DiCamillo, Kate – wundersame Reise von Edward Tulane, Die

Kate DiCamillo zählt im Kinder- und Jugendbuchgenre zu den ganz Großen. Bereits mit ihrem Debütwerk „Winn-Dixie“, welches auch verfilmt wurde, gelang ihr der internationale Durchbruch. Die wundervolle Geschichte von „Despereaux – Von einem, der auszog das Fürchten zu verlernen“ stand in den USA monatelang in den Bestsellerlisten und wurde in Deutschland mit Preisen überhäuft, aber „Die wundersame Reise von Edward Tulane“ steht dem in nichts nach …

Darf ich vorstellen – Edward Tulane: |“In einem Haus in der Egypt Street lebte einst ein Porzellanhase. Er hatte Arme aus Porzellan und Beine aus Porzellan. Er hatte Pfoten aus Porzellan und einen Kopf aus Porzellan, er hatte einen Porzellanbauch und eine Porzellannase. Seine Ellbogen und seine Knie ließen sich bewegen, weil die Gelenke mit Draht verbunden waren. Seine Ohren waren aus echtem Hasenfell und auch unter dem Fell steckten biegsame Drähte. Deshalb konnte man die Ohren so stellen, wie sie der jeweiligen Stimmung des Hasen entsprachen: fröhlich, müde, begeistert oder gelangweilt. Sein weiches, wohlgeformtes Hasenschwänzchen war ebenfalls aus Hasenpelz“.| Das ist also Edward Tulane, der Held der vorliegenden Geschichte.

Edward gehört der kleinen Abilene Tulane und ist ein ganz außergewöhnlicher Hase mit einer sehr exquisiten Garderobe aus feinen handgenähten Seidenanzügen. Jeden Morgen zieht Abilene Edward einen schicken Anzug an, setzt ihn liebevoll auf einen Stuhl, zieht seine Taschenuhr auf und zeigt ihm, wann sie wieder bei ihm zu Hause sein wird. Und jeden Abend zieht Abilene Edward einen Schlafanzug an und legt ihn behutsam in sein Hasenbettchen. Doch obwohl Abilene Edward über alles liebt und ihn wie einen Menschen behandelt, hat Edward wenig Gefühle für Abilene übrig, er mag sie zwar, aber wenn sie ihm etwas erzählt, hört er eher gelangweilt mit einem seiner biegsamen Hasenohren zu. Als Abilene mit ihren Eltern auf eine Kreuzfahrt geht, begleitet auch Edward seine Familie, doch an Bord wird er Opfer eines üblen Jungenstreiches. Ein paar freche Jungen entkleiden ihn völlig und werfen ihn über Bord. Edward fällt ins Wasser und sinkt und sinkt und sinkt.

Unten am Meeresboden liegt er dann für lange Zeit einsam und alleine und kann nicht einmal seine Augen schließen, weil diese ja nur aufgemalt sind und sich daher nicht zuklappen lassen. Auch die funkelnden Sterne kann Edward nicht mehr sehen, doch hat er die Hoffnung auf Rettung noch nicht aufgegeben. Bei einem Sturm wird Edward schließlich von einer Riesenwelle hoch gewirbelt und verfängt sich beim erneuten Sinken in einem Fischernetz. Edwards Rettung naht, denn der freundliche Fischer nimmt Edward zu seiner sympathischen Frau mit, die Edward kurzerhand Susanna nennt und den armen Edward in ein Rüschenkleid steckt …

Das ist natürlich noch nicht das Ende von Edward/Susanna Tulanes wundersamer Reise, doch soll jeder selbst lesen, welche Abenteuer Edward noch zu überstehen hat, welche Stationen er noch bereist und welchen Menschen er dabei begegnet. Selten habe ich ein so gefühlvolles und herzerweichendes Buch gelesen wie dieses. Kate DiCamillo beweist ein wunderbares Geschick und eine überragende Erzählkunst, in gefühlvollen Worten bringt sie uns Edwards stolzes, aber doch so verletzliches Wesen näher. Mit vielen Adjektiven wird die Erzählung ausgeschmückt, sodass wir uns alles ganz fantastisch vorstellen können. Unterstützt wird dies noch durch die herrlichen und lebensechten Zeichnungen von Bagram Ibatoulline, welche „Die wundersame Reise von Edward Tulane“ zu einem optischen Hochgenuss machen. In meist farbigen und überaus detailreichen Zeichnungen haucht Ibatoulline Edward und seinen Bekannten Leben ein, seine Bilder sehen fast aus wie Fotos, so hervorragend schafft es Ibatoulline, die Stimmungen und Gesichtszüge der Figuren einzufangen.

An diesem Buch stimmt einfach alles, jede Zeile ist ein echter Leckerbissen. Kate DiCamillo hat eine wunderbare Geschichte geschrieben, die unglaublich viel enthält. DiCamillo preist die Liebe und zeigt anhand von Edwards herzzerreißendem Schicksal, wie wichtig Liebe und Hoffnung sind, denn ohne die Liebe zu Menschen und die Hoffnung auf Rettung hätte Edward Tulane seine gefährliche Reise sicher nicht überstanden. Am Ende ist es dann eine antike Puppe, die Edward die aufgemalten Augen öffnet für seine Zukunft.

Zu Beginn des Buches ist Edward Tulane ein eingebildeter und verwöhnter Hase, der sein komfortables Leben für selbstverständlich hält, doch bereits die Bekanntschaft mit dem dunklen und einsamen Meeresboden zeigt ihm, wie wertvoll das Leben gewesen ist, das er einst leben durfte. Doch auch in den düstersten Stunden unter Wasser gibt Edward die Hoffnung nicht auf, eines Tages von Abilene gerettet zu werden. Edward lernt die verschiedensten Menschen kennen auf seiner Reise, von denen er immer wieder etwas Wichtiges lernt. Besonders beeindruckend verhält sich der kleine Bryce, der ein großes Opfer bringt, um Edward zu retten und der trotz seiner Jugend bereits richtig erwachsen wirkt.

Fein eingewoben in diese traumhaft schöne Geschichte entdeckt der aufmerksame Leser kleine Botschaften fürs Leben von Kate DiCamillo, die eher für den erwachsenen Leser geschrieben sind. Zwar wird das Lesealter der „wundersamen Reise von Edward Tulane“ ab acht Jahren angegeben, doch würde ich dieses wunderschöne Buch eher älteren Buchfreunden ans Herz legen, die auch die kleinen Feinheiten entdecken können. Schon nach wenigen Seiten ist dieses Buch in meine persönliche Bestsellerliste aufgestiegen und wird dort mit Sicherheit auch immer bleiben. „Die wundersame Reise von Edward Tulane“ habe ich zwar gerade erst ausgelesen, aber ich werde es gleich wieder von vorne beginnen und sicher noch viele weitere Male lesen. Bei diesem Buch gilt auf jeden Fall Elke Heidenreichs Motto: „Lesen!“.

http://www.cecilie-dressler.de

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