DeFalco, Tom – The Amazing Spider-Man – Die Welt des Netzschwingers

Erst kürzlich geisterte der Name Spider-Man wieder weltweit durch die Medienlandschaft; der dritte Kinostreifen sprengte die Besucherrekorde und lieferte endgültig den Beweis, dass der berüchtigte Spinnenmensch in der Hollywood-Variante zu Recht über alle Maßen gelobt wird. Während die Verfilmungen jedoch seit jeher auf ein opulentes Effekt-Feuerwerk setzen, greifen Spider-Man-Schöpfer Stan Lee und seine über die Jahre hinzugestoßenen Kollegen lediglich auf Bleistift, Papier und Tusche zurück und haben in den vergangenen 44 Jahren langsam aber sicher etwas aufgebaut, das selbst in der Comic-Welt seinesgleichen sucht.

Beginnend mit dem ersten Auftritt der maskierten Spinne im Jahre 1963 hat sich Spider-Man Jahr für Jahr zum wohl beliebtesten Comic-Helden aller Zeiten entwickelt und selbst Figuren wie Batman, Hulk und die X-Men auf der Beliebtheitsskala überholt. Heuer sind die Comics des |Marvel|-Helden nach wie vor die Krone des monatlichen Serien-Zyklus und seine Popularität ungebrochen. Eine Karriere sondergleichen, die in erster Linie darauf beruht, dass mit Spider-Man kein gewöhnlicher, sondern ein allzu menschlicher Superheld erschaffen wurde. Die Spinne macht Fehler wie jeder andere auch, ist definitiv nicht unfehlbar und zeigt abseits ihrer Streifzüge Emotionen und Gefühle. Auch eine Lebensgefährtin ist ihm beschieden, wenngleich seine Familiengeschichte seither noch tragischer verläuft.

Doch all das sind nur winzige Partikel im faszinierenden Universum des einst von Lee ins Leben gerufenen Geschöpfes. Was indes wirklich hinter Spider-Man steckt, seine gesamte Geschichte im Rahmen der Vielzahl an Comic-Serien, seine Kontrahenten, die verschiedenen Schicksale, die er vor allem auf privater Ebene hat erleiden müssen, all das wird nun in einem beeindruckenden illustrierten Dokument namens „Die Welt des Netzschwingers“ noch einmal ausführlich beschrieben. Tom DeFalco, seines Zeichens selber über 20 Jahre lang als Autor für den populären Spinnenmenschen im Dienst, hat die Herausforderung angenommen, 44 Jahre Spider-Man zu beleuchten, die Historie chronologisch festzuhalten und dabei wirklich jede einzelne Besonderheit, die innerhalb dieser Zeit Einfluss auf die Serie gehabt hat, aufzugreifen und noch einmal aus der heutigen Perspektive einzuordnen. Herausgekommen ist dabei ein üppiges, mit reichlich Detailverliebtheit bearbeitetes Werk, das in dieser Sparte eine bislang unvergleichliche Referenz ist und für weitere derartige Veröffentlichungen mit respektablem Beispiel vorangeht.

DeFalco nutzt zunächst die Gelegenheit, die Person Peter Parker näher zu beschreiben. Anhand umfassender Illustrationen werden die Eigenschaften des Menschen und der Spinne mit Ausschnitten aus den Comics, Schaubildern, Querschnitten und Hintergrundstorys aufgezeigt. Der Autor gewährt einen Einblick in die Fähigkeiten des Mannes im Spinnenkostüm, zeigt die unterschiedlichsten Inkarnationen des Heroen und seine allgemeinen Superkräfte. Anschließend wirft er einen Blick auf sein Privatleben, seinen Job beim |Daily Bugle| und nicht zuletzt auf die teils recht außergewöhnliche Riege seiner Partner, zu denen im Laufe der Jahre unter anderem Dracula(!) und Howard The Duck(!!) gehört haben. All dies wird stets mit vielen Schnipseln aus den entsprechenden Original-Ausgaben belegt.

Anschließend beginnt dann die chronologische Aufarbeitung der einzelnen Jahrzehnte der Spider-Man-Comics. So beginnt man die einzelnen Schurken zu beschreiben, die Spider-Man in seinen ersten Abenteuern das Leben schwer machten. Das Chamäleon, der Geier und auch der nach wie vor lebendige Doktor Octopus, Spider-Mans Gegner im zweiten Kinofilm, gehörten zu den ersten Kontrahenten der Spinne. Dazu gesellen sich mit Kraven dem Jäger, Mysterio und dem grünen Kobold weitere legendäre Schurken, von denen einige zum Ende des Jahrzehnts die sinistren Sechs formten, die jedoch auch im Kollektiv im Kampf gegen den Netzschwinger machtlos waren.

Die Siebziger indes brachten viele Verbrecher ans Tageslicht, die heuer wohl nur noch in Insider-Kreisen bekannt sind. Der Mafioso Hammerhead, der arrogante Silvermane und der Rocket Racer verschwanden später spurlos. Dafür erschienen jedoch prägende Charaktere wie Black Cat, der Schakal, Morbius und Will O‘ The Wisp. Außerdem war es das Jahrzehnt der ersten heftigen Schicksale. Spider-Mans Freundin Gwen Stacy verstarb und hinterließ einen trauernden Superhelden, der sich selbst die Schuld für ihren Tod gab. Ähnliche Ereignisse wie den Mord an seinen Onkel Ben und den Tod von Tante May hat es in der Folgezeit in regelmäßigen Abständen gegeben, so dass die Geschichte einer steten Progression unterlag, die in diesem Genre ebenfalls einzigartig ist.

Mit der Zeit wurden die Gegner Spider-Mans schließlich immer mächtiger und größer, ihre Waffen immer ausgefeilter und ihre Kräfte entwickelten ein Niveau, das dem des Superhelden meist sogar überlegen war. Es folgte die Zeit der ersten richtigen Crossover und des großen Erfindungsreichtums. Spider-Mans Popularität wuchs unaufhaltsam an, und einen Beitrag zu seiner Serie zu schreiben, galt als Ritterschlag im Genre. Somit wurde die Szenerie mit neuen Serien geradezu bombardiert, schrumpfte sich dann jedoch in den Neunzigern auch wieder gesund, nachdem die Macher erkannten, dass zu viele Köche langfristig den Brei verderben würden.

Schließlich gelangte man ins neue Jahrtausend, und dies mit blendenden Aussichten: Eine neue Generation des Comic-Publikums wurde geboren und ihre Helen den Bedürfnissen der Kids angepasst. Auch das traditionsbewusste Comic-Label |Marvel| konnte vor der Moderne keinen Halt mehr machen und perfektionierte die Gestalt seines erfolgreichsten Schützlings bis zum heutigen Zeitpunkt. Doch all dies wäre natürlich niemals möglich gewesen, hätte der Titelheld seine Menschlichkeit nie bewahrt und wäre er dadurch nicht zu einem ständigen Sympathieträger und einer außergewöhnlichen Identifikationsfigur geworden.

Die Entwicklung dessen könnte letztendlich kaum besser dokumentiert werden als in diesem informativen und mit Details aus dem Leben der Spinne gefüllten Lexikon. „Die Welt des Netzschwingers“ liefert eigentlich alle Informationen, die der geneigte Fan und Freak benötigt, dies jedoch verpackt in einem überschaubaren, lockeren Rahmen. Tom DeFalco ist nämlich selber ein großer Fan der Superhelden, verfügt über ein unheimlich fundiertes Hintergrundwissen und hat somit auch ein sehr gutes Verständnis davon, was der geneigte Leser erwartet und wie man ein solches Buch überhaupt aufbaut.

Das Ergebnis ist ein wahres Monstrum, ein liebevoll aufgemachter Wälzer für Genießer, Fachsimpler und Fans aller Generationen. Das Wichtigste ist am Ende jedoch, dass der Autor ganz genau auf den Punkt gebracht hat, warum die Geschichte des Spinnenmenschen so erfolgreich verlaufen konnte und warum Spider-Man im Vergleich zu den übrigen Superhelden noch einmal ganz differenziert betrachtet werden muss. So ist „Die Welt des Netzschwingers“ ein außergewöhnliches Zeitdokument über ein außergewöhnliches Stück der amerikanischen Kultur und überdies in einer Form aufgearbeitet, von der man auch sagen muss, dass sie für heutige Standards außergewöhnlich ist. Keine Frage: Hier sind 30 € sehr gut angelegt!

http://www.paninicomics.de/

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