Donnelly, Jennifer – Blut der Lilie, Das

Vor zwei Jahren hat Andi auf tragische Weise ihren kleinen Bruder Truman verloren. Seitdem ist nichts mehr so, wie es mal war. Ihre Mutter hat schwere Depressionen und malt den ganzen Tag Portraits ihres toten Sohnes. Ihr Vater hat sich von der Familie abgewendet und lebt sein eigenes Leben, in dem für Andi und erst recht für seine Frau kein Platz mehr ist. Er ist erfolgreicher Wissenschaftler – mit dem Nobelpreis ausgezeichnet – und hat bereits eine neue Freundin, die von ihm schwanger ist. Andi dagegen ist völlig allein und hat nur ihre Musik. Auch in der Schule bringt sie nicht mehr die Leistungen wie zuvor, stattdessen wirft sie in einer Tour Medikamente ein. Nur einen guten Freund hat sie, der immer für sie da ist und sie versteht. Doch niemandem außer ihren Eltern hat sie erzählt, was damals bei Trumans Tod vorgefallen ist, für den sie sich immer noch die Schuld gibt.

Eines Tages stellt ihr Vater ihr ein Ultimatum: Er bringt seine Frau in eine Klinik, in der ihre Depressionen behandelt werden sollen. Und Andi nimmt er mit nach Paris, wo sie das Konzept für ihre Abschlussarbeit schreiben soll, denn Andi hat sich bereits aufgegeben und beschlossen, die Abschlussprüfung nicht mehr zu machen. Nur widerwillig fliegt Andi mit ihrem Vater nach Paris.

Dort arbeitet ihr Vater an einem wissenschaftlichen Projekt, das den Ursprung eines kleinen mumifizierten Herzens klären soll. Ein Freund von Andis Vater glaubt, dass es sich dabei um das Herz des kleinen Louis Charles handelt, dem verlorenen König Frankreichs, der in den Wirren der Französischen Revolution von den Gegnern des Königs eingesperrt worden ist und im Gefängnis vereinsamt und unter Qualen gestorben ist.

Durch Zufall findet Andi in einem Gitarrenkoffer ein kleines Tagebuch von Alex, die im 18. Jahrhundert die Gesellschafterin des kleinen Prinzen Louis Charles gewesen ist und für ihn ihr Leben aufs Spiel gesetzt hat. In dem Tagebuch schildert sie die Ereignisse nach dem Sturz des Königs – in einer Zeit, in der sie sich selbst in Gefahr gebracht hat, um vielleicht doch noch Louis Charles zu retten. Andi versinkt völlig in der Geschichte und identifiziert sich immer mehr mit Alex, die sich ebenfalls für das Leben eines kleinen Jungen verantwortlich fühlt …

_Pariser Geschichten_

Zunächst lernen wir Andi kennen, die auch zwei Jahre später noch jede Minute um ihren kleinen Bruder trauert. Andi ist ein gebrochenes junges Mädchen, das sich für den Tod ihres kleinen Bruders verantwortlich fühlt. Sie will die Schule abbrechen und findet nur in der Musik Erlösung. Stundenlang kann sie Gitarre spielen und ihre Gedanken schweifen lassen. Doch in Paris wird sie gezwungen, sich mit dem Schicksal eines Komponisten und mit dem eines ebenfalls jungen Mädchens auseinanderzusetzen. Das Lesen in dem Tagebuch wird für Andi eine Sucht, immer wieder greift sie zu dem kleinen Büchlein und vergisst um sich herum die ganze Welt. Das Tagebuch wird für sie zu einem Rettungsanker, da sie in Alex eine Seelenverwandte entdeckt, mit der sie sehr viel gemeinsam hat. Und so wird Alex‘ Mission, den kleinen Prinzen zu retten, ihre eigene – so könnte sie vielleicht einen Teil ihrer eigenen Schuld loswerden, wenn Alex es nur schaffen würde, Louis Charles zu befreien. Doch schafft Alex dies?

Jennifer Donnelly schildert in vielen Details die dramatischen Ereignisse in der Französischen Revolution. Dabei legt sie den Schwerpunkt auf den Thronfolger Louis Charles, der nicht wie seine Eltern getötet, sondern in den Kerker geworfen wurde. Dort vereinsamt er allerdings völlig und geht daran schlussendlich zugrunde. Nur ein mutiges junges Mädchen versucht, mit bunten Feuerwerken dem kleinen Prinzen ein Zeichen zu geben, dass sie an ihn denkt und dass noch nicht alles verloren ist.

Donnelly erzählt zwei Geschichten parallel – einmal die von Andi in der Neuzeit und dann die im 18. Jahrhundert. Beide sind eng miteinander verwoben und entwickeln sich gleichzeitig weiter. In beiden jungen Mädchen entdecken wir viele Parallelen, beide scheinen Seelenverwandte zu sein, die nur an das Wohl eines kleinen Jungen denken und ihr eigenes dafür zurückstellen.

Je mehr Andi in dem Tagebuch liest und je mehr sie sich in den Wirren der Französischen Revolution verliert, umso mehr nimmt Donnelly auch uns gefangen. Ebenso wie Andi hofft man selbst auf das Wunder, dass Alex doch irgendwie den kleinen Prinzen retten kann. Als sie zu scheitern scheint und ihr letzter Tagebucheintrag blutbefleckt ist, bekommt Andi selbst die Chance – denn plötzlich findet sie sich im 18. Jahrhundert wieder und wird überall mit Alex verwechselt. Schafft Andi das, was ihrer Seelenverwandten nicht gelungen ist?

Geschickt verbindet Jennifer Donnelly beide Geschichten und lässt in ihrer Erzählung den Spannungsbogen immer weiter ansteigen. Nur ein Manko hat die Geschichte aus meiner Sicht, und zwar Andis Ausflug ins 18. Jahrhundert. Im einen Moment flüchtet sie noch durch die Pariser Katakomben, um im nächsten Moment schon den bekannten Komponisten zu treffen, über den sie ihre Abschlussarbeit schreiben möchte. Und er rettet sie aus den Katakomben und nimmt sie bei sich auf. Andi schlüpft in Alex‘ Rolle, zündet weiter Feuerwerke und riskiert nun auch ihr Leben für den kleinen Prinzen. Diese kleine Zeitreise (die ja vielleicht auch doch nur in Andis Kopf stattgefunden hat?!) hat mich etwas befremdet und ging mir einen Schritt zu weit.

_Starke Frauen_

Super gelungen sind Jennifer Donnelly ihre Protagonistinnen. Andi und Alex sind beides starke Persönlichkeiten mit einem schweren Schicksal, das sie immer wieder verzweifeln und manchmal auch aufgeben lässt. In ihrer Trauer kommt man Andi recht nahe, auch wenn ihre Handlungen oftmals nicht nachvollziehbar sind, doch wünscht man ihr umso mehr, dass sie doch ihr Glück finden möge – und zwar nicht nur in der Flucht in die Musik, sondern im wirklichen Leben. Sowohl mit Andi als auch mit Alex fiebert man mit, drückt ihnen die Daumen und hofft, dass ihre jeweiligen Geschichten ein positives Ende finden werden. Beide jungen Frauen sind die Stützpfeiler der gesamten Geschichte und tragen sie ganz hervorragend!

_Genial mit wenigen Abstrichen_

Insgesamt hat mich Jennifer Donnellys neuester Roman fast vollkommen überzeugt – nur diese kleine Zeitreise (wenn es denn eine war) ins 18. Jahrhundert hätte nicht sein müssen, das war mir doch zu abgefahren. Die beiden Geschichten, die Donnelly parallel erzählt, sind aber beide so spannend, dass man beim Lesen genau wie Andi vollkommen die Zeit vergisst und in der Erzählung versinkt. Ein kleiner Kritikpunkt geht jedoch an den Verlag, denn in dem Buch häufen sich leider die Rechtschreibfehler. Oftmals sind Buchstaben zu viel oder zu wenig, dann gibt es Buchstabendreher oder ein überflüssiges Wort. Das sollte in dieser Häufung definitiv nicht passieren, denn die hohe Anzahl der Fehler trübt den Gesamteindruck des ansonsten sehr schönen Buches doch ein wenig.

|Hardcover: 448 Seiten
Originaltitel: Revolution
ISBN-13: 978-3866122888|
[www.piper-verlag.de/pendo]http://www.piper-verlag.de/pendo

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