut dem Buch sehr gut. Es steigert die Spannung und den Nervenkitzel, der nicht durch witzige Zwischenspiele aufgelockert wird. Die Charaktere sind dabei wie gewohnt gut ausgearbeitet und anschaulich dargestellt. Das Einfließen von vergangenen Erlebnissen und Gedanken sorgt dafür, dass das Buch nicht zu handlungslastig wird, sondern den Fokus auch auf die Personen legt.

Einziger Wermutstropfen bei der Lektüre ist der Schreibstil. Nicht, dass er nicht gut wäre. Daschkowa schreibt auf den Punkt genau. Sie verliert nicht viele Worte, sondern schildert in klarer, beobachtender Sprache, was um die einzelnen Perspektiven herum passiert. Der Stil erinnert dabei weniger an einen Krimi als an einen guten Roman, denn sie schreibt sehr literarisch. Sie verzichtet auf wertende Emotionen innerhalb des Textes, sondern beschreibt beinahe stur, was passiert. Manchmal ist sie dabei aber etwas unaufmerksam. Sätze, die Zusammenhänge zwischen Absätzen erklärt hätten, scheinen an einigen Stellen zu fehlen. Dadurch hat man als Leser das Gefühl, als ob ein Sprung in der Geschichte vorkäme. Da dies nicht nur einmal passiert, sondern öfter, wird die Lektüre ab und an etwas kompliziert.

Allerdings ist dies nur ein kleines Manko. Da es sich zumeist nicht um handlungsrelevante Dinge handelt, die vorschnell abgehandelt werden, kann man darüber wegsehen. Immerhin hat „Der falsche Engel“ genug Positives zu bieten. Die Handlung ist flott, spannend und unglaublich gut ausgedacht, der Schreibstil gefällt durch seine nüchterne Betrachtungsweise und die Personen sind toll ausgearbeitet. Wer von Polina Daschkowa trotz ihrer zahlreichen, deutschen Veröffentlichungen noch nichts gehört hat, der sollte zu „Der falsche Engel“ greifen. Bei diesem Buch handelt es sich nämlich ohne Frage um eines der besten der Russin.

http://www.aufbauverlag.de

|Polina Daschkowa auf Buchwurm.info:|
[„Für Nikita“ 807
[„Keiner wird weinen“ 4224

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