Dexter, Pete – Train

Pete Dexter ist ein Autor, der sich schon zu mehreren Gelegenheiten einen Namen gemacht hat, hierzulande aber dennoch nur einen eher geringen Bekanntheitsgrad verweisen kann. 1988 gewann er mit seinem Roman „Paris Trout“ (zu deutsch „Tollwütig“) den National Book Award. Unter anderem schrieb er die Drehbücher für die Filme „Rush“ und „Nach eigenen Regeln“. Nun geht Dexter mit seinem aktuellen Roman „Train“ in Deutschland erneut an den Start.

Wir schreiben das Jahr 1953. In den USA wird die Rassentrennung weitestgehend immer noch praktiziert, so auch in dem renommierten Golfclub |Brookline| in Los Angeles. Die weißen Mitglieder spazieren über die schmucken, frischgrünen Fairways, während die schwarzen Caddies ihnen die Taschen hinterhertragen. Einer der Caddies ist der siebzehnjährige Lionel Walk, mit Spitznamen ‚Train‘ genannt.

Auch Detective Miller Packard vom LAPD spielt in Brookline Golf, und er ist der Erste, der entdeckt, dass Train nicht nur ein brauchbarer Caddie ist, sondern vor allem auch selbst ein talentierter Golfer. Doch dann trennt das Schicksal die beiden wieder, bevor es sie richtig zusammengeführt hat. Zwei Caddies des Clubs werden in ein Verbrechen verwickelt, worauf alle schwarzen Caddies entlassen werden, aus Angst um den guten Ruf des Clubs.

Die beiden Caddies haben einen reichen Mann erschossen und dessen Frau Norah vergewaltigt. Packard übernimmt den Fall und verliebt sich dabei in Norah. Schon kurze Zeit später zieht Packard bei ihr ein und er spürt auch Train im Laufe der Zeit wieder auf. Packard nimmt den talentierten Golfer unter seine Fittiche und lässt ihn zusammen mit seinem Kumpel Plural in Norahs Gästehaus wohnen. Doch dann nimmt das Schicksal wieder seinen verhängnisvollen Lauf …

„Train“ ist ein insgesamt faszinierendes Buch. Dexter versteht es, mit dem Leser zu spielen. Er fordert ihn, lenkt ihn und stößt ihn dann wieder vor den Kopf. „Train“ zu lesen, ist in gewisser Weise ein wenig verstörend und überraschend. Der Autor baut seinen Roman zunächst wie einen Thriller auf. Er stellt die Figuren vor, zeigt ihre positiven Züge, verschweigt aber auch ihre Schattenseiten nicht. Jede Figur hat eine gewisse Ambivalenz, und so tut sich der Leser schwer, seine Sympathien zu verteilen.

Besonders zwiespältige Figuren sind Train und Miller Packard. Train ist als Hauptfigur und Titelheld der erste Sympathieträger der Geschichte. Dabei hat auch er eine sehr düstere Seite, fürchtet sich nicht zu Unrecht vor der Polizei, hat er sich doch eines Mordes schuldig gemacht. Dennoch schafft man es nicht, Train seine Sympathien zu entziehen.

Ähnlich ergeht es einem mit Miller Packard. Packard ist jemand, der den Menschen hinter die Fassade schaut. Für ihn ist augenscheinlich unwichtig, dass Train schwarz ist. Er sieht nur den talentierten Golfer, den er fördern möchte. Das verschafft ihm beim Leser erst einmal ein ungemeinen Sympathiebonus. Als Packard dann aber im Fall der beiden Caddies ermittelt, muss der Leser schnell seine Meinung revidieren, und das fällt nach Packards sympathischem Auftakt sehr schwer. Packards Verhalten ist durch nichts zu entschuldigen, und doch mag man als Leser nicht so recht glauben, dass der Mann so skrupellos und knallhart agieren kann, wie er es tut.

Packard ist so gesehen die interessanteste Figur. Er steht jenseits von Gut und Böse. Obwohl er eigentlich auf der Seite von Recht und Ordnung stehen sollte, geht er mehr als nur einen Schritt zu weit. Das verleiht ihm eine unheimliche Aura, die in gewisser Weise faszinierend wirkt. Und genau das ist letztendlich das Hinterhältige an Dexters Figurenzeichnung: Er verwischt die Übergänge zwischen Gut und Böse, lässt den Leser Sympathien verteilen, die er später zurücknehmen möchte, und stellt damit dessen Wertvorstellungen auf die Probe.

„Train“ ist der Art nach ein Krimi Noir, ähnlich wie James Ellroys [„L.A. Confidential“. 1187 Aber so wie der Leser sich mit Blick auf die Figuren keine allzu feste Meinung bilden sollte, muss er auch mit Blick auf das Genre offen bleiben. „Train“ wird wie ein Krimi aufgebaut, entwickelt eine düstere und unheilvolle Atmosphäre, läuft aber letztendlich auf etwas ganz anderes hinaus. Dexter webt einen dichten Spannungsbogen. Man hegt als Leser so manche böse Vorahnung, wird aber auch darin erneut von Dexter herausgefordert.

Er gibt dem Leser nicht genau das, was er erwartet und was das Genre ihm vorgibt. Er bricht aus der vorgefassten Form aus und konzentriert sich am Ende voll und ganz auf seine Figuren. Der Spannung tut das keinen Abbruch. Man spürt, dass Konfliktpotenzial in der Luft ist. Die Spannung zwischen den Figuren knistert geradezu, auch wenn sie irgendwie diffus bleibt, und man weiß ganz genau, dass diese Personenkonstellation auf etwas Unheilvolles hinauslaufen wird. Und doch verläuft das Ganze dann anders, als man zunächst vorausahnen mag.

Dexters Stärke ist vor allem seine eindringliche Figurenzeichnung. Besonders Train als Hauptfigur des Romans wirkt sehr plastisch. Man fühlt mit ihm und scheint ihm trotz seiner unergründlichen dunklen Seite stets sehr nah zu sein. Die übrigen Figuren sind da schon eine größere Herausforderung. Packard bleibt von allen Figuren am rätselhaftesten. Er lässt sich nur schwer begreifen, wirkt unberechenbar und kompensiert seine sympathischen, menschlichen Züge durch eine düstere, unheilvolle und skrupellose Seite, deren Ausmaß sich schwer erfassen lässt. Der Roman wirkt vor allem durch den Gegensatz dieser beiden Figuren, die der Autor getrennt voneinander beobachtet, besonders spannungsreich.

Auf diesem Spannungsfeld begründet sich die gesamte Atmosphäre des Romans. Dexter pflegt einen sehr klaren und schnörkellosen Stil, erzählt sehr prägnant und kommt ohne viel schmückendes Beiwerk aus. Fast schon nüchtern wirkt seine Erzählweise, die in ihrer Klarheit die atmosphärische Dichte des Romans unterstreicht. Doch diese Einfachheit ist wirklich nur oberflächlich. „Train“ fordert den Leser stets aufs Neue heraus, führt ihn an der Nase herum und fordert ihn immer wieder heraus, seine Position zu überdenken, und übt ganz nebenbei noch unterschwellig Kritik an gesellschaftlichen Konventionen.

Bleibt unterm Strich festzuhalten, dass Pete Dexter mit „Train“ einen Roman abgeliefert hat, der vielschichtiger ist, als er auf den ersten Blick erscheinen mag. Die Lektüre ist gewissermaßen eine Herausforderung, der zu stellen sich aber durchaus lohnt. Man kommt in den Genuss außerordentlich präzise gezeichneter Figuren (besonders im Fall der Hauptfigur Train) und einer atmosphärisch dichten, geradezu unheilvoll knisternden Spannung, die Dexter in einer klaren und prägnanten Sprache verpackt.

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