Derleth, August (Hg.) – Paradies II

Sieben Kurzgeschichten dokumentieren den Status der Science-Fiction in den 1950er Jahren:

– Poul Anderson: Projekt Geistesblitz („Butch“), S. 7-39: „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“, lautet ein Sprichwort; der Unterschied der Geschlechter erweist sich als Vorteil, denn als die Erdmänner den Erstkontakt mit einer außerirdischen Intelligenz katastrophal verpfuschen, bleibt eine Alternative …

– Isaac Asimov: Im Hinterhof („The Pause“), S. 39-54: Der Atomkrieg findet dank außerirdischer Einmischung nicht statt, doch haben die Friedensstifter wirklich nur das Wohl der Menschheit im Sinn …?

– Charles Beaumont: Der große Traum („Keeper of the Dream“), S. 54-64: Gibt es für die Wissenschaft eine Verpflichtung, die Welt vor allzu ernüchternden Gewissheiten zu schützen …?

– Arthur C. Clarke: Die Gedankenbotschaft („No Morning After“), S. 64-71: Der einzige Mensch, der die telepathische Warnung der Außerirdischen empfängt, ist nicht in der Stimmung, sie zu beherzigen …

– Philip K. Dick: Das Zeitschiff („Jon’s World“), S. 71-117: Die Zukunft soll mit Hilfe aus der Vergangenheit saniert werden, doch bei der Beschaffung des dafür notwendigen Wissens kommt es zu einem zeit- und dimensionserschütternden Zwischenfall …

– Robert Sheckley: Paradies II („Paradise II“), S. 117-133: Der wunderschöne Planet wird ausgerechnet durch eine fehlprogrammierten Lebensmittelfabrik zur bizarren Todesfalle …

– Clark Ashton Smith: Prometheus („Phoenix“), S. 134-144: In ferner Zukunft soll die erloschene Sonne neu entzündet werden …

_Gestalter-Profis einer vergangenen Zukunft_

Beginnen wir mit einer Widerlegung: „Weltberühmte Science Fiction-Stories“ mache Herausgeber August Derleth einst und der |Heyne|-Verlag jetzt dem Leser zugänglich, lesen wir auf dem Cover des hier vorgestellten Taschenbuches. Das trifft so keinesfalls zu; „Paradies II“ ist stattdessen Schnappschuss einer SF, die in erster Linie unterhalten möchte, wobei die Verfasser keinen (auch faulen) Trick scheuen. Routine kündet von solidem Handwerk, und so sollte man diese Geschichten lesen, um Enttäuschungen zu vermeiden. Zwar haben Verfasser mit großen Namen zu dieser Sammlung beigetragen, was freilich nicht bedeutet, dass sie sich dafür intellektuell oder literarisch verausgabt hätten.

Oder legt der inzwischen verwöhnte Leser der Gegenwart andere bzw. strengere Maßstäbe an? Die Science-Fiction hat ihre literarischen Qualitäten längst unter Beweis gestellt. 1954 war dies einerseits anders, während andererseits durchaus angemahnte Schrecken einer möglichen Zukunft generell weniger subtil thematisiert wurden.

_Die rote Gefahr ist (welt-)allgegenwärtig_

Grundsätzlich beschreibt keiner unserer sieben Autoren eine Welt, in der zukünftig das Lamm beim Löwen liegt oder Wein und Honig fließen. Bei näherer Betrachtung gehen auch in die erdfern spielenden Geschichten sehr irdische und zeitgenössische Ängste ein. Isaac Asimov (1920-1992) bringt die ganz große Furcht der 1950er Jahre offen auf den Punkt: Nicht nur die USA, sondern auch die Sowjetunion ist im Besitz der Atombombe. Sicherlich planen die roten Russen nur Böses, sodass die Guten – die Vereinigten Staaten – notgedrungen mitrüsten müssen.

Der gefahrenreichen Sinnlosigkeit des atomaren Wettlaufs ist sich Asimov bewusst. Er sorgt sich, aber er hat sich damit abgefunden, denn das ist der Preis, der für ein Leben in Freiheit zu zahlen ist; noch größer als die Angst vor der Bombe ist die Angst, den Sowjets ausgeliefert zu sein. Diese ‚realpolitische Schizophrenie‘ finden wir auch in den Storys von Poul Anderson (1926-2001) und Philip Kindred Dick (1928-1982).

In „Projekt Geistesblitz“ lässt Anderson Butch, den Außerirdischen, quasi in die Rolle des Fremden = Nicht-Amerikaners = Sowjets schlüpfen. Recht holprig und in der Auflösung albern legt der Autor immerhin die Mechanismen des Missverständnisses offen, das vor allem für Zwist sorgt. Als die Verständigungsproblematik gelöst ist, verschwindet die Gefahr eines (galaktischen) Krieges umgehend: Wer miteinander redet, schlägt sich nicht die Schädel ein. (Was allerdings keineswegs bedeutet, dass Butches Gastgeber bereit sind, den Besucher und sein Super-Wissen mit den ‚echten‘ Sowjets zu teilen – so weit geht die Analogie doch nicht …)

Arthur Charles Clarke (1917-2008) schildert humorvoll die Kehrseite der Medaille: Wollen sich die Menschen überhaupt retten lassen? Der Mann, an den sich die kosmischen Warner wenden, ist theoretisch in der Lage, die Botschaft zu verstehen. Leider unterschätzen die Außerirdischen das allzu Menschliche im Menschen: Besagter Mann hat Ärger im Job, leidet unter Liebeskummer und ist stockbetrunken. So profan zu begründende Kommunikationsprobleme sind unter den meist ungemein ernsthaft geschilderten „First contact“-Momenten der SF selten. Clarkes Scherz mag nicht gerade raffiniert sein, aber er funktioniert (heute) wesentlich besser als Asimovs theatralischer Frageschrei nach dem Bestandswert einer vom atomaren Schrecken befreiten Erde.

_Sehnsucht nach den Sternen_

In den 1950er Jahren begann der Mensch nachdrücklich nach den Sternen zu greifen. Als „Paradies II“ erschien, lag der eigentliche Sturm ins All zwar noch einige Jahre in der Zukunft, doch er zeichnete sich bereits ab. Selbstverständlich waren die zeitgenössischen SF-Autoren für die Erforschung des Alls, und dies mit einer Inbrunst, die heute naiv oder gar sträflich erscheint. Charles Beaumont (1929-1967) fasst das sicherlich unfreiwillig in überdeutliche Worte: Als der wissenschaftliche Nachweis für die Nutzlosigkeit der bemannten Raumfahrt erbracht ist, droht die Menschheit in eine kollektive Sinnkrise zu geraten. Beaumont spitzt den Fortschrittsbegriff auf die Weltraumforschung zu, die allein dem Geist noch frische Impulse zu geben und die geistige Degeneration zu verhindern vermag.

Robert Sheckley (1928-2005) ist dagegen Realist. Seine Raumfahrer durchstreifen das All nicht auf der Suche nach Wundern und Wissen. Sie wollen sich einen von Menschen bewohnbaren Planeten sichern und möglichst gewinnbringend ausbeuten. Sollte diese Welt bevölkert sein, ziehen es die ‚Besucher‘ durchaus in Betracht, die lästigen Konkurrenten unauffällig per Waffeneinsatz zu auszuschalten. Sheckley wäre allerdings nicht Sheckley, ließe er seine ‚Helden‘ nicht gerecht, grausam und einfallsreich büßen: Gier vernebelt den Verstand, und das rächt sich stets (wenn auch nicht immer so spektakulär wie hier).

Clark Ashton Smith (1893-1961) bildet das romantische Gegengewicht zu seinen naturwissenschaftlich geprägten Schriftstellerkollegen. Astronomie und Technik sind ihm nur Mittel zum Zweck, was sich daran erkennen lässt, dass die Qualität des von ihm eingeflochtenen „Techno-Babbels“ sogar im Laien den Drang zum heftigen Kopfschütteln entfacht: „Die Generatoren entzogen dem Kosmos negative Energie, die dazu verwendet wurde, die Schwerkraft eines Planeten oder einer Sonne aufzuheben.“ (S. 141). Von keiner Sachkenntnis beleckt ist auch das Bild einer erloschenen Sonne mit fester Aschekruste, unter der vulkanisches Feuer glost.

Aber Smith interessiert nicht der Weltraum, sondern der „inner space“ des zukünftigen Menschen. Ein junger Mann nimmt an einer gefährlichen Mission teil. Was Smith daran fesselt, ist die Liebesbeziehung dieses Mannes zu einer Frau, die zurückbleiben muss. Die daraus resultierenden Gefühle haben auch in der Hightech-Zivilisation einer fernen Zukunft Bestand.

Leider können entweder Smith oder sein deutscher Übersetzer die Balance zwischen glaubwürdiger Dramatik und Klischee nicht halten. Nur zeitweise entfaltet sich die erwünschte Wirkung. Damit steht Smith freilich in diesem Band nicht allein. Wenn überhaupt, so weicht allein Dick von der Einstrang-Erzähltechnik der anderen Texte ab. Schon viele Jahre vor seinem Aufstieg zum innovativsten und radikalsten Vertreter einer ’neuen‘ SF stellt er in „Das Zeitschiff“ die Frage nach der Definition von „Realität“. Dicks Universum ist eine unsichere, nicht solide auf Naturgesetzen ruhende, sondern stets im Fluss befindliche Konstruktion. 1954 ist seine Interpretation noch tastend und unausgegoren, doch sie verleiht einer ansonsten konventionellen Zeitreise-Story einen beunruhigenden Beiklang, der den anderen hier gesammelten Geschichten abgeht.

_Anmerkung_

Wie in der ins Deutsche übersetzten Science-Fiction (aber nicht nur dort) viel zu lange üblich, wurde auch „Time to Come“ gekürzt, um diese Sammlung als „Paradies II“ auf das Norm-Maß von 144 Seiten zu bringen, für die der deutsche SF-Leser nach Verlags-Ansicht nur zu zahlen bereit war. Über solche Willkür kann man heute ausgiebig den Kopf schütteln. (Allerdings wurden auch spätere US-Ausgaben von „Time to Come“ ‚verschlankt‘.)

Der Vollständigkeit halber seien die fünf Erzählungen genannt, die unterschlagen wurden:

– Arthur Jean Cox: The Blight
– Irving Cox Jr.: Hole in the Sky
– Carl Jacobi: The White Pinnacle
– Ross Rocklynne: Winner Takes All
– Evelyn E. Smith: BAXBR/DAXBR

Selbstverständlich wurde auch das Vorwort des Herausgebers August Derleth gestrichen.

_Der Herausgeber_

August William Derleth wurde am 24. Februar 1909 in Sauk City (US-Staat Wisconsin) geboren. Schon als Schüler begann er Genre-Geschichten zu verfassen; ein erster Verkauf gelang bereits 1925. Die zeitgenössischen „Pulp“-Magazine zahlten zwar schlecht, aber sie waren regelmäßige Abnehmer. 1926 nahm Derleth ein Studium der Englischen Literatur an der „University of Wisconsin“ auf. Nach dem Abschluss (1930) arbeitete in den nächsten Jahren u. a. im Schuldienst und als Lektor. 1941 wurde er Herausgeber einer Zeitung in Madison, Wisconsin. Diese Stelle hatte Derleth 19 Jahre inne, bevor er 1960 als Herausgeber ein poetisch ausgerichtetes (und wenig einträgliches) Journal übernahm.

Obwohl August Derleth ein ungemein fleißiger Autor war, basiert sein eigentlicher Nachruhm auf der Gründung von „Arkham House“ (1939), des ersten US-Verlags, der speziell phantastische Literatur in Buchform veröffentlichte. Der junge Derleth war in den 1930er Jahren ein enger Freund des Schriftstellers H. P. Lovecraft (1890-1937). Dass dieser heute als Großmeister des Genres gilt, verdankt er auch bzw. vor allem Derleth, der (zusammen mit Donald Wandrei, 1908-1987) das Werk des zu seinen Lebzeiten fast unbekannten Lovecraft sammelte und druckte.

Lovecraft hinterließ eine Reihe unvollständiger Manuskripte und Fragmente. Derleth nahm sich ihrer an, komplettierte sie in „postumer Zusammenarbeit“ und baute den „Cthulhu“-Kosmos der „alten Götter“ eigenständig aus. Die Literaturkritik steht diesem Kollaborationen heute skeptisch gegenüber. Als Autor konnte Derleth seinem Vorbild Lovecraft ohnehin nie das Wasser reichen. Er schrieb für Geld und erlegte sich ein gewaltiges Arbeitspensum auf, unter dem die Qualität zwangsläufig litt.

Solo war Derleth mit einer langen Serie mehr oder weniger geistvoller Kriminalgeschichten um den Privatdetektiv Solar Pons erfolgreich, der deutlich als Sherlock-Holmes-Parodie angelegt war. Insgesamt veröffentlichte Derleth etwa 100 Romane und Sachbücher sowie unzählige Kurzgeschichten, Essays, Kolumnen u. a. Texte; hinzu kommen über 3000 Gedichte.

Nach längerer Krankheit erlag August Derleth am 4. Juli 1971 im Alter von 62 Jahren einem Herzanfall. Zum zweiten Mal verheiratet, lebte er inzwischen wieder in Sauk City, wo er auf dem St.-Aloysius-Friedhof bestattet wurde.

Websites:

– [derleth.org]http://www.derleth.org (The August Derleth Society)
– [waldeneast.co.uk]http://www.waldeneast.co.uk/index__ad.htm (The Only Place We Live: The August Derleth Pages)
– [arkhamhouse.com/augustderleth.htm]http://www.arkhamhouse.com/augustderleth.htm

_Impressum_

Originaltitel: Time to Come (New York : Farrar, Straus & Young 1954)
Übersetzung: Wulf H. Bergner
Deutsche Erstausgabe: 1970 (Wilhelm Heyne Verlag/SF Nr. 06/3181)
144 Seiten
[keine ISBN]
http://www.heyne.de

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