Arthur Conan Doyle – Sherlock Holmes Collectors Edition I (Vier Hörspiele)

Für nostalgische Freunde von Holmes & Watson

Die Sammleredition bietet die Hörspiele zu vier von Arthur Conan Doyles besten Fällen, die der Meisterdetektiv Sherlock Holmes zu lösen hatte. Darunter dürfte so mancher Fall sein, den man schon kennt, allerdings wurde meines Wissens keine der vier Geschichten bislang verfilmt.
Empfohlen ab 12 Jahren.

Der Autor

Sir Arthur Conan Doyle lebte von 1859 bis 1930 und gelangte mit seinen Erzählungen um den Meisterdetektiv Sherlock Holmes zu Weltruhm. Dabei begann der Mediziner, der eine eigene Praxis hatte, erst 1882 mit dem Schreiben, um sein Einkommen aufzubessern. Neben mystischen und parapsychologischen Themen griff er 1912 auch die Idee einer verschollenen Region (mit Dinosauriern und Urzeitmenschen) auf, die von der modernen Welt abgeschnitten ist: „The Lost World“ erwies sich als enorm einflussreich und wurde schon 13 Jahre später von einem Trickspezialisten verfilmt.

Die Sprecher und Sprecherinnen

Es ist schon etwas seltsam, aber das Hörbuch enthält keine Zuordnung von Sprechern und Rollen. Folgende Sprecher sind auf dem Titelbild aufgelistet:

Christian Rode, Udo Schenk, Joachim Kerzel, Manfred Lehmann, Peter Groeger, Norbert Langer, Charles Rettinghaus, Eckart Dux, Reent Reins. An dieser Liste fällt die Abwesenheit von Sprecherinnen besonders peinlich auf.

Meine Info zu Joachim Kerzel: Joachim Kerzel, 1941 in Hindenburg/Oberschlesien geboren, erhielt seine Ausbildung an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover. Als gefragter Synchronsprecher leiht er Jack Nicholson, Dustin Hoffman, Dennis Hopper und vielen anderen Stars seine sonore Stimme. Ganz besonders im Gedächtnis geblieben ist mir seine Beteiligung an der Hörbuchfassung von Stephens Kings „Das Mädchen“, die er zusammen mit Franziska Pigulla bestritt. Seine sonore Stimme macht aus jedem Gegenstand etwas Grandioses.

Christian Rode, der vermutlich die Titelfigur spricht, ist auch die deutsche Synchronstimme von Sean Connery. Udo Schenk wurde 1954 geboren und lebt zur Zeit in Berlin. Er hat bereits zahlreiche Film- und Fernsehrollen gespielt und ist ein gefragter Synchronsprecher: Schenk ist die deutsche Stimme von Kevin Spacey („American Beauty“), Kevin Bacon („Echoes“) oder auch Ralph Fiennes in „Der englische Patient“.

Handlung von „Das Haus bei den Blutbuchen“ (ca. 63 Min.)

Holmes überlegt, ob er das seltsame Ansinnen einer gewissen Violet Hunter beachten soll. Sie fragt ihn nämlich brieflich, ob sie den Posten einer Gouvernante annehmen soll. Ist er neuerdings Berufsberater? Und da kommt sie auch schon, nach fünf Jahren plötzlich arbeitslos. Ihre einzige Chance sei es, für diesen merkwürdigen Mr. Rucastle in seiner Villa Blutbuchen als Kindermädchen seines Sohnes zu arbeiten. Aber merkwürdig: Sie soll zuvor ihr wunderschönes Haar abschneiden! Holmes bezweifelt dennoch die Seriosität des Angebots nicht.

Wie man sich irren kann! Watson als Erzähler schüttelt verbal den Kopf. Denn schon bald schickt Violet Hunter Briefe, die alles andere als beruhigend wirken. Die Nachrichten aus den Briefen werden szenisch nachgestaltet. Es gibt einen finsteren Butler, der der Einzige ist, dem der Bluthund gehorcht. Der Junge, um den sie sich kümmern soll, ist ein Tierquäler, und der Dachboden ist eine verbotene Zone. Allnächtlich taucht zudem ein junger Mann vor der Villa auf, der etwas von ihr zu wollen scheint.

In der Tat: Hier geht es nicht mit rechten Dingen zu, finden Holmes und Watson und machen sich auf den Weg nach Winchester, um der Villa Blutbuchen einen Besuch abzustatten. Sie ahnen nicht, dass sie sich in Gefahr begeben müsen, um ein Leben zu retten.

Handlung von „Der blaue Karfunkel“ (54:33 Min.)

Ein Mann wird in London spätabends überfallen, und der Dienstmann Jim Peterson eilt ihm zu Hilfe. Doch seltsamerweise eilt der Überfallene ebenso von dannen wie seine Peiniger. Das, was er zurücklässt, nimmt der brave Jim vorsichtshalber an sich und bringt es seiner Frau Betty: eine so schöne Gans käme doch zu Weihnachten gerade recht, oder? Da wäscht sie ihm erst einmal den Kopf: Was er sich da eingebrockt habe? Und woher komme denn der blaue Edelstein, den sie im Hals der Gans gefunden habe?!

Statt zur Polizei, die Jim sicher verdächtigen würde, schickt Betty ihn zu Sherlock Holmes, für den ihr Sohn schon Spitzeldienste erledigt und Jim schon Depeschenzustellung erledigt hat. Holmes ist sofort im Bilde: Der Edelstein ist „Der blaue Karfunkel“, ein chinesisches Juwel, auf dessen Weg schon einige Verbrechen passiert sind. Es gehört der Gräfin Morcar, die danach schon seit Tagen per Zeitungsinserat suchen lässt.

Der Klempner Horner wurde unschuldig verhaftet, weil er den Stein gestohlen habe. Doch neben dem Stein und der Gans gehört zu Jims Fundsachen auch ein Hut, der die Initialen seines Besitzers trägt: H. B. Nach diesem lässt Holmes per Annonce suchen: Er möge seinen Hut und seine Gans abholen. Vom Stein sagt er kein Wort. Aber auf dem Weg, den die Gans gegangen ist, stoßen er und Watson vielleicht auf den wahren Dieb und können so einen Justizirrtum verhindern.

Handlung von „Das Musgrave-Ritual“ (ca. 79 Min.)

Der gute Dr. Watson regt sich mal wieder über die Unordnung auf, die in der Wohnung seines Freundes herrscht. Zudem macht Holmes gefährliche chemische Experimente! Schließlich droht Watson auszuziehen. Da lenkt Holmes endlich ein, aber es kommt dann doch nicht zum Aufräumen, denn er findet Material aus seinen frühen Fällen, seine „Reliquien“. Dazu gehört auch ein großer Leinenbeutel aus dem Fall, den er das „Musgrave-Ritual“ nennt. Sofort will Watson mehr darüber hören.

Sir Reginald Musgrave, der aus sehr altem englischen Adel stammt, besuchte Holmes, seinen ehemaligen Kommilitonen, in dessen bescheidener Wohnung in der Montague Street. Er bewundert Holmes’ Methoden und bittet um seine Meinung zu einem merkwürdigen Vorkommnis auf seinem frisch geerbten Gut Hurlstone. Der Butler Bunton habe nämlich in der Nacht die Dokumente der Familie, die in der Bibliothek aufbewahrt werden, auf eine unverfrorene Weise durchsucht, als gehörten sie ihm. Da bekannt ist, dass Bunton für seine zahlreichen Frauenaffären – dabei brach er auch das Herz des Zimmermädchens Rachel – ständig Geld braucht, vermutet Musgrave, dass Bunton Geld suchte. Doch weit gefehlt. Was er sah, als er Bunton beobachtete, war eine Landkarte vom Grundstück.

Holmes besucht Musgrave und findet am Tatort einen Zettel. Auf diesem steht eine Abschrift des Familienrituals, das alle volljährig werdenden Musgrave-Söhne vor versammelter Sippe aufsagen müssen. Holmes fallen die geografischen Angaben darin auf, kann sie aber nicht zuordnen. Bunton weiß von nichts, wie er behauptet, ist aber am nächsten Morgen – zu Rachels Entsetzen – spurlos verschwunden.

Dabei bleibt es nicht. Als Holmes mit Musgrave im Park die Eiche und die Ulme sucht, ertönt ein lauter Schrei. Sie eilen zum Teich und stoßen auf Rachels Leiche. Sie hat sich, offenbar unter dem Einfluss von „Gehirnfieber“, im Wasser ertränkt. An ihre Beine ist jener bewusste Leinenbeutel gebunden. Darin findet Holmes nicht nur die zu erwartenden Steine, sondern auch bunte Kiesel und ein verbogenes Stück Metall, alles schlammverschmiert.

Doch wo ist Bunton? Nach einigen Berechnungen und den Anweisungen aus dem Ritual folgend gelangen Holmes und Musgrave in den ältesten Teil des Gutshofes. Ist dies der Weg zu einem verborgenen Familienschatz? Oder werden sie Schlimmeres finden?

Handlung von „Die fünf Orangenkerne“ (ca. 70 Min.)

Oberst Elias Openshaw ist ein gar gestrenger alter Herr und sein Neffe John und die arme Köchin Mabel wissen ein Lied davon zu singen. Doch eines Tages bringt Mabel einen seltsamen Brief, der den Oberst in blankes Entsetzen geraten lässt: Er enthält eine Aufforderung, gewisse Papiere an die Sonnenuhr im Garten zu legen – sowie fünf Orangenkerne. Openshaw bestimmt John zu seinem Alleinerben und schließt sich in seinem Zimmer mitsamt allen Paieren ein.

Zwei Wochen später besucht John die Stadt und bittet Holmes um Hilfe bei diesem rätselhaften Fall. Die Ärzte wüssten keinen Rat und die Polizei nehme die ganze Sache nicht ernst. Ganz im Gegensatz zu Holmes. Insbesondere die Initialen KKK und der Absendestempel aus Pondichery, Indien, geben ihm zu denken. Der Brief muss schon an die vier Wochen unterwegs sein. Und wenn es sich um Killer dieses mysteriösen KKK handelt, können sie bereits im Lande sein. Wie soll man den Oberst schützen?

John, Holmes und Dr. Watson fahren nach Horsham in Südwest-England. Dort finden sie eine todunglückliche Mabel vor: Der Oberst ist tot! Angeblich ertrank er im Gartenteich, aber das glaubt Holmes keine Sekunde – der Teich ist dafür viel zu seicht. Den aufgeblasenen Dorfpolizisten stutzt er auch gleich um einige Zentimeter. Dies, Herrschaften, ist eine sehr ernste Angelegenheit. Denn John Openshaw, der Alleinerbe, ist wahrscheinlich das nächste Opfer!

Mein Eindruck

Die vier Hörspiele sind so richtig schön nostalgisch inszeniert. Der Schauplatz ist stets irgendwo in Merry Old England um 1880 herum, als die Welt noch halbwegs in Ordnung war. Jedenfalls sorgte Ihre Majestät, die Königin Viktoria, dafür. Und natürlich auch Meisterdetektive wie Sherlock Holmes. Diesen kann offensichtlich nichts erschüttern oder verblüffen, wie sein Biograph und bester Freund Dr. John Watson immer wieder erstaunt feststellen muss. Dessen Wissen ist universell und seine Lektüre so aktuell, dass er über alles, was in London und dem umgebenden Erdkreis relevant ist, auf dem Laufenden ist.

Dass sich auch ein Sherlock Holmes einmal irren könnte – welch vermessener Gedanke! Watson, unser Gewährsmann mit dem etwas zaghaften Gemüt, wagt es kaum zu glauben, aber es ist so: Beinahe wäre die junge unschuldige Violet Hunter das Opfer eines skrupellosen Erbschleichers geworden. Nur weil Holmes die Gefahr, in die er sie rennen ließ, nicht wahrnahm. Wie junge Damen von wackeren Gentlemen zu beschützen sind, demonstriert das Titelbild, das einer Verfilmung entnommen ist: Die hübsche Lady in Holmes’ starken Armen, während sich Watson mit gezücktem Revolver vor beide stellt. Und welcher Schurke schleicht dort wohl um die Ecke?

Andererseits kann Holmes aber auch wieder viel zu leichtsinnig und eigenmächtig agieren, als dass es Watson recht wäre. So legt sich Holmes beispielsweise höchstpersönlich und ohne jede Rückendeckung mit den beiden Mördern des Oberst Openshaw an. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn Watson zu spät gekommen wäre! Die Themse kann sehr tief sein …

Die längste und schönste Episode ist vielleicht „Das Musgrave-Ritual“. Sicher, die Geschichte hat nicht wenige logische Unebenheiten aufzuweisen, aber ich bin kein Beckmesser, der einem Holmes am Zeug flicken würde. Es ist ein Genuss, dem Detektiv auf seiner Schnitzeljagd in den Keller des alten Gutshauses bis ins 17. Jahrhundert zu folgen, als wäre er Indiana Jones auf Entdeckungsfahrt.

In dieser Geschichte greift der Autor nicht das einzige Mal auf wichtige historische Ereignisse zurück: auf die bürgerliche „Revolution“ des Oliver Cromwell, der seinen König (Charles I) töten ließ und Irland eroberte. Beides war ein Religionskrieg zwischen Katholiken und Protestanten, dessen Folgen noch bis heute zu spüren sind (blutige Oraniermärsche in Nordirland).

Auch „Die fünf Orangenkerne“ enthält häufige Verweise auf politisch-soziale Vorgänge, diesmal allerdings in den amerikanischen Südstaaten. Dort hat der Ku-Klux-Klan seine Schreckensherrschaft ausgeübt, wurde aber 1869 durch Verrat plötzlich ein Opfer von Regierungsmaßnahmen. Der reaktionäre Orden wurde zerschlagen. Völlig? Offenbar nicht, wie die Geschichte suggeriert.

Die Sprecher / Die Inszenierung

Die beiden Hauptfiguren Holmes und Watson (der biografische Erzähler) stehen natürlich fast ständig im Mittelpunkt des Geschehens, und häufig eröffnet eine Szene in Holmes’ Wohnung – mit seinem Geigenspiel. Aber nicht immer. Die Story mit der Gans, „Der blaue Karfunkel“, beginnt auf der Straße in einem der schlechteren Viertel der Metropole. Demzufolge ist es wohl nicht allzu überraschend, wenn Jim Peterson und seine Betty astreinen berlinischen Dialekt sprechen. Mir erschien es jedenfalls nicht unangemessen. (Man hätte sie wohl kaum Cockney-Dialekt sprechen lassen können, denn diesen verstehen nicht einmal alle Engländer.) Einmal ist die Synchronstimme von Bruce Willis zu hören – die Rolle ist die des treulosen Butler-Don-Juans Bunton in „Das Musgrave-Ritual“.

Geräusche

Die zahlreichen, subtil eingesetzten Geräusche verleihen dem Geschehen einen realistischen Anstrich, so als würde man einem Film ohne Bild folgen. Leise prasselt das Kaminfeuer, Holmes pafft vernehmlich seine große weiße Pfeife, und seine Zeitung (The Times natürlich) raschelt. Draußen auf dem Anwesen der Musgraves pfeifen sich die Vögel vor lauter Lebenslust die Lunge aus dem Leib, der Ozean rauscht gleich hinterm nächsten Hügel, und Holmes steigt durch eine knarrende Tür in einen sinistren Keller hinab, der ein grausiges Geheimnis birgt …

Musik wie bei Edgar Wallace

Alle Hörspiele sind so inszeniert, als wären sie in den sechziger Jahren entstanden. Dementsprechend nostalgisch sind ihr Charme und die Emotionalität der Figuren. Aber auch die Musik spielt eine ganz wesentliche Rolle. Es handelt sich schon beim ersten Ton des Intros um jene Jazz-Spielart, die Spannung, Angst und Action suggeriert. Meist wird die Musik als Pausenfüller eingesetzt. Die gleiche Art Musik ist in den Krimiserien der sechziger Jahre zu hören: Edgar Wallace, Sherlock Holmes, Miss Marple und wie sie alle heißen. Fans dieser Serien – und es gibt eine Menge davon – werden die Musik genießen.

Unterm Strich

Für alle nostalgischen Freunde von Sherlock Holmes und den deutschen TV-Serien der sechziger Jahre bietet diese Sammleredition vier erstklassige Holmes-Fälle voll Spannung, Ironie, Action und viel Romantik. Watson kommentiert Holmes wie immer knurrig bis verzweifelt, doch wenn seine Qualitäten als Gentleman gefragt oder seine Neugier angestachelt sind, verwandelt er sich in einen wertvollen und verlässlichen Assistenten des berühmten Detektivs.

Die Sprecher sind von beachtlicher Qualität, auch wenn nirgendwo steht, welcher Sprecher welcher Rolle zuzuordnen ist (siehe oben). Die Geräusche verleihen dem Geschehen einen realistischen Anstrich, und die nostalgische Musik, die nicht mein Fall ist, bleibt unaufdringlich auf die Pausen beschränkt.

Ein paarmal zu viel wird allerdings auf Worthülsen zurückgegriffen. So ist mehrmals die Wendung: „Es geht nicht mit rechten Dingen zu“ zu vernehmen, was doch der jungen Generation als recht seltsame Ausdrucksweise erscheinen dürfte. Und Watson stellt sich häufig dümmer als er wirklich ist, um Holmes Gelegenheit zu geben, mit seiner brillanten Kombinationsgabe zu brillieren. Fehlt nur noch, dass er „Elementar, mein lieber Watson!“ sagt, aber dieses Klischee haben sich die Macher dann doch verkniffen.

ca. 270 Minuten auf 4 CDs
ISBN-13: ‎978-3937070445

https://www.maritim-hoerspiele.de/

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