Donovan, Gerard – Ein bitterkalter Nachmittag

Gerard Donovoan hat seinen letzten Roman „Winter in Maine“ ohne großes Tamtam in die Bestsellerlisten gebracht und damit eine Randerscheinung der modernen Belletristik erschaffen, deren faszinierende Ausstrahlung und Aussagekraft einen der zeitlosesten literarischen Momente der Jetztzeit formte. Dabei schien gerade im fehlenden Spektakel der vergleichsweise brutalen Story die Würze zu liegen – und auch Donovans Ursprung. Bereits fünf Jahre zuvor hatte er sich eher zufällig an ein Buchprojekt gewagt, aus dem erst mit fortschreitender Seitenzahl die Idee zu einem Roman reifte. „Ein bitterkalter Nachmittag“, so der Titel des Autoren-Debüts, ist im Hinblick auf die spontane Geschichte, die dem Projekt zugrunde liegt, jedoch ein unheimlich schwieriges Stück zeitgenössische Literatur – und auch im Hinblick auf die moralischen Aspekte des Buches eine komplexe Arbeit. Doch in Sachen Intensität mangelt es auch Donovans erstem Werk in der Gesamtbetrachtung nicht!

_Story:_

Winter, irgendwo zu irgendeiner Zeit in Europa: Mitten auf einem großen Feld wird ein junger Mann während des umliegenden Kriegstreibens dazu aufgefordert, ein großes Loch auszuheben. Unter der Aufsicht eines einstigen Lehrers, der unter anderem auch den Bruder des Mannes unterrichtete, muss er zum Ende des Tages schaufeln und seine Arbeit fertigstellen – ansonsten droht eine zunächst nicht näher benannte Konsequenz. Doch der Lehrer und sein sich widersetzender Schützling erleben jenen Nachmittag jenseits des bestehenden Autoritätsverhältnisses; in immer abstrakteren Gesprächen tauschen sie sich über Geschichte, Philosophisches und zuletzt auch über die Situation aus, die sie umgibt. Doch niemand ist bereit, Kompromisse einzugehen und sich die Meinung des jeweils anderen aufdringen zu lassen – bis schließlich eine ungeahnte Eskalation droht …

_Persönlicher Eindruck:_

Was für eine sperrige Geschichte! Und sie könnte für diesen Autor, von dem abseits des hier vorliegenden Buches nur der oben angeführte Titel bekannt ist, kaum typischer sein. Erneut ist die vorrangige Auseinandersetzung mit der Situation und den damit verbundenen Charakteren ausschließlich auf einen sehr geringen Personenkreis beschränkt, was grundsätzlich dafür sprechen müsste, dass die Ausgangslage klar definiert und leicht nachzuvollziehen ist. Irrtum! Denn Donovan offenbart sich wieder als Geheimniskrämer vom Dienst, der alles zulässt, aber eben nicht den unmittelbaren Bezug zu seinen tragenden Säulen, in diesem Fall der Bäcker und der Lehrer.

Dabei beginnt alles sehr offen und transparent: Der Bäcker wird aus noch ungeklärten Gründen zu jener Grube gebeten, die er in den nächsten Stunden ausheben soll. An dieser wartet bereits der Lehrer, der aus ebenfalls nicht näher definierter Ursache die Aufsicht für den Grabschauflungs-Prozess koordinieren soll – und die beiden kommen ins Gespräch. Dabei sind die Positionen eigentlich klar, schlussendlich aber nicht wirklich geklärt. Es besteht zwar eine Autorität dahingehend, dass die Aufgabenverteilung der beiden Persönlichkeiten geklärt ist, aber über dies hinaus besteht „Ein bitterkalter Nachmittag“ bis hin zum ziemlich bizarren Finale lediglich aus versteckten Andeutungen, interessanten Dialogen und einem Schriftbild, welches man aufgrund seiner intelligenten Verknüpfungen und Verquickungen durchaus als atemberaubend bezeichnen kann.

Doch was geschieht? Gute Frage, denn ‚es‘ auf den Punkt zu bringen, ist in der Analyse des Donovan-Debüts nahezu unmöglich. Die Dialoge sind das Vordergründige, und sie sind oft faktisch und auf eine ganz perfide Art und Weise auch emotional inszeniert, aber am Ende auch wieder nüchtern und sturköpfig vorgetragen. Die beiden Charaktere sind entschlossen, sich in irgendeiner Form gegen den jeweils anderen durchzusetzen und ihren Standpunkt zu wahren. Doch die Gründe für die Verbissenheit werden eben nicht näher angeführt, bleiben eine leise, stille Ahnung. Erst im allerletzten Abschnitt scheint sich das Ganze aufzulösen, und dies – man muss leider ‚bedauerlich‘ sagen – auf eine recht radikale Art. Der Bäcker präsentiert sich in einem noch finstereren Licht als in den einzelnen Kapiteln der Hauptstory, während der Lehrer eine Zerbrechlichkeit zur Schau stellt, die man nun absolut nicht voraussehen konnte. Die Quintessenz der Erzählung ist dementsprechend erschreckend hart, was man von diesem Autor ja auch genau so gewohnt ist. Aber irgendwie fehlt gerade in jener Endsequenz die Feinfühligkeit, den Plot auch fließend abzurunden und ihn eben nicht in einem Radikalschlag zu beenden. Das, was sich später in „Winter in Maine“ wie die Vollendung einer wunderbar-brutalen Story darstellte, ist in „Ein bitterkalter Nachmittag“ bei Weitem nicht so stark ausgeprägt und führt schließlich dazu (und auch davon kann man nicht absehen), dass man Donovan eine rapide Entwicklung bei der Konzipierung seiner Geschichten attestieren muss – dies aber im unvermeidbaren Vergleich zu deutlichen Ungunsten von „Ein bitterkalter Nachmittag“.

Andererseits ist der erste Roman des aufsteigenden Schriftstellers definitiv eine lohnenswerte Lektüre, zwar nicht das belletristische Meisterwerk, welches man sich nach der brillanten Vorgabe erträumt hatte, aber dennoch ein Roman, der vieles über uns Menschen sagt – und noch mehr über die Verkörperung und Umsetzung von Einstellungen bis hin zum absoluten Überlebenskampf.

|Hardcover: 336 Seiten
Originaltitel: Schopenhauer’s Telescope
ISBN-13: 978-3630873428|
[www.randomhouse.de/luchterhand]http://www.randomhouse.de/luchterhand

_Gerard Donovan bei |Buchwurm.info|:_
[„Winter in Maine“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6004

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